Görlitz machte im letzten Jahr von sich Reden. Da fand - bis Ende Oktober - im Kaisertrutz die große sächsische Landesausstellung zur Via Regia statt. Bei einem solchen Großereignis überschneiden sich auch schon mal die Buchtitel. In diesem Fall begegnet die Westentaschen-Serie des Buchverlags für die Frau der "An einem Tag"-Serie des Lehmstedt Verlags. Beide Leipzig.
Und auch Ralf Pannowitsch, der das Westentaschen-Büchlein für den Buchverlag für die Frau geschrieben hat, ist Leipziger. In Greifswald geboren, lebt er in Leipzig als Lehrer, Gärtner und Übersetzer aus dem Englischen und Französischen in Leipzig. Unter anderem hat er die Bücher des französischen Psychologen François Lelord übersetzt. Bücher, die im Grunde eine ganz simple Botschaft haben: Du musst dich für dein Leben hier auf Erden wieder begeistern. Das ist es wert.
Logisch, dass man sich dann auch für all das begeistern kann, was man da findet. Eine tausendjährige Handelsstadt an der Via Regia zum Beispiel, die in den letzten Jahren erst wieder so richtig aufgeblüht ist, weil ihre architektonische Schönheit wieder erstrahlt. Görlitz gehört zu den schönsten Städten Sachsens und kann mit dem Heiligen Grab, dem ehemaligen Kaufhaus zum Strauß oder dem denkmalgeschützten Bahnhof Kleinode vorzeigen, die einzigartig in der Landschaft sind.
Dass außerdem die Altstadt selbst die Zeiten von Krieg und Mangelwirtschaft überdauert hat, macht den Ausflug erst recht lohnenswert. Und Pannowitsch schwärmt. Als wäre er selbst Görlitzer geworden. Und ein bisschen darf man das ja auch. Gerade in diesen sparwütigen Zeiten, in denen ganze Bundesländer in Rettungsboote verwandelt werden, als drohe demnächst der Weltuntergang.
Dabei könnte gerade Sachsen mit seiner reichen Städte-Landschaft wuchern. Das sind nicht nur museale Schönheiten. Das sind auch architekturgewordene bürgerliche Engagements. Görlitz war Mitglied des Sechs-Städtebundes. Gehörte mal zu Ungarn, zu Böhmen, zu Preußen und zu Sachsen. Nach 1990 träumten ein paar Visionäre davon, die Stadt könne wieder zur Drehscheibe nach Osteuropa werden, wie sie es über Jahrhunderte war. Das passierte so nicht. Denn das setzt einen Grad an Souveränität voraus, den sächsische Städte nicht haben. Selbst Leipzig, das seit 22 Jahren um eine ähnliche Rolle kämpft, wird an der Kandare gehalten. Hinter jeder Sparpolitik steckt immer eine panische Bürokratie, die alles und jedes – und vor allem jeden Euro – bis zur letzten Quittung kontrollieren will.
Dass sie dabei Entwicklungen verhindert, weil sie Angst vor selbstständigen politischen Akteuren hat – man wird es in den Bilanzen sehen. Später. Wenn das ganze Land ein Museum ist und in den leuchtenden Städten an der Via Regia nur noch die Senioren aus dem Fenster schauen. Hübsch saniert ist das jetzt alles. Aber was wird in 20, 30 Jahren? Wenn man begreift, dass zentrales Knapphalten und Verwalten die Dinge nur schlimmer gemacht hat?
Noch ziehen auch die großen Namen nach Görlitz/Zgorcelec. Denn seit 1945 ist Görlitz ja eine doppelte Stadt. Seit 1990 blüht auch der polnische Teil östlich der Neiße wieder auf. Die berühmte Fußgängerbrücke, die 2004 eingeweiht wurde, verbindet Görlitz mit dem EU-Partner.
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So kann man auch das einstige Wohnhaus des Philosophen Jakob Böhme wieder zu Fuß besuchen. Böhme, der in den Dingen, die er so genau beim Schuhmachen betrachtete, die ihnen innewohnende Veränderung sah. Entwicklung als Grundprinzip der Welt. Das gefiel sogar Karl Marx. Den Marxisten dann schon nicht mehr. Die fanden so was konterrevolutionär.
Görlitz war augenscheinlich immer ein Ort, der zum Denken und Dichten anregte. Der schwedische Dichter Gustav Fröding fand hier seinen Weg zu sich selbst, Paul Cassirer wurde später in Berlin der Verleger für die Avantgarde Deutschlands. Und Arno Schmidt gilt ja als Experimentator vom Feinsten.
Auch ein paar Görlitzer Sagen hat Pannowitsch in seinem Büchlein untergebracht. Die Sagen machen neugierig auf einen Teil der Stadt, den man nur kennenlernt, wenn man keine Angst vor dunklen Gängen und Kellern hat – die Görlitzer Unterwelt. Die logischerweise älter ist als die Häuser, die oben drauf stehen. Und die Häuser selbst sind – aus Leipziger Sicht – alle sehr alt.
Noch ein paar Ausflugstipps in die Umgebung, fertig das Wochenende. Denn es gilt ja auch für Görlitz: Wer’s wirklich in- und auswendig kennen lernen will, braucht mehr als einen Tag. Mit einem einfachen Busausflug ist das nicht zu schaffen. Da hat man eigentlich gar nichts davon. Das braucht schon ein richtiges Wochenende mit Übernachtung und frühem Aufwachen, wenn von der Frauenkirche und der Dreifaltigkeitskirche die Glocken läuten. Dann hat man die richtige Stunde, um die Tour auch durch all die Hinterhöfe zu machen, die teilweise italienisches Flair haben. Kaffeepause ist dann auf dem Untermarkt im Ratscafé, noch so ein alter Renaissancebau, der zeigt, was vor 500 Jahren eine stolze Bürgerstadt war.
Nur wer im Kaisertrutz die Via-Regia-Ausstellung besuchen will, kommt nun ein Jahr zu spät. Künftig soll hier eine Galerie der Moderne einziehen.
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