Charlotte, das war eigentlich Sophie Charlotte, Herzogin von Braunschweig und Lüneburg, seit 1684 verheiratet mit Friedrich, dem Kurprinzen von Brandenburg, der vier Jahre später selbst Kurfürst wurde und 1695 seiner Charlotte ein ganzes Dorf schenkte und ein Schloss baute. Das Dorf hieß Lietzow, das Schloss anfangs Lietzenburg. Wer's sucht, findet es heute mitten in Berlin: Charlottenburg.

So heißt das Schloss seit Charlottes frühem Tod 1705. Da war sie dann Königin, denn Friedrich, der als Kurfürst die Nummer 3 geführt hatte, hatte sich 1701 zum König in Preußen gemacht und wurde dadurch Friedrich Nummer 1. Und er gab seiner geliebten Charlotte das Geld und die Spielräume, ihren Leidenschaften zu frönen: Wissenschaften und Künste. Fließend sprach sie mehrere Fremdsprachen. Charlottenburg war – man glaubt’s heute wirklich nicht mehr – einmal Sommerresidenz. Draußen vor den Toren Berlins.Das änderte sich schon unter Bismarck, der den Churfürstendamm (der vorher wirklich nur ein befestigter Damm durch sumpfiges Gelände war) nach dem Vorbild der Champs-Élysées in Paris zur Prachtstraße ausbauen ließ. Immerhin zu Zeiten, als Charlottenburg noch selbstständig war. Eingemeindet wurde die Stadt erst 1920. Und heute kann man rund um das Schloss das alte, königliche Preußen besichtigen, wie es andernorts verschwunden ist. Vergleichbar ist nur noch Sanssouci in Potsdam. Rechts und links der Schlossstraße haben in den einstigen feudalen und militärischen Nutzbauten allerlei interessante Museen ihren Platz gefunden. Im Schlosspark steht das Mausoleum der in Preußen so geliebten Königin Luise. Es ist eine immer neue Geschichte: Immer dann, wenn die Ehemänner versagen, hofft das Volk auf das gute Herz und die frauliche Kunst der Gemahlin. Und wenn die dann stirbt, jung, schön und zu früh – ist das nächste Märchen entstanden: Was wäre wenn …

Nischt wäre.

Mehr zum Thema:

Zuerst versinkt der Horizont: Berlingedichte von Esther Mohnweg
Berlin kommt auch drin vor. Als Kulisse …

Berliner Jahrhundertkneipen: Ein kleines Wehmuts-Buch zur Berliner Kneipenkultur
Die Kneipe stirbt. Nichts bleibt beim Alten …

Berliner Stilleben: Die stillen Details einer Großstadt durch den Sucher betrachtet
Es gibt Menschen, die haben eine Mission …

Der Traum aber bleibt. Und der Schlossbesucher darf andächtig durch wieder hergestelltes Barock und Rokoko wandeln. Ein Kleinod gleich in der Nähe: Das von den Charlottenburgern durch heftigen Protest gegen den Abriss gerettete letzte barocke Modellhaus, das Eosander von Göthe einst für die höfischen Untertanen entwarf. So schön konnte man einst wohnen als Goldschmied des preußischen Königs. Der Bruch ist entsprechend heftig, wenn man bei der Besichtigungstour in jüngere Zeiten kommt. Beginnend mit dem 1905 eingeweihten Rathaus, einem wilden Gemisch aus Jugendstil, Neo-Barock und Neo-Gotik.

Am Ernst-Reuter-Platz bombastiert die nüchterne Klarheit des 20. Jahrhunderts. Ernst Reuter, das war der Oberbürgermeister, der während der Berlin-Blockade das schöne Zitat formulierte: “Ihr Völker der Welt, schaut auf diese Stadt.” Muss man ja nicht am Ernst-Reuter-Platz tun. Es gibt schönere Ecken in Charlottenburg. Einfach mal aufgelistet in der Reihenfolge, in der Marika Bent glaubt, dass es der Tagesbesucher schaffen könnte, wenn er flott unterwegs ist: Renaissance-Theater, Theater des Westens, Paris-Bar, Bahnhof Zoo. Logisches Randzitat: Das 1978 erschienene Buch “Wir Kinder vom Bahnhof Zoo”. Damals ein Schock.Mit dem Bahnhof Zoo ist man schon auf dem Kurfürstendamm, hat die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche vor sich, die daran erinnern soll, was passiert, wenn man Kulturbanausen die Regierung überlässt. Die nächste Strecke ist eine echte westdeutsche Schütteltour zwischen restaurierten Kleinoden aus der Gründerzeit und den technokratischen Protzbauten des 20. Jahrhunderts (“Europa-Center”) und des 21. Jahrhunderts (“Kudamm-Eck”).

Abstecher zum Käthe-Kollwitz-Museum in der Fasanenstraße, zum Walter-Benjamin-Platz und zum Savignyplatz zeigen, dass es auch in Charlottenburg noch ein paar ruhigere Ecken gibt. Die man auch braucht, bevor man sich den ganz großen Adressen in Charlottenburg widmet: dem Messegelände mit dem Funkturm und dem Olympiagelände. “Zu Fuß empfiehlt sich Zurückhaltung”, schreibt Marika Bent zu diesem gigantomanischen Projekt, das man sich am besten vom 77 Meter hohen Glockenturm anschaut. Und dann ist gut.

Im Grünen sieht man noch die berühmte Waldbühne. “Legendär ist der Auftritt der Rolling Stones 1965, bei dem Konzertbesucher die Waldbühne verwüsteten.” Die Waldbühne gibt’s immer noch. Die Rolling Stones auch. Und den Hertha BSC auch, der im Olympiastadion spielt und sich jede Saison aufs Neue wundert, warum er zwischen 1. und 2. Liga hin und her fährt in einem ständigen Auf und Ab, – “die Berliner lieben ihren Verein trotzdem.”

Bestellen Sie dieses Buch versandkostenfrei im Online-Shop – gern auch als Geschenk verpackt.

Charlottenburg an einem Tag
Marika Bent, Lehmstedt Verlag 2012, 4,95 Euro

Jetzt braucht man nur noch eine gemütliche Eckkneipe zu finden, um sich von der Tour zu erholen.- Und um Kraft zu tanken für den nächsten Berliner Stadtteil. Denn während für andere Städte in Deutschland zumeist ein Tag reicht, um das Wichtigste zu beschauen, ist Berlin ja viele Großstädte in einer. Da kommen also noch ein paar Extra-Stadtteilführer, jeder für einen Tag konzipiert. Auch wenn man sich nach der Charlottenburg-Tour sagt: Wären wir doch mal lieber in der Schlossstraße geblieben.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar