Es ist kein leicht zu lesendes Buch. Auch wenn Che Guevara auf dem Cover genüsslich seine Havanna hält. Es ist auch eigentlich kein Che-Buch, auch wenn der Mord an dem legendären Guerilla-Führer natürlich bis heute wie ein Dorn in der bolivianischen Geschichte steckt. Am 9. Oktober 1967 wurde er - nachdem sein Rückzugslager verraten worden war - gefangen und von bolivianischen Militärs erschossen.
Aber damit war die bolivianische Guerilla-Bewegung nicht zu Ende, auch wenn das, was dann bis 1971 folgte, geprägt war von Verzweiflung, einem unerfüllbaren Messianismus und gleich mehrfachem Verrat. Das spielte dann freilich für die Weltöffentlichkeit keine Rolle mehr. Denn die nächsten Jahre waren in Bolivien von immer neuen Putschen geprägt, einer zunehmenden Destabilisierung, in der die aus den USA importieren Vorstellungen eines neoliberalen Umbaus der Wirtschaft und damit der weitreichenden Privatisierung der Staatsbetriebe eine nicht unwesentliche Rolle spielten.
Eduardo Machicado Saravia kennt die Vorgänge aus eigenem Erleben. Er war beteiligt an der Rettung der überlebenden Guerillas, war Direktor einer politischen Zeitschrift und kannte nicht nur wichtige Vertreter der Untergrundbewegung, sondern auch solche aus dem Staatsapparat, aus der Kirche und aus der bolivianischen KP, die – wie so viele andere KPs weltweit – ein zwielichtiges Bild abgab, halbherzig die Guerilla unterstützte, andererseits den Moskauer Doktrinen folge und sich selbst staatserhaltend in die von Militärs getragene Politik einband.
Saravia – selbst verhaftet, in einem KZ interniert und zeitweilig ins Exil verbannt – versucht in diesem Buch das Umfeld zu erleuchten – angefangen von Che Guevaras Versuch, Bolivien als Intitialzündung für eine kontinentübergreifende Revolution zu nutzen, bis hin zur Frage, was Che eigentlich wollte – und warum er sich in beiden großen Lagern – dem sowjetischen und dem us-amerikanischen – damit Feinde machte.
Schwer zu lesen ist das, weil die Übersetzung nicht wirklich flüssig ist. Was schade ist. Denn die Frage ist so veraltet nicht. Es ist die Frage nach dem dritten Weg, nach einer Staatsform, in der die Menschenrechte die oberste Priorität haben. Bei Che und bei den wichtigsten bolivianischen Vertretern der Bewegung vermischt sich das mit den Gedanken Sartres, Rosa Luxemburgs, Maos und Trotzkis. Nicht nur in Bolivien verband sich das auch noch mit der bis heute lebendigen Theologie der Befreiung, mit jenen Kirchenvertretern, die ab den 1960er Jahren ihre enge Verbindung mit den Regimes aufgaben und begannen, sich für die Mehrheit der Armen zu engagieren.
Schwer liest sich das Buch auch, weil Saravia immer wieder auf eine Reihe von theoretischen Arbeiten und Büchern, die sich mit Che Guevara und der bolivianischen Guerilla-Bewegung beschäftigen, verweist, die in deutscher Sprache nicht vorliegen. Und er tut es intensiv. Sein Buch ist eher eine Streitschrift, eine Auseinandersetzung mit alten Mythen, Legenden und Reinwaschungen. Die wirklich spannenden Stellen kann er nur als Fragen in den Raum stellen, auch wenn er aus eigener Erfahrungen das Handeln vieler Akteure einzuordnen weiß. Angefangen von KP-Leuten, die eine mehr als zwiespältige Rolle spielten, über eingeschleuste Spitzel der Regierung, die am Ende 67 junge Leute – vor allem Studenten – ans Messer lieferten, so dass die zweite Etappe der Guerilla wie ein Hasenschießen endete.
Da und dort merkt man, wie eng die Entwicklungen in Bolivien verbunden waren mit den Entwicklungen in den Nachbarländern – Argentinien und Chile vor allem. Und wie die südamerikanischen Linken geradezu im Stich gelassen wurden von den Herren in Moskau, die augenscheinlich auch Druck auf Kuba ausübten, jegliche Unterstützung für Che und seine Guerilla-Truppe einzustellen. Es war die Zeit, die ein paar oberflächliche Betrachter gern als “Kalter Krieg” bezeichnen, obwohl weiterhin überall in der Welt fleißig heiße Kriege geführt wurden, zumeist Stellvertreterkriege für die beiden Großmächte Sowjetunion und USA.
