Schön zu wissen, dass es in Magdeburg einen Bahnhof gibt. Man kann mit dem Zug hinfahren. Und landet auf einer Baustelle. Bis 2017 wird er für 300 Millionen Euro umgebaut. Dafür bekommt der Gast 1.200 Jahre Geschichte. Oder besser: das, was davon noch übrig ist.
Denn 1944 und 1945 rasierten die Bombenhagel auch Magdeburg, löschten die alte – von Barock, Gründerzeit und Jugendstil geprägte – Innenstadt fast völlig aus. Und der Leipziger fühlt sich in der Ernst-Reuter-Allee gleich fast wie zu Hause. Denn hier entstanden – zeitgleich mit den Bauprojekten in der Berliner Stalinallee und am Leipziger Ring – genau dieselben Wohnbauten im “Zuckerbäckerstil”, die heute überall dort, wo sie stehen, als die profundeste Wohnarchitektur gelten, die in der DDR gebaut wurde. Fresken erzählen noch den Ursprungs-Mythos der DDR, rühmen Arbeiter, Architekten und Ingenieure.Dass die Allee anstelle einer Bombenschneise entstand, erfährt der Besucher aus diesem Ein-Tages-Führer, mit dem man wieder fußläufig den Kern und das Wichtigste der 805 erstmals erwähnten Stadt erlaufen kann. Auch die schön sanierten und erhaltenen Relikte dieser Zeit, die heute noch Besucherscharen in die Hauptstadt Sachsen-Anhalts locken. Denn ohne Magdeburg gäb’s den heutigen deutschen Osten so nicht. Von hier aus wurde die Ostexpansion unter den Sachsen-Kaisern organisiert, hier war mit der Errichtung des Erzbistums Magdeburg der Ausgangspunkt der Christianisierung der Slawen.
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Im Magdeburger Dom ließ sich Otto I. begraben. Samt seiner geliebten Editha, die fast 30 Jahre vor ihm starb – deren Herkunft aus England die Archäologen jüngst erst mit einer Isotopenanalyse nachweisen konnten. “Es ist Editha!” jubelte im Juni 2010 die “Süddeutsche”. Und nicht nur der Dom, den Erzbischof Albrecht II. 1207 nach einem verheerenden Stadtbrand nach französischem Vorbild neu errichten ließ, lockt die Geschichtssucher in die Stadt an der Elbe. Auch das Kloster Unser lieben Frauen, irgendwann zwischen 1015 und 1018 gegründet, tut das – auch wenn hier heute moderne Kunst zu besichtigen ist, die alte Klosterstruktur ist trotzdem noch zu bestaunen. So etwas haben die Leipziger nicht mehr zu bieten, auch wenn sie in diesem Jahr den 800. Jahrestag der Gründung des Thomasklosters feiern.
Für Magdeburg ist das natürlich ein historischer Glücksfall. So erst hat die Straße der Romanik auch hier ihre wichtigen Ankerpunkte. Dazu das Haus der Romanik, in dem man sich über die Machtstrukturen im Hoch- und Mittelalter informieren kann. Gleich um die Ecke die beeindruckenden Reste der alte Stadtbefestigung – wie die Bastion Cleve, die erst bei Ausgrabungen von 2004 bis 2008 wieder ans Tageslicht kam. Die Magdeburger hatten einfach Erde drübergekippt, um einen Park drauf zu pflanzen. Jahrhundertelang dominierten in Magdeburg Kirche und Militär. Nach 1815 war’s auch die Hauptstadt der preußischen Provinz Sachsen.
Auf mindestens zwei Soldaten sind die Magdeburger bis heute stolz – auf den “Alten Dessauer”, der Magdeburg im 18. Jahrhundert zur größten Festung Preußens umbauen ließ, und auf Friedrich Wilhelm von Steuben, preußischer General, der aus der amerikanischen Rebellen-Armee gegen die Engländer eine schlagkräftige Truppe formte. Das Steuben-Denkmal in der Harnackstraße ist ein Nachguss des Denkmals, das in Washington am Weißen Haus steht.Es gibt auch friedliche Magdeburger – der berühmteste wohl Otto von Guericke, Bürgermeister und Naturforscher. Natürlich hat er ein Denkmal. Das Otto-von-Guericke-Museum findet man in der Lukasklause – auch das ein Stück ehemaliger Stadtbefestigung. Man braucht trotzdem gutes Schuhwerk, denn wirklich kompakt wie andere Innenstädte ist die Magdeburger nicht. Schon seit Beginn an, denn die Stadt entwickelte sich um zwei Kerne. Der eine ist der bürgerliche um den Alten Markt herum, an dem auch das Rathaus steht und der 1240 entstandene “Goldene Reiter”, das älteste Denkmal dieser Art in Deutschland, das wohl Otto I. darstellen soll. Das Original steht heute im Kulturhistorischen Museum (Punkt 25 der Route), auf dem Alten Markt (Punkt 4) steht seit 2000 eine vergoldete Replik. Vielleicht als Magdeburger Gruß nach Dresden, wo bekanntlich der vergoldete August reitet.
Zweiter historischer Mittelpunkt war der Neue Markt (Routen-Punkt 15), der heutige Domplatz, der auch historisch der große Markt am Kreuzungspunkt der Handelswege war, Sitz der Bischöfe sowieso. Und heute auch Sitz des Landtages von Sachsen-Anhalt.
Wer flink ist, schafft es noch rechtzeitig zum Routen-Punkt 22, dem Hasselbachplatz, wo die Magdeburger Kneipenmeile zur Einkehr einlädt. Da ist man noch nicht ganz herum auf dem Weg, der wieder nordwärts zum Bahnhof führt. Ein paar Kleinode hat man da noch vor sich. Das Kulturhistorische Museum zum Beispiel und die Grüne Zitadelle, das letzte Hundertwasser-Projekt, das nach seinem Tod noch umgesetzt wurde. So lebendig können Häuser aussehen.
Magdeburg an einem Tag
Günter H Müller, Lehmstedt Verlag 2012, 4,95 Euro
Natürlich lohnt es sich schon dafür, mal nach Magdeburg zu fahren. Aber das ganz alte Magdeburg dabei nicht zu besuchen, wäre schon ein bisschen schade. Und wer pfiffig ist, der hebt sich Routen-Punkt 13 für den Schluss auf – die Johanniskirche. Hier kann man noch bis 40 Minuten vor Kirchenschließung auf den Turm steigen und aus 52 Meter Höhe über die Stadt und die Elbe schauen. Oder zum Bahnhof, ob der Zug schon da steht, mit dem man wieder nach Süden fährt.
Artikel im Juni 2010 über Edithas Herkunft in der “Süddeutschen”: www.sueddeutsche.de/wissen/geschichtsforschung-es-ist-editha-1.961579
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