Es ist ein Buch wie extra geschrieben für die aktuelle Leipziger Kulturdebatte. Dabei hat Eva Pehl die Fakten schon 2010 für ihre Dissertation im Fach Kulturwissenschaften an der Universität Hildesheim zusammengetragen. Sie hat sich dafür extra durch die Leipziger Archive gewühlt. Denn: Wissen denn die Leipziger selbst, wie ihre Kultureinrichtungen entstanden sind?

Etliches ist bekannt und wird auch immer wieder erzählt. Aktuell im Zusammenhang mit der Notenspur und der Musikstadt auch immer wieder gern die Entstehung des Gewandhausorchesters. 2008 wurde die Sache mit dem Bildermuseum thematisiert, weil’s 150 Jahre alt wurde. Das Stadttheater war 1993 mal Thema – im Zusammenhang mit der Gründung des ersten Opernhauses in Leipzig – 300 Jahre zuvor.

Man weiß eine Menge über die wichtigen Jahre, auch über die entscheidenden Männer (es waren zumindest in den Akten wieder fast alles Männer, fast …). Aber über das Warum hat man sich eher keine Gedanken gemacht. Man hielt das seit Wustmann & Co. für Selbstverständlichkeiten, dass eine große Handelsstadt wie Leipzig sich auch eine Oper, ein Orchester, ein Stadttheater, ein Kunstmuseum zulegt. Und noch ein paar andere Sachen. Gehört ja zur Reputation. Und leisten konnte man sich das sowieso alles. Zeitweilig waren ja die Leipziger Kaufleute die reichsten Pfeffersäcke im Reich, die Stadt eine der reichsten. Im Rat der Stadt wurde nicht darüber diskutiert, ob man investiert, sondern was als Nächstes dran ist. Und die Kultur wurde dem Rat quasi auf den Tisch gekippt. Spätestens im 19. Jahrhundert auf jeden Fall. Das war das Jahrhundert der großen Stiftungen.

Eva Pehl sieht viele Ähnlichkeiten zur heutigen Zeit. Das kann trügen. Trügt wohl auch. Die Unternehmen, die heute aus Image-Gründen Sponsoring im Kulturbereich betreiben, tun das nur zu Teilen aus den selben Gründen wie die Stifter des 18. und 19. Jahrhunderts. Die Eitelkeit ist eine andere. Denn Haupttriebkraft – neben vielen anderen – ist die Eitelkeit. Manchmal schön umschrieben mit dem Wort Repräsentation.

Wer nicht politisch mitreden darf, aber das Geld dazu hat, der zeigt wenigstens da, wo er schafft und Geld verdient, dass er es hat. Davon zeugt über die Jahrhunderte die Pracht der Leipziger Bürgerhäuser. Davon zeugten auch die vielen sozialen Stiftungen, ohne die weder Armen-, Kranken- noch Waisenhäuser entstanden wären. Es waren die reichen Bürger der Stadt, die sich hier in der Pflicht sahen. Und sei es nur aus dem wohl vertrauten Motiv heraus, das Elend von der Straße zu schaffen. Die Klügeren unter den Reichen begriffen sehr schnell, dass derlei Wohltaten auch der Stadt bekamen. Sie wurde gesünder und attraktiver. Es lebte sich besser darin.

