Der Bursche wird den Leipzigern auch erhalten bleiben, wenn er bei der OB-Wahl 2013 nur Zweiter oder Dritter werden sollte: Felix Ekardt, 40 Jahre alt, in Rostock Professor, in Leipzig aber, wo er lebt, hat er die Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik. Und wo andere noch mit der Wünschelrute durch die Umweltpolitik laufen, hat er schon mehrere Bücher zum Thema veröffentlicht. Das hier zum Beispiel - in seiner Urversion 2009.

Damals hieß es noch “Cool down. 50 Irrtümer über unsere Klima-Zukunft”. Das ist eine ganze Zeitenwende her. Dazwischen liegen der Atomunfall von Fukushima und die erschrockene Kehrtwende der Bundesregierung zurück in den Atomausstieg, die die deutschen Steuerzahler allein einen zweistelligen Milliardenbetrag gekostet hat. Nur redet darüber gerade niemand, weil alle Welt panisch damit beschäftigt ist, die europäische Staatsschuldenkrise irgendwie zu begreifen. Auch die deutsche Regierung, die sich hier genauso dilettantisch benimmt wie in der Energiepolitik. Die eigentlich das Thema Nummer 1 sein müsste in Politik und Wirtschaft.

Doch nach der flotten Entlassung des Umweltministers ist es an dieser Front genauso still geworden wie an der Wirtschaftsfront. Das wird teuer. Das steht jetzt schon fest.

Ekart hat sein Buch noch einmal überarbeitet. Jetzt heißt es “Klimaschutz nach dem Atomausstieg”. Die 50 Argumente aber klingen so gewohnt wie immer. Argumente sind es nicht wirklich. Aber schöne Ausreden, wenn es darum geht, lieber nichts zu tun, lieber zu warten, bis das Klima endgültig so wild wird, dass es keine Ausreden mehr geben kann. Aber wann ist das? Klimata verändern sich langsam. Immerhin geht es um gewaltige physikalische Prozesse. Was bedeuten schon 0,8 bis 1 Grad höhere Lufttemperaturen gegenüber dem Beginn der Industrialisierung? – Mehr Wasser, das durch die Luft zirkuliert, mehr Energie in den Klimazellen, da einen Orkan mehr, dort ein Jahrhunderthochwasser, Winter ohne Schnee in Europa. Nur in den Medien merkt man, dass diese Ereignisse häufiger auftraten. In der Regel anderswo, in südlicheren Breitengraden, wo es sowieso noch wärmer ist. Überflutungen auf den Philippinen, in Südchina, in Südamerika … Der deutsche Fernsehzuschauer registriert es mit kurzem Unbehagen. Und setzt sich in sein Auto. Und sieht keine Zusammenhänge.

Denn die Sache mit dem Treibhauseffekt in der Schule musste er zwar lernen – aber das klingt so abstrakt. Welcher Mensch kann sich schon wirklich lebhaft vorstellen, dass sein eigenes bisschen Autofahren, Fernsehen gucken, Heizung andrehen, Kühltruhe auffüllen etwas mit den absaufenden armen Leuten in Bangladesch zu tun hat? Mit den absaufenden Inseln im Pazifik? Mit den Schlammlawinen in Mittelamerika? Energie ist etwas Abstraktes, und nicht einmal die Politiker, die man ja deswegen gewählt hat, damit sie vorsorgend handeln, zeigen auch nur den Schatten einer globalen Sichtweise auf das alles.

Im Gegenteil, aus ihren Mündern hört man die 50 Argumente, die Felix Ekardt hier auflistet, am häufigsten – von der Dauerphrase “Der Markt wird’s schon richten” bis zur Behauptung, die “Klimalobby” würde mit falschen Daten arbeiten.

