Nudeln kochen kann der Bursche, der sich so einprägsam James Cook nennt. Doch wer nun ein Reisetagebuch in die Südsee von ihm erwartet hat, bekommt etwas, was verpackt ist wie ein flotter Jugend-Roman, aber keiner ist. Buchumschläge können irritieren. Aber wie verpackt man einen Roman, in dem der Held aus Zeit und Leben fällt?
So passiert’s dem Helden Fabian, der eines Morgens noch gut gelaunt mit seinem Kaffee am Frühstückstisch sitzt – und Sekunden später zeugt eine große Kaffeepfütze auf den Fliesen davon, dass Fabian wohl nicht mehr in seinem Körper steckt. Seine hübsche Frau Maren beugt sich verzweifelt über den 42-Jährigen.
Und der beobachtet das verwundert – aus der Kellerperspektive, wo das gelandet ist, was er eigentlich noch ist. Es ist ein bisschen wie in den Welten des Philip K. Dick, der seine Leser damit fasziniert, die vorhandene Welt als brüchig, fragmentarisch und durchaus diffus zu schildern. Zumeist sind bei ihm allerlei finstere Firmen und Gestalten unterwegs, die aus reiner Profitgier alles tun, den nicht so zahlungskräftigen Mitmenschen die Existenz unterm Hintern wegzuziehen.
Ganz so gesellschaftskritisch wird’s bei Cook nicht. Eher philosophisch. Wie man das von Autoren aus Deutschland so kennt. Sie sinnieren so gern über die Brüchigkeit des Lebens und der Welt und die Unzuverlässigkeit unserer Wahrnehmung. Und manchmal werden sie romantisch dabei. Was passiert hinter den Dingen, die wir wahrnehmen?
Cook versucht zwar, eine kleine Zeitverschiebung als Begründung für seine Geschichte immer wieder einzuflechten. Aber eigentlich braucht er das nicht. Denn die Welt, in der Fabian landet, funktioniert auch ohne physikalischen Erklärungsansatz. Natürlich ist es “absolute Phantasie”. Was kann so einem aus der Zeit Gefallenen eigentlich passieren, wenn er über keinen Körper mehr verfügt und eine etwas vorlaute Ratte sein neuer Wegbegleiter wird. Auch so eine Art Führer durch die andere Welt, die er nun kennenlernt, eine Welt, die eher ein Brei ist, in dem sich die Lebewesen – von Baum bis Ratte – als farbige Wolken sichtbar machen.
Gleichzeitig hängt dieser Fabian auch noch irgendwie an seiner Schönen, auch wenn die sich schon am Tag seines Todes mit seinem bis dahin allerbesten Freund einlässt, der sich gar nicht als so selbstlos erweist, wie Fabian einst dachte in seinen ahnungslosen Zeiten auf Erden. Ein wenig spielt er deshalb die nächsten acht Jahre die Rolle des allgegenwärtigen rächenden Geistes, um als siegreicher Geist dann noch ein paar triumphale Jahre an der Seite seiner nun einsamen Geliebten zu verbringen. Irgendwie geschenkte Zeit, die ihn nachher umso verstörter zurücklässt. Denn was kommt dann?
Irgendwie wohl doch der Schritt in einen neuen Zustand, ein neues Dasein, sehr farbig, sehr diffus. Ein neuer literarischer Versuch, den Fluss des Lebens in Bilder zu fassen. Dahinter steckt – wie kann es anders sein – natürlich der Versuch, das Vergehen und Vergänglichsein zu begreifen. Was ja immerhin eins von den Dingen ist, die der Mensch bei aller Logik nicht wirklich fassen kann. Wohin stürzt man, wenn man aus der Welt stürzt? Gibt es ein Anderswo oder gar ein Danach? Oder leben wir gar nur in einem besonderen Zustand, wie sich Fabian von Ratte erklären lassen muss, einer Welt-Wahrnehmung, die nur dadurch entsteht, dass wir als Menschen permanent am Erzählen sind. Wenn nicht hörbar mit dem Mund, dann inwendig im eigenen Kopf auf jeden Fall. Oder gibt es Menschen, die tatsächlich schweigen können – auch für sich?
Fabian scheint das noch gar nicht bemerkt zu haben. Aber es ist Teil dieser Geschichte, die eigentlich vom Erzählen erzählt. Und von dem ganz menschlichen Drang, alles zu benennen, zu erklären und zu bewerten. Die Zeit gehört dazu. Bis auf die Tausendstel-Sekunden hinunter durchdekliniert, als ließe sich das Vergehen besser begreifen, wenn man es in lauter kleine Scheibchen schneidet.
Ein Buch für Leute, die sich vor philosophischer Fantasy nicht fürchten und alltägliche Helden wie diesen Fabian auch mal ein Stück in traumhafte Landschaften begleiten wollen, da und dort mit flüchtigen Berührungen mit unserer, der “richtigen” Welt, die immer seltener werden, aber trotzdem zuweilen geradezu rührend sind. Das hier ist eben keiner der üblichen Fantasy-Helden, eher eine Type wie Arthur Dent, dem das Ganze passiert, obwohl er in keiner Weise darauf vorbereitet war. Und der sich durchaus wundern kann über einen Eintrag in sein Kondolenzbuch, der nun gerade nicht von seiner schönen Maren stammt: “Schade, ich mochte dich.”
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Mancher wundert sich ja nicht mal im Leben darüber, nimmt so etwas hin wie Kleingeld.
Um Liebe geht es natürlich auch in diesem Buch. Ist ja auch eines der großen Rätsel: Was bindet uns so aneinander? Und ist jede Liebe wirklich Liebe? Oder doch nicht oft genug auch eher das Gegenteil, wie Ratte weiß?
Also kein Buch für Leute, die gar nicht philosophisch veranlagt sind. Für Mathematiker übrigens auch nicht. Der Titel führt in die Irre. Da war der Autor zu verliebt in die Sache mit den Tausendstel-Sekunden. “Ratte und Fabian” wäre ein durchaus treffender Titel gewesen. Und der innere Buchgestalter wickelt das Buch auch gleich mal in dunkles Rot. Den Titel setzt er in Dunkelblau. Und unten auf die Ecke des Covers setzt er eine kleine philosophische Ratte. Das würde passen irgendwie. Und die Buchhändler wären wohl etwas eher geneigt, den Band etwas näher bei Philipp K. Dick zu platzieren.
James Cook “Minus oder Das Märchen Zeit”, EinBuch Verlag, Leipzig 2012, 12,90 Euro.
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