Ein ein paar wenige Bücher gibt es über einige ostdeutsche Unternehmen, die es geschafft haben, die deutsche Vereinigung zu überstehen. Es sind meist kleine Heldengeschichten, die zeigen, dass sie es trotzdem geschafft haben. Trotz der gebetsmühlenartig wiederholten Phrasen von Politikern und Managern, im Osten sei sowieso alles marode gewesen. Über die Interflug gibt es jetzt dieses dicke Buch. Auch sie hätte es schaffen können.
Klaus Breiler, selbst einst Pilot und Fluglehrer, der zwischen 1957 und 1997 tausende Flüge absolvierte, hat sich die deutsche Luftfahrt einmal aus ostdeutscher Perspektive vorgenommen. Er ist ein Enthusiast, wie so viele, die mit der Fliegerei zu tun haben. Wie so viele, die Bücher über Flughäfen und Flugzeuge schreiben. In der Welt, in der er lebt, ist der alte Enthusiasmus aus der Zeit der Lilienthal, Wright und Junkers noch lebendig, der uralte Traum vom Fliegen, der vor 130 Jahren noch etwas für Hasardeure war, später etwas für Gutbetuchte. Zum Massengeschäft wurde die Fliegerei erst nach dem letzten Weltkrieg und zwei Fluggesellschaften stehen dafür bis heute als Synonym: die Lufthansa und die Interflug.
Eigentlich sogar zwei Mal Lufthansa, denn beide Gesellschaften stehen in der Tradition der einstigen deutschen Lufthansa, die in den 1920er Jahren unter leichtem staatlichen Druck entstand. Damals wusste man noch, dass man funktionierende Mobilitätsnetze nur aufbauen kann, wenn die Entwicklung aus einer Hand erfolgt. Denn dass das Flugwesen auch Grenzen überschreiten und internationale Verknüpfungen schaffen muss, war den Akteuren ebenfalls klar. Deswegen sind die Dessauer heute noch stolz auf ihre Junkers-Geschichte, denn Junkers schrieb Luftfahrtgeschichte mit der Entwicklung der ersten marktfähigen zivilen Passagiermaschinen. Als Junkers-Flugzeuge mit deutschen Piloten den Tod in die Welt trugen, hatte man Hugo Junkers längst aus dem Konzern gedrängt.
Die frühe deutsche Luftfahrt ist in großen Teilen eine ostdeutsche Geschichte, in der neben Dessau auch Berlin und Leipzig eine Rolle spielten. Deswegen ist sie in Breilers Buch ausführlich beschrieben. Nur beim Kapitel Nationalsozialismus hält er sich zurück. Das könnte man als Manko empfinden – gäbe es nicht gerade über diese Periode der kriegerischen deutschen Luftfahrt längst bergeweise apologetische Literatur. Und da die Kriegsfliegerei für Breiler sowieso keine Rolle spielt, kann er fast nahtlos übergehen zu den Neuanfängen nach 1945 und dem frühen Versuch der DDR, nicht nur eine eigene Passagierflotte zu schaffen, sondern auch eine eigene Flugzeugproduktion auf die Beine zu stellen, was ihr am Standort Dresden, wo auch der legendäre Düsenklipper 152 entstand, auch gelang.
Die DDR hätte mit dem Flugzeug zu einem Lieferanten für die Fluggesellschaften in aller Welt werden können. Wurde sie nicht. Per Parteibeschluss und wohl auch auf die Beschlüsse des RGW hin wurde die Produktion in Dresden mit einem Federstrich beendet. So dass die 1957 gegründete Lufthansa, die wenig später die Namenskonkurrenz im Westen bekam, nur teilweise mit Flugzeugen aus dem eigenen Land – den in Dresden gebauten IL 14 flog, aber eigentlich vom Tag der Gründung an lernen musste, auf Flugzeugbestellungen aus der Sowjetunion jahrelang zu warten. Weshalb die berühmte IL 18 auch dann noch Flaggschiff der Interflug war, als alle Welt schon mit Düsenflugzeugen unterwegs war. Übrigens bis in die 1980er Jahre, als selbst die SED-Führung die Geduld mit den sowjetischen Lieferfristen verlor und im Westen zwei Airbus 310 einkaufen ließ, die 1988 in den Dienstbetrieb gingen.
Womit man schon beim übernächsten Kapitel der politischen Streiche wäre, denn es ist ein eigenes Kapitel, wie diese beiden wertvollen Maschinen mit ein paar wenigen Federstrichen zu Regierungsmaschinen der Kohl-Regierung wurden.