Ein Neid blieb immer: Man wollte konkurrenzfähig werden auch mit der Elite des Landes, den Adligen. Man schielte durchaus nach Dresden. Denn der Fürst leistete sich was auf Kosten seines Volkes: prächtige Paläste, Galerien, Theatergruppen, Orchester, Oper … Die Dresdener hatten das alles. Die Leipziger mussten nach Dresden fahren, wenn sie einen Zipfel der schönen Muse sehen wollten. So entstand all das, was sich im 18. Jahrhundert in Leipzig als Kunstinstitution entwickelte, auch aus einem Nachahmerdrang. Die 37 Kunst- und sonstigen Kabinette und privaten Sammlungen zum Beispiel, in denen man die Sammlungen der Fürsten nachahmte. Aber auch die diversen Orchester, die anfangs noch die amtlich bestellten Ratsmusiker brauchten, um einen Spielbetrieb aufrecht zu erhalten. Und die etwas im ganz Besonderen waren: elitär. Ganz im modernen Sinn, denn die Abonnements – bis hin zum berühmten Großen Konzert – konnten sich nur die reichen Kaufleute, Beamten und Professoren leisten. Erst die Abonnements machten eine Professionalisierung möglich. Wer so ein Abonnement hatte, gehörte zur High Society, wie das heute heißt. Was auch erklärt, warum selbst begnadete Musiker und Komponisten vor den Auftritten im Gewandhaus zu Leipzig eine panische Angst hatten: Das Leipziger Publikum konnte gnadenlos sein, weil es immer wusste: Die Institution lebt von unserem Geld. Wir bestimmen hier, was gespielt wird.
Das Besondere dabei: Diese reichen Leipziger Kaufleute hatten trotzdem ein Gefühl für das Gute. Sie strengten sich an. Auch deshalb stand schon im ersten Gewandhaus, das sie sich 1781 leisten, zu lesen: “Res severa gaudium gaudium.” Eine ernste Sache ist das mit der Freude. Das bedeutete immer mehrerlei. Auch das, was sich die Herren im Publikum und im Direktorium dachten: Wir haben uns für dieses Vergnügen so richtig ins Zeug gelegt. Wir haben dafür geschuftet! Es ist unser Geld! Und unser Vergnügen.

Es bedeutete aber auch: Wir haben uns angestrengt, was Gutes draus zu machen. Denn einfach so bisschen Spaß machen kann jeder. Wer ein richtig tief gehendes Kunsterlebnis haben will, der muss dafür was Professionelles auf die Beine stellen. Das hat seinen Preis. Deswegen waren Gewandhauskonzerte bis zum Ende des 19. Jahrhunderts eine für den normalen Leipziger unerschwingliche Sache. Man schuf sich für viel Geld einen Kunstgenuss – nutzte das aber auch gnadenlos zur Präsentation.

So viel anders war es mit den Kunstsammlungen auch nicht. Auch wenn das heute grandios wirkt, so aus der historischen Dimension: Das Bildermuseum entstand ja nicht nur aus den gespendeten Sammlungen reicher Leipziger Kaufleute. Der erste Museumsbau am Augustusplatz wurde ebenso aus Stiftungen finanziert. Und es ging da nicht um vier- oder fünfstellige Kleckerbeträge wie heute. Hinter den Stiftungen standen keine anonymen Unternehmen, sondern Leipziger Kaufleute, die ihren Namen verewigt wissen wollten, indem sie ihre Sammlungen und Vermögen der Stadt hinterließen – mit knallharten Auflagen. Was den Rat natürlich – wie im Fall Schletter – unter Zugzwang setzte.

Aber es sei auch nicht vergessen: Der Rat war auch im 19. Jahrhundert ein Kollegium, in dem die Reichen und Präsentablen unter sich waren. Die Herren mit den Rauschebärten trafen sich auch in ihrer Freimaurerloge, im Großen Konzert oder auf dem Börsenparkett. Die wussten noch mit Namen, wen sie mit ihren Stiftungen unter Zugzwang setzten und mit wem sie alles schon über ein einzurichtendes Kunstmuseum gesprochen hatten. Seit 20, 30 Jahren. Irgendwann wurde es seinerzeit auch den Rauschebärten mal zu viel. Da konnten sie auf feine kaufmännische Art grantig werden. Ging ja nicht nur um ihr bisschen Nachruhm, ging ja auch damals schon um die Konkurrenz der Städte.

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Um genau das, was heutige Marketing-Schwadroneure als neue Erfindung preisen: Standortwettbewerb. – Das war nie anders. Und das wussten die Leipziger Handelsherren immer. Sie schielten ja nicht nach Hamburg und Berlin, weil die da schönere Frauen hatten. Die Herren wussten sehr genau, dass den richtig großen Reibach nur die Städte machten, die mit ihren Pfunden wucherten. Und die nicht nur Gasanstalten bauten und Bahnhöfe, sondern auch kulturelle Schmuckstücke, die dem staunenden Volke zeigten: Guckt mal, was wir uns hier leisten können.