Ekardt macht es sich selbst nicht leicht. Er weiß, dass hinter all den Argumenten auch die Angst steht – die Angst vor Veränderungen, vor Verlust und Verzicht. Verlieren Staaten, die ihren Energieverbrauch drosseln, nicht die Wettbewerbsfähigkeit? Sind lauter kleine Schritte nicht viel besser? Müssen denn nicht erst mal die anderen ihren CO2-Ausstoß senken? Und lauert dahinter nicht die Ökodiktatur?Natürlich geht es um Verzicht. Es gibt Dinge, die sind mit dem Klimaschutz nicht vereinbar. Denn wenn die Menschheit überhaupt eine Chance haben will, die Erderwärmung irgendwann in den nächsten Jahrzehnten halbwegs in den Griff zu bekommen, muss sie es schaffen, den CO2-Ausstoß pro Kopf auf maximal 1 Tonne zu begrenzen. Weltweit. In Sachsen liegt er seit Jahren konstant bei 12 Tonnen. Auch weil die sächsische Regierung sich an die Braunkohleverbrennung klammert wie an einen Strohhalm. Ihre Argumente, warum sie ihre Energiepolitik nicht ändern will, sind alle aufgeführt in diesem Buch.

Aber geht es nur um Argumente?

Ekardt schlägt etwas ganz Einfaches vor: einen doppelten Emissionshandel. Denn der bezieht nicht nur die Reichen und Bitterarmen von heute mit ein. Das ist längst zu wenig. Und es funktioniert auch nicht, weil niemand freiwillig abgibt oder aufgibt, was er hat, bloß damit in Bangladesch die Menschen nicht ersaufen. All die Hilfsprogramme der letzten Jahrzehnte haben nichts gebracht. Mit Peanuts rettet man die Welt nicht.

Erst recht nicht, wenn man gleichzeitig ein Tausendfaches ausgibt, um für die Klima- und Rohstoffkriege, die da zwangsläufig kommen, gerüstet zu sein. Die Rohstoffkriege sind schon längst im Gang. Als Bürgerkriege in Afrika, als Interventionen in Irak und Afghanistan. Und was beschließt die Bundesregierung just dieser Tage als ihren Beitrag zur Weltklimapolitik? – Eine Erleichterung der deutschen Waffenexporte.

Sie schürt das Feuer, von dem sie behauptet, sie wolle es löschen.Über die Zukunft weiß niemand etwas. Außer, dass das Klima sich drastisch verändern wird. Das steht jetzt schon fest. Denn selbst wenn alle Kraftwerke und Autoflotten weltweit jetzt auf einmal aufhörten, CO2 auszustoßen, wäre längst soviel Treibhausgas in der Atmosphäre, dass der noch in Kyoto diskutierte Grenzwert von einer globalen Erwärmung um maximal 2 Grad nicht zu halten sein wird. Für kleine Schritte, stellt Ekardt fest, ist der Zeitpunkt längst verpasst. Der wäre vielleicht 1992 noch gewesen, zur ersten Konferenz von Rio de Janeiro. Wenn die Staatengemeinschaft damals den Mumm gehabt hätte, sich weltweit zu richtigen Reduktionszielen zu verpflichten und gemeinsam alles dafür zu tun, die fossilen Energieträger weltweit durch Alternativen zu ersetzen.

Wer sich erinnert: Damals hatten die verhandelnden Regierungen noch die Vision, bis 2012/2020 den CO2-Ausstoß weltweit zu senken.

Das Gegenteil ist passiert: Er ist um 40 Prozent gestiegen. Und das nicht nur, weil Länder wie China, Indien und Brasilien ihre Wirtschaft hochgefahren haben. Sondern auch, weil in den Ländern Westeuropas und Nordamerikas nichts passiert ist.

Der doppelte Emissionshandel wäre ein einfaches Wirkungsprinzip: Jede Energieerzeugung aus fossilen Quellen wird finanziell belastet. Jede Tonne erzeugtes CO2 hat ihren Preis. Weltweit den gleichen. Der Preis wird mitverkauft. Heißt am Ende: Wer Produkte kauft, in denen ein hohes CO2-Äquivalent steckt, zahlt dafür. Das zwingt jeden Konsumenten, schon beim Kauf über den Preis seines Wohlstandes nachzudenken. Denn derzeit ist dieser Preis in den Dingen nicht enthalten, ein Preis, der einfach heißt: Mit jeder Tonne CO2 verschlechtern sich die Lebensbedingungen auf Erden. Und zwar für Menschen, die heute noch gar nicht geboren sind. Sie können nicht mitreden, wenn wir heute die Erde plündern – aber sie müssen die Folgen ertragen.