Breiler schildert recht ausführlich nicht nur den Modernisierungsprozess der Interflug, die in den 1970er Jahren freilich auch in den Militarisierungsprozess der Honecker-Regierung einbezogen wurde – mit teilweise lächerlichen Manöverübungen. Er geht auch auf das wachsende Liniennetz ein, die Flughafenentwicklung (zu der auch Leipzig gehört) und die internationalen Hilfsaktionen, an denen die DDR eben nicht nur verbal, sondern mit praktischer Hilfe teilnahm. Er geht auf die neu gegründeten Tochtergesellschaften ein, zu denen unter anderem die Agrarfliegerei gehörte – ebenfalls ein Kapitel, das in der Zeit des Wirkens der Treuhand höchst seltsam endete.
Und er spickt gerade den letzten Teil des Buches, der sich diesem Kapitel widmet, mit Dokumenten, die zumindest ahnen lassen, was da hinter verschlossenen Türen passierte. Denn alles deutet darauf hin, dass die Interflug 1990 eine nicht nur überlebensfähige, sondern auch finanziell gut ausgestattete Unternehmung war mit einem Unternehmenswert im hohen dreistelligen Millionenbereich. Dennoch bestimmte die Treuhand einen Liquidator, der mehrere Jahre und mit dem erstaunlichen Honorar von über 6 Millionen Euro damit beschäftigt war, die Gesellschaft auszulöschen. Denn das heißt ja Liquidation.
Am Ende wurde auch noch der Name Interflug an einen obskuren Unternehmer aus der Türkei verscherbelt. Die Flugzeuge, sofern sie nicht überglücklich vom Bund übernommen wurden, wurden verschrottet, die Immobilien, die selbst Millionenwerte waren, wurden verkauft.
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Zwangsläufig streift Breiler auch die Zeit, als die Entscheidungen für den neuen Flughafen Berlin-Schönefeld gefällt wurden. Auch das war Anfang der 1990er Jahre. Und während heute die einschlägigen Medien für den Biertisch auf den Berliner Regierenden Bürgermeister eindreschen und ihn zum Sündenbock für alle Fehlplanungen und Verzögerungen machen, erfährt man hier beiläufig, wie sich die Bundesländer Berlin und Brandenburg und der Bund damals zusammentaten, um den neuen Großstadtflughafen zu bauen – gedacht ursprünglich als drittes großes Drehkreuz für die Bundesrepublik (neben Frankfurt und München). Doch dazu dauerten die Planungen zu lange, hätte der Flughafen schon Ende der 1990er Jahre in Betrieb gehen müssen.
Heute sind die Karten verteilt, der Konzentrationsprozess der Airlines ist längst im Gang. Natürlich ist völlig offen, ob es die Interflug auch dann noch gegeben hätte, wenn man sie ab 1991 nicht einfach zugunsten anderer Konkurrenten liquidiert hätte. Dass sie 1991 wohl keineswegs reif war für den Ausverkauf, steht möglicherweise in den Akten der Treuhand. Wie so manche durchaus dubiose Geschichte aus diesem Ramschverkauf der Ostwirtschaft, der dem Osten bis heute einen Wettbewerbsnachteil gegenüber dem Westen von 20 bis 30 Prozent beschert.
Nicht ohne Grund wurden die Treuhand-Akten für 30 Jahre unter Verschluss gestellt. Das ist genau die Frist, die alle vermutbaren Verdachtsfälle verjähren lässt. Und weil bei diesem Spiel, bei dem sich einige Unternehmen und viele dubiose Berater goldene Nasen verdienten, auch wirtschaftliche Interessen im Spiel sind, die auch 2020 oder 2025 noch gelten, darf man wohl vermuten, dass viele Akten dann etwas dünn aussehen werden. Oder verschwunden sind.
Vom Fliegen und Landen
Klaus Breiler, Passage-Verlag 2012, 35,00 Euro
Ein Kapitel beschäftigt sich dann auch noch mit dem Flughafen Leipzig/Halle und seinem Aufschwung als Frachtflughafen – und enthält den durchaus sinnvollen Appell an die Betreiber, beim Betrieb den Konsens mit den Bewohnern der Region zu suchen. Nur dann könne auch ein von Natur her lärmintensiver Flugverkehr die nötige Akzeptanz vor Ort finden. Was natürlich – das merkt Breiler auch an – eine andere Gesetzgebung für die obligaten Fluglärmkommissionen voraussetzt. Die sind nämlich – vom Gesetzgeber so gewollt – Vermittlungsinstrument des Flughafens, um seine Politik mit den kommunalen Vertretungen abzustimmen. Besser wäre eine unabhängige Installation des Gremiums, in dem die Betreiber eines Flughafens auch wirklich verpflichtet wären, die Kritik aus dem Umfeld ernst zu nehmen und entsprechend Vorkehrungen zu treffen.
Ein durchaus komplexes Buch, das diesmal nicht im fröhlichen Hosianna auf die Fliegerei verharrt, sondern politische und wirtschaftliche Entscheidungen und Rahmenbedingungen mitbeleuchtet.
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