Leipzig ist am 6. Orchester wieder dran. Dann kann man "The Fuck Hornisschen Orchestra" im UT Connewitz erleben. Vorher stehen so hübsche Orte wie Köln und Dresden auf der Reiseliste der beiden Leipziger Christian Meyer und Julius Fischer, studierte Germanisten, Poetry Slammer, Bühnen-Ekstatiker. Eigentlich dürfte das gar nicht funktionieren.
Tut’s aber doch. Es gibt keine Traktate über die Windungen des Mittelhochdeutschen in frühen philologischen Exzerpten und auch keine tiefschürfenden Analysen der Syntax im spätbayerischen Reimgedicht. Texte schon. Noch und nöcher. Denn die beiden haben irgendwann beschlossen, nie und nimmer erwachsen zu werden. Und wenn, dann möglichst spät, so, wie es ja auch die meisten ihrer Altersgenossen beschlossen haben, in den 1990er Jahren aufgewachsen mit DJ Bobo und Franziska van Almsick. Zwei dieser ewig jungen Gestalten aus dem Zeitalter der deutschen Wiedervereinigungs-Dauerparty.
Da schreibt man dann keine dicken wissenschaftlichen Wälzer mehr. Da biegt man lieber rechtzeitig ab auf die Straße der Comedy und verwandelt kleine Bühnen und Säle in Orte der gemeinsamen Freude am Jungsein und Unfertigsein. Dass Julius Fischer (mittlerweile 28) dabei alle Nächte die Begleitung wechselt, macht die Sache noch bunter. Die Leipziger kennen ihn zum Beispiel auch als Mitspieler der Lesebühne Schkeuditzer Kreuz. Da freilich kann er seine musikalische Begabung nicht ausleben.
Das tut er mit Christian Meyer (30) zusammen im “The Fuck Hornisschen Orchestra”, das irgendwann mal aus einer kleinen Sandkastenblödelei entstanden sein muss. “Du, wolln wir nicht ne Band gründen?” – “Ne richtig berühmte.” – “Ja, und ne richtig große.” – “Und dann so richtige Hits rausbringen.” – “Oja, über Weiber.” – “Und Aliens!” – “Liiiiiebe.” – “Nö. Liebe ist doof. Hoffnung is schöner.” – “Dann eben Hoffnung. Is doch egal. Hauptsache es swingt.” – “Ich bin mehr für Reggae.” – “Dann mach doch Reggae, ist mir doch egal. Ich mach meins.” – “Ich auch.”
So haben sie sich gefunden, haben sich den blödesten aller denkbaren Bandnamen gegeben, wahrscheinlich in der Hoffnung, dass sie von den Clubbetreibern dafür bezahlt werden, dass sie gar nicht erst anreisen. Aber da haben sie dann nicht mit den Clubbetreibern gerechnet, die ja nach DJ Bobo und Franziska van Almsick schon so Manches gewöhnt waren und sich am Anfang des neulichen Jahrtausends allesamt nur noch sagten: Sollen doch die Leute entscheiden. Hauptsache, sie bestellen genug Getränke mit Papierschirmchen. Und wenn’s nicht scheppert in der Kasse, können die beiden singenden Wissenschaftler unseretwegen in München auftreten, Stuttgart oder Fürth.
Tun sie auch. Nach ihrem Leipzig-Auftritt.
“Hoffnung 3000” ist ihre dritte gemeinsame Produktion. Die erste gab’s 2009: die CD “vom fohlen und wäldern”. Ergebnis zahlreicher unfruchtbarer Versuche, das fein gekleidete Publikum aus den Clubs dieser Nation zu vertreiben, richtig hinauszusingen mit Liedern, die so schräg und disharmonisch waren (und sind), dass man eigentlich in Lederhose oder Dirndl hingehen müsste, wenn die beiden irgendwo auftreten. Es sollen auch schon Kuhglocken auf der Bühne gesichtet worden sein. Irgendwo in dem Waffenarsenal preiswerterer Musikinstrumente und anderer lautmachender Artikel, die in der mit ernster Miene dargebotenen Bühnenshow der beiden zum Einsatz kommen.