Und wie schafft man einen weltweiten Ausgleich bei dieser Art Handel? – Man legt eine Maximalhöhe des CO2-Aufkommens pro Einwohner fest. Vorschlagsweise 1 Tonne im Jahr. Keinesfalls mehr. Staaten, die drüber liegen, führen die eingenommenen Mehreinnahmen an die Staaten ab, die drunter liegen. Was – so betont Ekart – eben die armen Länder befähigt, in Schutzsysteme und eine eigene alternative Energieversorgung zu investieren. Heute sind sie nur die Leidtragenden der westlichen Energieexzesse. Aber gelöst werden kann das Klimaproblem nur, wenn es weltweit gelöst wird. Wenn alle mitziehen.

Wenn nicht – auch das Argument kommt ja immer wieder – wird es immer teurer und unbeherrschbarer. Die Staaten werden sich eindecken mit deutschen Waffen und es wird immer öfter zu Kriegen um die elementarsten Lebensgrundlagen kommen – Land, Wasser, Rohstoffe. Energie in fossiler Form irgendwann nicht mehr, denn die sinnvoll erschließbaren Reserven gehen in den nächsten Jahrzehnten zur Neige.

Wertvolle Jahrzehnte, die die Menschheit nutzen muss, ihre Energieversorgung für die Zukunft nachhaltig zu sichern. Auch das Wort Nachhaltigkeit erklärt Ekardt noch einmal – für alle, die es heute überall dort missbrauchen, wo es nicht hingehört.Das Buch ist – weil es sich auf die 50 geläufigsten Ausreden beschränkt und sich sehr emotional damit auseinander setzt – trotzdem schön schmal. Man kann es in Portionen lesen. Und immer wieder. Und zwischendurch Denkpausen einlegen. Denn natürlich impliziert es auch die Frage: Und was kann ich selbst tun? Muss ich jetzt auf alles verzichten?

Aber es ist beim Verzicht auf die schönen Spielzeuge der modernen Konsumwelt wie mit dem Sparwahn der deutschen Regierung: Vor lauter Verlustangst sieht man all das nicht, was jenseits dieser Dinge liegt. Man sieht auch nicht, wieviel Verlust an Lebensqualität genau dieser Konsum bedeutet, wieviel Stress und Panik. Die steigenden Zahlen von “Burnout” in Deutschland sprechen eine klare Sprache. Ein anderer Lebensstil ist nicht nur denkbar, er ist auch dringend zu suchen.

Und selbst dabei könnte ein doppelter Emissionshandel helfen, denn er würde dafür sorgen, dass nicht mehr die Armen, die jetzt den Reichen die “Energiewende” bezahlen, endlich honoriert werden für ihren “Verzicht”. Denn sie verzichten ja schon aus Not – auf die nur scheinbar billigen Urlaubsflüge nach Gran Canaria, auf das spritschluckende Protzomobil, auf den gigantischen Allesfresser-Kühlschrank, die vielen elektronischen Spielzeuge in der Wohnung oder gar die Klimaanlage im Büro. Es sind ja nicht nur die Armen in der “Dritten Welt”, die den Reichen ihren Lebensstil ermöglichen, es sind auch die Armen hierzulande, die den “energieintensiven” Unternehmen die dicken Manager-Gehälter finanzieren.

Bestellen Sie dieses Buch versandkostenfrei im Online-Shop – gern auch als Geschenk verpackt.

Klimaschutz nach dem
Atomausstieg

Felix Ekardt, Herder Verlag 2012, 9,99 Euro

Ein Buch zum Nachdenken und Weiterdenken. Und natürlich denkt man auch an die mögliche Zukunft einer Stadt wie Leipzig: Braucht die nicht auch dringend eine echte Klimapolitik, ohne all die Kuhhändel um Parkhäuser und Überflugrechte?

Ein echtes Sommerbuch. Passt in jeden Rucksack. Und man kann es auch lesen, wenn der nächste Starkregen den Urlaub versaut.

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