Wenn heute von einigen namhaften Unternehmen aus dem Osten noch einige existieren, dann ist das fast überall engagierten Leuten vor Ort zu verdanken. Sie haben, als der Betrieb im großen Verramsch ab 1990 unterzugehen drohte, alles gewagt und sich mit Herz und Existenz der Rettung verschrieben. So wie 1992 Dr. Helmut Schache. Er bewahrte die Kösener Spielzeugfabrik vor dem Aus.
Damals war er Bürgermeister von Bad Kösen und die überstürzte Währungsreform hatte auch der Kösener Spielzeugfabrikation das beschert, was Tausenden Betrieben in der einstigen DDR den Garaus machte: Sie blieben auf ihren Produkten sitzen, sahen sich einem von asiatischer Billigproduktion überschwemmten Markt gegenüber und verloren über Nacht ihre traditionellen Handelspartner in Osteuropa.
Da half auch der stille Abglanz der großen Tradition nichts. 1912 hatte Käthe Kruse die Manufaktur in Kösen gegründet. Mit ihren berühmten Puppen revolutionierte die 1883 als Katharina Johanna Gertrud Simon geborene Unternehmerin die damalige Spielzeugwelt, machte ihre lebensnah gestalteten Puppen zu einem Produkt, das auch heute noch die Herzen der Sammler höher schlagen lässt. Eine Geschichte, die Wieland Führ natürlich auch erzählt in diesem kleinen Buch zu 100 Jahren Spielzeug aus Kösen. Dass Käthe Kruse nach dem 2. Weltkrieg Kösen verließ, weil ihr die ostdeutschen Wirtschaftslenker das Wirtschaften genauso erschwerten wie vielen anderen Privatunternehmern auch, gehört zur Geschichte. Ist aber in Kösen nie ein wirkliches tragisches Kapitel geworden. Käthe Kruse baute die Produktion ihrer berühmten Puppen in Donauwörth auf, wo die legendären Lieblinge von großen und kleinen Kindern noch heute produziert werden.
Bis 1964 wurden in Kösen noch Puppen nach Käthe-Kruse-Tradition hergestellt. Aber die Produktion scheiterte letztlich an der rigiden Devisen-Politik und den fehlenden Qualitätsrohstoffen in der DDR. Da war in Bad Kösen ein Umdenken notwendig. Und das gelang auch – später in enger Kooperation mit der Hochschule Burg Giebichenstein. Man ging dazu über, phantasievoll gestaltete Plüschtiere für den DDR-Markt zu produzieren. Später wurde das Sortiment um eine ganze Welt kreativer Knuddelfiguren erweitert, manche davon – wie die Schlenkerpuppe von 1972 – sogar selbst mittlerweile legendär. Denn natürlich begleiteten die unverwechselbaren Figuren viele DDR-Kinder beim Aufwachsen. Es war eine andere Welt als das, was dann 1990 die Spielzeugläden überschwemmte und die Kösener Produkte aus den Regalen drängte.
Das Unternehmen schlitterte tief in die Krise, bis Dr. Helmut Schache das Unternehmen kaufte. “In letzter Minute”, wie Wieland Führ schreibt. Er setzte auf einen Neubeginn mit einer Stärke, die das Unternehmen sich in den 1960er Jahren angeeignet hatte: hochwertige Plüschfiguren. Natürlich erntete Schacht dafür manchen hämischen Kommentar, denn mit nichts war der deutsche Spielzeugmarkt so überschwemmt wie mit billigem Plüsch.
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Doch es ging nicht um billig und auch nicht um Masse. Die jungen Spielzeuggestalterinnen der DDR-Zeit waren einst extra in den Leipziger Zoo gefahren, um die Plüschtiere so naturgetreu und lebendig wie möglich zu gestalten. Und das geschah auch jetzt wieder. Die Plüschtiere aus Bad Kösen wirken tatsächlich, als hätten Bär und Nilpferd persönlich Modell gestanden, als würden sie gleich loslaufen wie ihre Vorbilder in der Natur. Und der Ansatz funktionierte: Die aufwendig produzierten Plüschtiere konnten sich gegen den Billig-Trend auf den Märkten etablieren, fanden – wie einst die Käthe-Kruse-Puppen – eine internationale Sammlergemeinschaft. Und die Sammler sind sogar bereit, ein paar Monate zu warten, bis ihr Wunschtier geliefert werden kann – der aufmerksam lauschende Luchs etwa oder die eindrucksvollen Koalas.
Auch Puppen gehören wieder zum Programm. 2000 erwarb die Kösener Spielzeug GmbH die Marke “Silke-Collection”, Spielfiguren, die ganz dem eigenen Anspruch entsprechen, denn auch die Silke-Puppen werden aus hochwertigen und ökologisch einwandfreien Materialien hergestellt. Auch etliche Lizenzprodukte aus Fernsehen & Co. liefen unter dem Label der Kösener Fabrik – die berühmte Beutelratte Heidi zum Beispiel, die 2011 kurzzeitig zum Werbeträger für das Gondwanaland wurde.
Wir Seesterne
Wieland Führ, Buchverlag für die Frau 2012, 5,00 Euro
2012, 100 Jahre, nachdem Käthe Kruse in Kösen ihre erste Produktion aufbaute, ist die Spielzeugproduktion in Bad Kösen wieder eine Erfolgsgeschichte. Sie erzählt von anderen Erfolgsrezepten als den üblichen in der heutigen Wirtschaftswelt, wo das immer billiger, immer schneller, immer flippiger den Durchlauferhitzer glühen lässt. Vielleicht erzählt es auch die Geschichte eines künftigen, wieder nachhaltigen Wirtschaftens, bei dem Dinge nicht mehr hergestellt werden, um schleunigst zu verschleißen, zu veralten und fortgeschmissen zu werden.
Und wenn nicht alle finsteren Zeichen am Horizont trügen, ist es allerhöchste Zeit, diese nachhaltige Art des Wirtschaftens wieder zum Normalzustand zu machen. Erstaunlich, dass Plüschfiguren dafür ein Beispiel sein können. Aber warum nicht?
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