Im Poetenladen gibt es ein neues Label. Kulturdruck nennt es sich, will sich künftig Themen der Architektur und der Bildenden Kunst widmen. Und beginnt mit einem Jubiläums-Band. Nicht nur die HTWK feiert in diesem Jahr ihr 20jähriges. Auch der Studiengang Architektur wird 20 Jahre alt. Er hat Leipzig (wieder) zu einem Hot Spot der deutschen Architekturentwicklung gemacht.
Das war Leipzig immer mal wieder in der Geschichte. Mit einigem Recht kann sich der Studiengang auch auf die 1838 in Leipzig gegründete Baugewerkeschule berufen, deren erster Leiter der damalige Stadtbaudirektor Albert Geutebrück war. Nach dem Mann ist heute das Hauptgebäude der HTWK benannt, in das die Baugewerkeschule 1913 zog, als die Stadt – wieder einmal – aus allen Nähten platzte. Die Geschichte dieser Schule ist eine Geschichte des Stadtwachstums und der sich wandelnden Stile und Anforderungen an die Baukunst.
Und das faszinierte auch 1992 diejenigen, die den neuen Studiengang aufbauten, an dieser Stadt: Hier war zwar immer dann, wenn die Bürgerschaft glaubte, sie müsse die Stadt gründlich erneuern und umkrempeln, vieles abgerissen worden, was man heute vermisst. Doch man ging dabei selten so rabiat vor wie in der DDR-Staatsbaukunst. Deren begrenzte ökonomische Möglichkeiten sorgten sogar dafür, dass 1990/1992 noch Vieles erhalten war, was in westdeutschen Städten dem Modernisierungswahn der 1970er Jahre zum Opfer viel.Die Stile mischen sich. Barock steht neben Gründerzeit neben Renaissance und Moderne. Und das hat sich auch nach 1992 nicht geändert. Auch wenn in der Presselandschaft der Stadt immer wieder der jeweilige Baudezernent angegriffen wurde, weil er den wilden Blüten von echten und Möchtegern-Investoren versuchte, die städtischen Baurichtlinien nahe zu legen. Denn das einigermaßen harmonische Ensemble der Stadt und insbesondere der Innenstadt entstand nur, weil auch Neubauten sich in ihren Strukturen einfügten und die Raumsprache aufnahmen.
Und wer das 300 Seiten dicke Buch durchblättert, begegnet all diesen Diskursen wieder. Und er sieht, wie komplex die Ausbildung von Architekten heute ist – und sein muss. Nicht nur die 20 Jahre Geschichte werden kurz aufgeblättert. Der Leser erfährt auch, was in den einzelnen Studienmodulen vermittelt wird. Und wer noch glaubt, mit plastischem Gestalten, Innenarchitektur und Gebäudelehre wäre es getan, der irrt. Architekten im 20. Jahrhundert müssen an (fast) alles denken. Sie müssen sich mit Städtebau beschäftigen und der Funktionalität von Quartieren. Sie müssen Baukonstruktionen mit unterschiedlichsten Materialien beherrschen und wissen, wie Kräfte wirken in und an ihren Bauwerken. Die jährlichen Wettbewerbe um die stabilste Brückenkonstruktion an der HTWK sind Legende.
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Und spannend werden sie, wenn die Aufgabe steht, die Brücken möglichst filigran und materialsparend und dennoch für Jahrzehnte stabil zu konstruieren. Tragwerkslehre wurde in den letzten schneereichen Wintern für die Öffentlichkeit sichtbar, als diverse Hallen in Deutschland unter der Schneelast einbrachen.