Der Verlag weiß sogar von Plastik-Waffen aus den 1-Euro-Shops dieser Welt zu berichten. Was dann Techno in seiner allerelementarsten Form ergibt. Das, womit sich Jugendliche im frühen 21. Jahrhundert ganz gewiss nicht abgeben, jene seltsame Spezies, die ständig damit beschäftigt ist, auf kleinen teuren Tablets herumzuticken. Was davon übrigbleibt, was davon irgendwann einmal fruchtbar wird – wir werden es wohl nie erfahren. Das ist die Generation “Du”, die so beschäftigt ist, dass sie auch auf “Du” nicht mehr reagiert.
Natürlich auch zum Frust dieser beiden Musikanten, die das Leben besingen zwischen Baum und Borke, Kindsein und Uraltsein, auf herrlich naive Art. Manchmal kommt das dem Rap nah – ohne diese unrasiert ernste Art, anderen Leute ständig zu sagen, wie schlimm doch alles ist. Natürlich ist es schlimm. Aber das wusste man doch auch schon 1996. Da kam “Mars Attacks!” in die Kinos, einer von vielen völlig überdrehten Alien-Filmen, die das Jahrzehnt überschwemmten und daran erinnerten, dass vom Entwicklungsstand der menschlichen Überheblichkeit her jetzt eigentlich ein ordentlicher Krieg gegen kleine grüne Männer dran gewesen wäre.
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Am Ende wurde es doch wieder nur das mit Jagdhörnern aufgeblasene “Herr der Ringe”, nix da mit einem fröhlich erlebten Alien-Überfall. Die beiden nehmen ihren Stoff, wie man hören kann, aus dem eigenen irdischen Erleben, machen sich gern drüber lustig, aber irgendwie meinen sie es auch ernst. Immer noch. Denn das Jahrzehnt, in dem sie ihre Poster gekauft haben, war auch das Jahrzehnt der medial zelebrierten Verachtung für das unverwechselbare Individuum, das Jahrzehnt der Clone und der in Seifenschaum verwandelten uralten Träume.
Der Träume etwa vom Orion, um bei den Aliens zu bleiben, den Träumen aus dem Zeitalter des Wassermanns, die nur noch auf einer buntgestreiften Insel in der Karibik überlebten. Und so haben etliche Lieder auf dieser CD auch einen hübschen Reggae-Sound. Und die beiden Burschen beweisen, dass man zum karibischen Klang durchaus auch Blödelstrophen singen kann, wie sie einst Otto Waalkes in seinen besten Jahren zustande brachte – und es wirkt.
Oder besser: Es wirkt nicht. Die Gäste verlassen nicht fluchtartig den Saal, sondern fühlen sich pudelwohl in dieser so leichthin erspielten Spiel- und Spielzeugwelt, hinter der immer und immer noch der staunende Ernst der Heranwachsenden zu spüren ist. Nur haben die beiden schon lange vor ihrer DVD, die sie 2011 bei Voland & Quist herausgaben, beschlossen, all die Eiertänze um das korrekte Erwachsenwerden in Deutschland nicht mehr mitzumachen. Die anderen rennen und tun und versuchen, alles nur allzu richtig zu machen – mit zuweilen schrecklichen Folgen. Die Hoffnung ist zu einem Blechfässer-Sound geworden. Und das Seltsame ist: All diese sonst so Erwachsenen fühlen sich pudelwohl in den Spielzeugkonzerten dieses Zwei-Leute-Orchesters mit dem unaussprechlichen Namen. Das Publikum bleibt nicht weg. Die Fassbrause geht weg – mit und ohne Papierschirmchen. Und die Clubbetreiber müssen nur dann und wann damit rechnen, dass Julius und Christian ab und zu noch ein paar Freunde mitbringen, die etwas besser singen können. In diesem Fall Andy Strauß, der mit Geschrei und Obertongesang zum echten Jamaika-Erlebnis beiträgt, und eine begnadete Sängerin aus Dresden, Künstlername Annamateur.
Hoffnung 3000
Julius Fischer; Christian Meyer, Verlag Voland & Quist, 15,90 Euro
Und irgendwo am Horizont strahlt natürlich das Jahr 3000. Ob’s die gegenwärtige Menschheit schafft bis da hin, ist eine andere Frage. Aber die Hoffnung darf man ja haben.
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