Manch ein Leipziger fürchtet sich ja vor diesem Jubiläum 2013: 200 Jahre Völkerschlacht, 100 Jahre Völkerschlachtdenkmal. Zu oft wurden Schlacht und Denkmal einvernahmt für die falschen Zwecke. Auch den (falschen) Rummel fürchten manche. Ganz vergessen ist nicht, dass die Schlacht damals nicht nur zehntausende Soldaten das Leben kostete, sondern auch Leid und Not über den Ort der Schlacht brachte. Das Buch erzählt davon.
Es versammelt einige der Erlebnisberichte aus dieser Zeit. Keine Zeitungspropaganda, keine Schlachtenbeschreibung aus Siegerperspektive. Auch keine ruhmseligen Erinnerungen von Schlachtenteilnehmern. Die gibt es alle auch. Und wer wirklich einmal die Absicht hätte, die Schlacht in ihrer ganzen Wucht zu beschreiben, der hätte mehr als genug Material. Der würde auch darin ersaufen. Immerhin geht es um Ereignisse, die sich über fünf Tage hinzogen – nur in Filmen lassen sich Schlachten auf 5 Minuten zusammenschneiden.
Und die sieben hier versammelten Berichte zeigen – noch deutlicher als alle anderen Berichte, welche Rolle die Zeit bei diesen gewaltigen Materialschlachten spielt. Nicht nur die Zeit, all diese gewaltigen Truppenverbände nach Leipzig zu dirigieren. Noch im August hatte Napoleon mit dem Gedanken gespielt, die Entscheidungsschlacht gegen die Alliierten auf dem historischen Schlachtfeld von Lützen auszutragen. Es gibt Landschaften, die bieten sich geradezu an für den Aufmarsch von Armeen.
Dann aber schien ihm das Gelände um Leipzig viel besser geeignet. Hier boten Flüsse einen gewissen Flankenschutz. Und der Leser erfährt so nebenbei, wie Leute wie Napoleon & Co. denken, wenn sie Dörfer als strategische Verteidigungspunkte betrachten. Schon Wochen vorher, wenn deren Bewohner noch gar nicht ahnen, was sich da über ihren Köpfen zusammenbraut, die Ernte in die Scheunen bringen, ohne zu ahnen, dass es fremde Heere sein werden, die die Vorräte vertilgen. Ohne zu ahnen, dass ihre Häuser im Herbst geplündert und abgebrannt werden und mitten im Kugelhagel stehen.
Wie sich die Leipziger Umgebung durch den Aufzug der Truppen schon Tage vor Beginn der Schlacht veränderte, erzählen ein Pfarrer und eine Pfarrerstochter. Der Pfarrer ist Ludwig Wilhelm Gottlob Schlosser aus Großzschocher, der über sein Leben und seine Arbeit in Großzschocher Tagebuch führte. Theresa Schmotz hat die Aufzeichnungen für die “Chronik Großschocher-Windorf” aufbereitet. Der Abschnitt über die 1813er Ereignisse bot sich natürlich an für dieses Buch. Hier kann, wer will, nachlesen, wie selbst Dörfer, die nicht im direkten Schlachtfeld lagen, völlig ausgeplündert wurden.
Ähnlich ging es Seifertshain, wo die 16-jährige Auguste Vater die Ereignisse als Tochter des Pfarrers erlebte. Andere waren dann mittendrin in den Schlachtereignissen, die sich nur in Erinnerungen von Militärs als heroisch darstellen. Johann Daniel Ahlemann war Leipziger Totengräber – sein Haus stand gleich am (Alten) Johannisfriedhof, der in den Tagen der Schlacht praktisch alles war – provisorisches Gefangenenlager, Lazarett unter freiem Himmel, Beerdigungsstätte. Doch selbst für den Totengräber waren die Dinge, die er dort während und nach der Schlacht erlebte, apokalyptisch.
Und wenig anders erlebte der Theologiestudent Ferdinand Heinrich Grautoff das, was er bei seinen Gängen vors Hallesche und Ranstädter Tor nach der Schlacht sah. Das sind Dinge, die in den Schlachtenbeschreibungen der ewigen Militaristen nie auftauchen – die Leichenberge, die schiere Hungersnot, das völlige Ausgeplündertsein einer ganzen Region.