Dass dahinter womöglich sogar Absprachen über die Aufteilung der Welt in Interessensphären steckten, kann man nur vermuten. Dazu müssten ein paar Archive geöffnet werden, um das zu belegen. Aber einiges in der bolivianischen Geschichte deutet darauf hin, dass auch Fidel Castro in Kuba eine strikte Weisung hatte, sich in südamerikanische Entwicklungen nicht mehr einzumischen, während die USA augenscheinlich völlig freie Hand hatten, in Lateinamerika all ihre seltsamen ökonomischen und politischen Experimente durchzuziehen. Im Grunde fand kein Machtwechsel, kein Putsch ohne Billigung aus Washington statt. Und Land um Land wurde zum Spielfeld der Chicago-Boys.
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Die Ermordung Che Guevaras war auch Symbol dieser Arroganz der Macht. Und über Jahrzehnte schien ja dann ohne die Militärs, die oft genug an den Militärschulen der USA ausgebildet worden waren, gar nichts mehr zu gehen. Im Anhang des Buches findet man – neben den traurigen Fotos all der seinerzeit Ermordeten – auch ein paar Bilder als Che Guevaras Basislager, dem Bärenlager, nachdem es von bolivianischen Militärs verwüstet wurde. Unter ihnen wie selbstverständlich: us-amerikanische “Militärberater”, wie das damals hieß. Und wie das wohl heute auch noch heißt.
Deswegen wird Saravia wohl einige seiner Fragen nie beantwortet bekommen. Denn in einem waren sich die beiden Großmächte immer einig: Einen dritten Weg, in dem die Rechte der Völker das Primat haben, durfte es nicht geben. Die einen setzten auf die sture stalinistische Linientreue, die anderen auf den maximalen Profit. Dazwischen durfte es nichts geben. Für Bolivien bedeutete das bis 1982 Militärdiktatur und danach eine erzkonservative Regierung, die das Land ausbluten ließ, bis es ab 2003 zu regelrechten Volksaufständen kam und 2005 zur Wahl des ersten indigenen Präsidenten, Evo Morales, der als Erstes die so wichtige Erdgaswirtschaft verstaatlichte.
Darauf geht Saravia freilich nicht ein. Er versucht die Fehler der Akteure von 1967 bis 1973 zu analysieren, versucht herauszufinden, warum Kuba seine Unterstützung abbrach, welche Rolle die KP-Funktionäre spielten und warum einige der Überlebenden dann trotzdem noch unter mysteriösen Umständen zu Tode kamen. Saravia stellt seinem Buch einen Brief voran, in dem er Fidel Castro ein paar nicht ganz unwesentliche Fragen stellt. Darunter die Frage nach dem seltsamen Freitod des bolivianischen Guerilleros Raul Quiroga 1968 in Kuba.
Seien wir realistisch,
versuchen wir das Unmögliche!
Eduardo Machicado Saravia, Patchworldverlag 2012, 30,00 Euro
Kann man natürlich fragen: Warum nun dieser Versuch einer Aufklärung 40 Jahre nach den Ereignissen? – Aber das gewaltige Interesse der CIA an Che Guevaras bolivianischem Tagebuch kam ja nicht von ungefähr. Selbst mitten im bolivianischen Urwald war Che Guevara mitten im Brennpunkt der Konflikte zwischen den beiden Großmächten. Und wenn man die Geschichte nicht aufarbeitet, wird sie weiter im Dunklen gären. Da geht es den Bolivianern wie den Deutschen. Der Nebel war schon immer ein Spielfeld für Machtpolitiker und allerlei getarnte und geheime Akteure.
Wer nicht weiß, wer gestern die Strippen zog, lässt sich gern über jene täuschen, die in der Gegenwart die Strippen ziehen und sich die Welt so gestalten, wie sie ihnen gefällt. Dass dabei ein ganzer Kontinent für Jahrzehnte obskuren Militärjuntas und übermächtigen Konzernen ausgeliefert wurde, ist Teil dieser Geschichte. Und die Aufarbeitung hat in den verschiedenen Ländern, die darunter zu leiden hatten, gerade erst angefangen. Auch deswegen liest sich das Buch ein bisschen schwer: Es hat noch mehr Fragen als Antworten.
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