Kinderbücher hat er geschrieben, Vorlagen für "Tatorte". Aber bekannt wurde der Leipziger Jan Flieger als Krimi-Autor. Schon in DDR-Zeiten schrieb er Krimis, die weit über das Übliche hinausgingen, zeichnete in seinen Büchern auch die finsteren Seiten des Menschen. Doch seit 1996 war kein neuer Krimi aus seiner Feder erschienen. Mit dem jetzt vorgelegten Buch geht er wieder in die Tiefen der menschlichen Hölle hinab.
Der fhl Verlag reiht das Buch zwar wieder in seine Krimi-Reihe ein. Aber ein Krimi ist es nicht. Auch kein Norwegen-Krimi. Auch wenn das natürlich nobel klingt, denn der norwegische Krimi hat – im Gefolge des schwedischen – auch längst seinen Platz in der erfolgreichen skandinavischen Krimi-Landschaft gefunden. Knut Faldbakken oder Karin Fossum seien da nur zu nennen. Mit Faldbakken hat Flieger sogar das Geburtsjahr gemeinsam: 1941. Doch das war’s auch.
Vielleicht sollte der fhl Verlag einfach eine neue Serie aufmachen. Mit Psycho-Thrillern. Denn das hier ist einer. Vielleicht ist es einer der Gründe für Flieger, warum er so lange schwieg. Denn wie platziert man Bücher am Markt, die eigentlich nicht in die üblichen Formate passen? Dies hier ist die Geschichte einer psychologischen Mausefalle. Wer Simenons Non-Maigrets mag, bekommt auch hier sehr schnell das Gefühl, in der Haut eines Getriebenen zu stecken, der zwar rational einschätzen kann, was er tut – und trotzdem ohne Innehalten auf sein Ziel zusteuert. Bachmann will Rache.
Er will den Mörder seiner Tochter umbringen. Darauf hat er neun Jahre gewartet. Dafür hat er seine Karriere sausen lassen. Eigentlich ist er arbeitslos. Nur seine Frau Sarah verdient noch das Geld für die beiden. Manuela ist ja tot, die Tochter, die Bachmann anhimmelt wie einen Engel. Auch das gibt es. Kurz deutet Flieger an, was da tatsächlich schief läuft in Deutschland: Die therapeutischen Hilfsangebote für Eltern in solchen Fällen sind rar. Die Bachmanns haben solche Hilfe nicht bekommen.
Und jeder, der ein traumatisches Erlebnis hinter sich hat, weiß, in welche psychischen Schleifen da einer geraten kann. Und dass der Weg da raus oft nur mit fremder Hilfe gelingt. Von solchen traumatischen Schleifen wird auch die gewalttätige Geschichte der Menschheit getrieben. Das wird oft vergessen.
Der Leser muss sich schon mit Geduld wappnen in dieser Geschichte, die unerbittlich ihrem Ende entgegen treibt. Die (norwegische) Polizei taucht nur am Rand auf – als latente Bedrohung für Bachmanns Rachepläne, die er im hohen Norden Norwegens verwirklichen will. Bis dorthin verfolgt er den vorzeitig entlassenen Täter. Es ist eine Fahrt ohne Abwege, manisch fast, immer weiter hinauf in die wilde Inselgruppe der Lofoten. Seine Frau Sarah hat Bachmann mitgenommen – sie fügt sich, wagt nur zaghaften Widerspruch, appelliert trotzdem vorsichtig an sein Gewissen. Denn mit seiner Rache in der Manier eines ehemaligen Fallschirmspringers kann er nur neues Unheil heraufbeschwören.
Dunkle Träume und eine zuweilen bedrohliche Landschaft malen das Bild dieser Fahrt noch beklemmender. Beklemmend auch, weil Bachmann bei all den Menschen, denen er unterwegs begegnet, fast nur auf Freundlichkeit trifft. Nur als er zwei Reisenden unterwegs schon ungeduldig auf die Pelle rückt, wird’s gefährlich, droht seine besessene Mission frühzeitig zu scheitern.
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Dass Sarah ihm längst fremd geworden ist, ahnt er nicht einmal, will es auch nicht wirklich begreifen, als sie den Gejagten tatsächlich einholen in einem einsamen Fischerdorf, wo für Bachmann eigentlich nur noch die Frage zu existieren scheint: Wann? Er hat scheinbar alles geplant, hat sich jeden Schritt überlegt …
Aber es ist die ach so perfekte Welt all der Rächer und Unerbittlichen, die in ihrer eigenen, nur scheinbar logischen Welt gefangen sind. Fast scheint es kein Zufall, dass Flieger sein Leipziger Pärchen nun gerade nach Norwegen schickt, wo derzeit der Prozess gegen den Massenmörder Breivik läuft, der umso skurriler wirkt, je mehr das heldische Selbstbild des Mannes sich in den Zeugenaussagen zerfasert, wie es – mit der wirklichen Welt konfrontiert – wie alter Käse zerläuft.
Bachmanns Welt ist nicht wirklich besser. Und die Logik für sein Handeln gewinnt auch der von Rache Getriebene nur aus immer wiederholten Sprüchen, wie zwingend die Vergeltung sein müsse. “Ich selbst werde das Schicksal für den Mörder unseres Kindes sein”, sagt er, als er wieder einmal merkt, wie wenig einverstanden Sarah mit seinem Tun ist. Die Rache ist alles, was sein Leben noch ausfüllt. Und am Ende ist er blind für alles, was er anrichten wird.
Auf den Schwingen der Hölle
Jan Flieger, fhl Verlag Leipzig 2012, 12,00 Euro
Dem deprimierenden Finale folgt dann noch ein Kapitel, in dem Jan Flieger die Schönheit der Lofoten beschreibt. Eine raue Landschaft, die nur auf den ersten Blick mit dem finsteren Rache-Pathos Bachmanns korrespondiert. Aber auch das wird deutlich: Wer so von Hass und Absicht zur Gewalt getrieben wird, der sieht all das nicht mehr. Nicht die faszinierende Landschaft, nicht die Verletzlichkeit der nächsten Menschen.
Das Finale ist entsprechend blutig und sinnlos und abrupt.
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