Gebäudetechnik, Energiekonzepte und Bauphysik stehen ebenfalls auf dem Plan – wenn das Haus nicht schon intelligent gebaut ist, wird es nie zum Energiesparer. Computertechnik macht heute viele Entwurfsschritte und die Visualisierung der Projekte leichter – wenn man die entsprechenden Programme beherrscht. Schon der 150 Seiten dicke Teil zur Ausbildung ist reichlich mit Fallbeispielen gespickt, die anschaulich machen wie vielseitig Architekturausbildung heute ist. 50 Seiten widmen sich dann der reichhaltigen Ausstellungs- und Reisetätigkeit des Studiengangs. Man fährt zur Praxiserfahrung nicht nur nach Italien, Marokko oder zum Eis-Bauen nach Norwegen. Immer wieder geht es auch nach China. Hier können Kulturen voneinander lernen. Und die Aufgabe, eine nachhaltig funktionierende Stadt zu entwickeln, steht vor Architekten in aller Welt.
Weitere 80 Seiten widmen sich den diversen Preisen, die an der HTWK und von der HTWK selbst an die kreativsten Architekturstudenten vergeben werden, überregionalen Erfolgen und den markanten Arbeiten von 20 ausgewählten Absolventen des Studiengangs. Einige von ihnen haben in Leipzig und weit darüber hinaus längst einen exzellenten Ruf, ihre Arbeiten sind markant. Die Leipziger Stadthäuser sind eng mit der Arbeit der HTWK-Studenten verbunden. Und unübersehbar beschäftigt man sich intensiv mit neuen Werk- und Verbundstoffen, um eine moderne, energiesparende und umweltfreundliche Baukonstruktion zu finden.Natürlich steht auch Denkmalpflege im Programm, die Gestaltung von Stadtraum-Veränderungen – in schrumpfenden Städten wie Borna genauso wie in wieder wachsenden Städten wie Leipzig. Intensiv beschäftigt man sich mit den Umwandlungsprozessen alter Industriegelände und ihrer Gebäude. Leipzig, so scheint es, ist ein dankbares Testfeld für das, was sich die angehenden Architekten in ihrem drei- oder fünfjährigen Studium so einfallen lassen. Oft einfach auf gut Glück, denn wenn die Zukunft des Naturkundemuseums von der Stadtpolitik immer wieder ausgebremst wird, sind auch alle Architekturvorschläge für Um- und Erweiterungsbauten erst einmal für die Schublade.
Und da diese Veränderungsprozesse eben nicht nur Leipzig betreffen, sondern alle post-industriellen Nationen, dürfte es an Betätigungsfeldern für die jungen Frauen und Männer, die in diesem Studiengang ihren Abschluss machen, nicht mangeln.
Tatsächlich müssten die Auftraggeber sogar Schlange stehen an dieser Hochschultür, denn die Veränderungsprozesse sind längst im Gang. Nur die Gelder fließen auch in Deutschland zum größten Teil weiterhin in überholte Strukturen, in von der Zeit überholte Konzepte.
Das Buch selbst dürfte für manchen Leser nicht nur eine Entdeckung sein, was die komplexe Welt der Leipziger Architektur-Ausbildung betrifft, sondern auch Anregung für so Manchen, der tatsächlich nicht nur von Veränderung redet, sondern sie auch mit Profis gestalten will. Brennende Probleme der modernen Stadtentwicklung sind durchaus angesprochen – die Discounterisierung und Filialisierung der Innenstädte zum Beispiel, die nicht nur ein Problem von Stadtgestaltung und Angebot ist, sondern auch eines von Verlust an Vielfalt, regionaler Verankerung und Unverwechselbarkeit.
Le Arch Zwanzig12
Annette Menting, Andreas Wolf, u.a., Poetenladen 2012, 14,00 Euro
Und wer sich die jüngst in Leipzig gebauten Einkaufscenter anschaut, sieht, dass hier zwar viel Trara um “Fassadenwettbewerbe” gemacht wurde – dass sie aber allesamt kein architektonischer Gewinn für die Stadt sind, denn sie definieren ihre “Center”-Rolle mit falschen Prämissen.
Bis zum 20. Juli kann man im Treppenfoyer im HTWK-Gebäude Karl-Liebknecht-Straße 132 eine Begleitausstellung zu diesem Buch besichtigen.
www.kulturdruck.poetenladen.de
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