Ein Profi schilderte in einem eindringlichen Brief an den Freiherrn vom und zum Stein, wie überfordert die 34.000-Einwohner-Stadt Leipzig mit den Unmengen von Verwundeten war. 54 Lazarette wurden nach der Schlacht in Leipzig gezählt. Auf 25.000 wurde die Zahl der Verwundeten geschätzt. Und auch das, was der Arzt Johann Christian Reil in seinem Brief schildert, erzählt vom Fehlen des Nötigsten – denn was alles als “Lazarett” gezählt wurde, war ja nicht einmal nach damaligen Maßstäben eines. Die Soldaten lagen in Kirchen, Gasthäusern, Schulen oder sogar unter freiem Himmel auf dem nackten Boden, tagelang in den Uniformen, in denen sie verwundet worden waren, viele ebenso lange völlig unversorgt. Verständlich, dass gerade die Preußen versuchten, ihre Verwundeten so schnell wie möglich aus der Stadt zu schaffen. Reils Brief ist eine einzige flehende Bitte um Abhilfe. Dass er dann selbst zu einem Opfer der Tage später ausbrechenden Typhus-Epidemie wurde, gehört zur Tragik dieser Geschichte.
Alle Vorkehrungen halfen nichts, diese Epidemie zu verhindern. Und im Winter 1813/1814 starb ein Zehntel der Leipziger Bevölkerung daran. Dagegen war die Zahl der Zivilisten, die tatsächlich während der Schlacht von Marodeuren oder verirrten Geschossen umgebracht wurden, sehr gering, wie der Bibliothekar Robert Naumann später anhand von Leichenscheinen nachwies.
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In den Folgejahren versuchte der Kupferstecher Johann Jakob Wagner, die Zerstörungen in den Dörfern auf dem Schlachtfeld im Bild festzuhalten. Doch dafür war er wohl bei Friedrich Adam Oeser in die falsche Schule gegangen. Ohne die Texte von Ludwig Hußell und Johann Adam Bergk würde man nicht einmal vermuten, was in den Dörfern von Schönefeld bis Wachau an dramatischen Ereignissen passiert war. Die Bilder muten an wie dörfliche Idyllen aus dem 18. Jahrhundert, da und dort mit einer malerischen Ruine. Da waren es eher Zeichner wie Christian Gottfried Heinrich Geißler, denen es gelang, die Zerstörungen nach der Schlacht im Bild einzufangen. Seine Bilder sind ebenfalls im Buch zu finden.
Es ist eine Textsammlung geworden, die den Blick auf die Ereignisse im Oktober 1813 ändert, weg vom Säbelrasseln und Kanonendonnern hin zu den drastischen Folgen dieses großen Gemetzels für die Orte, die mitten in so einem Schlachtgeschehen liegen. Auch wenn gerade die später entstandenen oder überarbeiteten Texten erstaunlich gespickt sind mit dem Militär-Vokabular der Zeit. Was sicher ein spannendes Forschungsthema für Medienwissenschaftler wäre: wie die Sieger der Geschichte den Ereignissen bis in das Vokabular hinein ihre Deutung aufdrücken und selbst die tatsächlich Betroffenen diese Interpretationen übernehmen. In den Texten von Hußell und Bergk, die alle beide keine Militärs waren, wird es ganz deutlich. Da verwandelt sich genau die Landschaft, die für die zivilen Betroffenen der Ereignisse Lebensraum, Heimat, Feld und Spazierweg war, in ein Manöverfeld, werden Erhebungen wie der Kolmberg oder Dörfer wie Probstheida zu strategischen Punkten, Aufmarschgelände und Verteidigungspositionen für Regimenter, Füsiliere, Kavallerie und Detachements.
Es ist keine heutige Erfindung der Kriegsberichterstatter, Krieg und Schlachten zu verharmlosen. Auch 1813 ff. neigte man ganz offiziös dazu, die Schäden jenseits der Erfolge zu verharmlosen oder ganz auszublenden. Umso wichtiger war natürlich die Arbeit von Leuten wie Robert Naumann, die die Augenzeugenberichte der Zeit versuchten zu sammeln und auch die wirklichen Schadenszahlen zu ermitteln. Letzteres augenscheinlich mit recht geringem Erfolg.
Zeugen des Schreckens
Thomas Nabert (Hrsg.), Pro Leipzig 2012, 14,00 Euro
Es ist die Verharmlosung des Kriegsgemetzels, die immer wieder Heldenmythen und nationalistischen Pomp ermöglicht. Das soll 2013 auch bei den Veranstaltungen um das Jubiläum thematisiert werden. Das Stadtgeschichtliche Museum plant zum Beispiel eine Ausstellung “Helden nach Maß”, die die Legende von den “Befreiungskriegen” und den 1913 zelebrierten Gründungsmythos hinterfragt. Und auch Yadegar Asisi plant ja bekanntlich kein Panorama-Bild, das die Schlacht illustriert, sondern eines, das die “Wirren” ins Bild bringt, die Auswirkungen des großen Tötens auf die damals tatsächlich noch kleine und enge Stadt Leipzig und ihre Bewohner.
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