Nicht ohne Grund zitiert Eva Pehl die Ergebnisse der Enquete-Kommission Kultur des Bundestages, die bis 2009 tagte und die dem deutschen Volke in ihrem Abschlussbericht immer wieder die Stifterkultur der heutigen USA unter die Nase rieb. Als Vorbild. Obwohl nicht nur in Leipzig ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass alle großen Kultureinrichtungen hierzulande genau so entstanden sind und ohne bürgerliches Präsentationsbedürfnis auch nie entstanden wären. Es gab noch ein paar andere Motive, die eine Rolle spielten. Auch für das Bürgertum war Kulturfinanzierung immer komplex – und es ist kein Zufall, dass alle wichtigen Institutionen ihren Ursprung in der Zeit der Aufklärung haben, einem Zeitalter, das eine neue Welthaltung mit sich brachte.

Und Eva Pehl zitiert dafür die nicht ganz so berühmte Definition, die der Berliner Philosoph Moses Mendelssohn für die Aufklärung fand: “Nach Wahrheit forschen; Schönheit lieben; Gutes wollen; das Beste thun.” Aufklärung als moralische Haltung. Deswegen spielen in Leipzig auch die Universität und der Bildungsgedanke bei allen Kulturgründungen eine wichtige Rolle. “Volksbildung war also ein wichtiges Ziel der Aufklärung”, schreibt Eva Pehl bei der Gelegenheit. Das stimmt leider nicht so ganz. Die Aufklärung war zuallererst ein Diskurs von Gebildeten miteinander. Auch in den aufkommenden Kaffeehäusern.

Das ist ein Problem der Aufklärung bis heute: Sie setzt den allseitig gebildeten Menschen voraus. Den es in der gewünschten Breite nicht gibt. Die Erfahrung machten auch die diversen Intendanten des Leipziger Stadttheaters. Richtig voll wurde der Bau auf der Rannischen Bastei nur, wenn man die Lust- und Singspiele ansetzte, die das Volk sehen wollte. Was immer noch eine Frage des Preises war. Aber preiswerte Billetts fürs Theater waren für deutlich mehr Leipziger erschwinglich als ein Abonnement fürs “Kaufmannskonzert”.

Die Intendanten hatten immer den Spagat zu probieren zwischen künstlerischen Anspruch und plattester Unterhaltung. Und was Pehl recht deutlich herausarbeitet: Die Bürger, die in die Kultureinrichtungen investierten, regierten auch hinein. Etwas, was sich heute jedes der drei hier abgehandelten Häuser verbitten würde. Auch wenn heute genauso vom Bürger die Rede ist. Wer die Begriffe gleich setzt, macht freilich schon einen Fehler. Der heutige Stadtbürger ist zwar der Souverän, der auch OBM und Stadträte wählt – aber er ist nicht identisch mit den reichen Bürgern, die bis ins 19. Jahrhundert hinein die Stadt dominierten – einfach durch ihr Geld.

Auch sie hatten eine stille Furcht vor Neiddebatten und vor Kritik an ihrer Prunksucht. Auch deshalb öffneten sie ihre Gärten und Sammlungen der Öffentlichkeit, machten ihren Reichtum per Testament zum Allgemeingut.

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Res severa verum gaudium
Eva Pehl, Leipziger Uni-Verlag 2012, 28,00 Euro

Das ist lange her. Und wer an diese Art Mäzenatentum in Deutschland heute wieder appelliert, der hat irgendwie nicht mitbekommen, was sich in Deutschland in den letzten 100 Jahren verändert hat. Wer amerikanische Verhältnisse will, der will zurück ins 19. Jahrhundert. Dass die Kommunen seit Jahrzehnten die Finanzlast der großen Kulturhäuser tragen, ist in Zeiten einer völlig chaotischen Steuerpolitik natürlich eine schwere Last für die Stadthaushalte. Doch auch der Blick in die Geschichte zeigt, wie sensibel das Thema ist und dass es um einige der alten Gründe, “sich Kultur zu leisten” heute immer noch geht. Denn irgendwie ist die Art von gebotener Kultur immer noch weithin sichtbarer Gradmesser für die Klasse einer Stadt.

Dumm nur, wenn’s nicht ordentlich vermarktet wird und untergeht in einem Halligalli der Volksbelustigungen. Manchmal ist weniger tatsächlich mehr. Man muss nur rausfinden, wo.

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