Irland ist das Lieblingsreiseland von Hermann Multhaupt. Der 74-Jährige hat schon eine ganze Reihe Irland-Bücher verfasst, auch solche zur Rolle Irlands in der Christianisierung Europas. Multhaupt ist Journalist, war 21 Jahre lang Chefredakteur der Kirchenzeitung "Der Dom" in Paderborn. Aber wie kommt nun die Himmelscheibe ausgerechnet nach Irland?

Multhaupt hat sich dafür eine recht abenteuerliche Geschichte ausgedacht, die irgendwie um das Jahr 845 handelt, als die Wikinger mit ihren Raubzügen ganz Westeuropa in Schrecken versetzten. Bei ihren Raubzügen kamen sie auch nach Irland und beendeten mit ihren Plünderungen die erste irische Blütezeit. Zwar entstanden damals mehrere Wikinger-Siedlungen, die als Städte bis heute existieren. Doch erholt hat sich die “Grüne Insel” von dieser Heimsuchung nicht wieder. Die große Zeit der Missionen irischer Mönche begann nicht mit diesen Überfällen, sondern sie endete mit ihnen. Und für viele Teile Europas bedeutete das eine Verlängerung der dunkleren Zeiten des Mittelalters und der Zeit ohne schriftliche Überlieferung.Insofern ist Multhaupts Konstrukt recht wagemutig. Er lässt sein Buch in einem kleinen irischen Kloster namens Molana am Blackwater River handeln, das heute nur noch als Ruine existiert. Bei einem ersten nächtlichen Überfall dänischer Wikinger wird das Bauernmädchen Brigid geraubt, während im Kloster selbst fast alle Mönche niedergemacht werden. Nur der Abt und zwei Brüder überleben, die das Kloster dann mit Hilfe von außen wieder aufbauen. Zwei Schätze überstehen den Raub, einer davon ist eine mysteriöse Himmelsscheibe, die irgendwann durch einen römischen Offizier nach Britannien und von dort nach Irland gekommen sein soll. Das erzählt dann ein seltsamer Alter ganz am Ende des Buches, als die Mönche aus Molana die Scheibe – wie es der Zufall will – wieder an ihren richtigen Ort auf einen Berg in der Mitte Europas gebracht haben.

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Vorher gibt’s eine große Liebesgeschichte mit der entführten Brigid und dem Sohn eines Wikingerhäuptlings, die im Wikinger-Dorf für eine blutige Familienfehde sorgt, die beiden Verliebten in das gerade gegründete Haithabu führt und den Wikingersohn Tyr wenig später bei einem missglückten zweiten Überfall auf Molana in die Hände der Mönche. Womit die Liebesgeschichte durch eine ganze Reihe romanhafter Zufälle zu einem erstaunlichen Ende kommt. Einer davon ist die Tatsache, dass die Mutter des Wikingers tatsächlich einen Brief an ihren Sohn in Haithabu schreibt, in dem sie ihn auffordert, den Tod des Vaters zu rächen.

Sollten Wikingerfrauen im 9. Jahrhundert tatsächlich des Schreibens von Briefen fähig gewesen sein, wäre das wohl eine revolutionäre Entdeckung. Das ist das Problem mit historischen Romanen: Sie müssen stimmen. Sonst ist es Fantasy. Erst recht, wenn der Autor seine Leser mit einem ganzen Meer an Fakten konfrontiert. Und das tut Multhaupt. Er hat seine Zeit studiert. Es ist aber schlicht unmöglich, einen irischen Mönch um 845 über die “‘Annales Bertiniani’ aus dem Jahr 842” erzählen zu lassen, denn so bezeichnet werden diese Handschriften aus dem Kloster St. Bertin erst seit dem 19. Jahrhundert. Überhaupt wissen Multhaupts Helden erstaunlich viel über ihre Zeit und die Ereignisse in fernsten Ländern, ganz so, als hätten sie Zeitungen oder gar Internet zur Verfügung.Das bildet zwar den Leser. Aber es verstört auch. Es reißt den Leser auch aus der Handlung, macht sie löchrig wie einen Käse. Und es nimmt der beschriebenen Zeit viele ihrer wichtigsten Determinanten – unter anderem auch die, dass die Handelnden über die Länder, in die sie aufbrachen, wenig wussten – und wenn, dann anderes als die Bürger des modernen Informationszeitalters. Das Ungewisse, Gefahrenvolle gehörte zu ihrem Leben. So selbstverständlich wie unsereins heute reisten sie nicht übers Meer.

Lesen und Schreiben waren tatsächlich etwas, was fast nur in den Skriptorien der Klöster zu Hause war. Natürlich spielten Barden und Erzähler eine Rolle. Und einen solchen Erzähler lässt Multhaupt am Ende seiner Geschichte auch auftreten, um irgendwie die Fäden zusammenzuknüpfen, denn wirklich zwingend ist das Auftauchen der Himmelsscheibe im Irland des 9. Jahrhunderts und in dieser Geschichte nicht.

Sie überfrachtet die Geschichte eher und nimmt dem Autor die Chance, tatsächlich eine stringente und historisch stimmige Welt auszugestalten. Die Fabel selbst stammt eher aus der Welt der Jugendbücher des frühen 20. Jahrhunderts, als junge Helden aufbrachen, um in exotischen Welten ihre Abenteuer zu erleben und die Erzählung der Großen Liebe aus den Romanen des 19. Jahrhunderts gerade noch möglich war.

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Die Hüter der Himmelsscheibe
Hermann Multhaupt, St. Benno Verlag 2012, 9,95 Euro

Verpasste Chance natürlich: Eindrucksvoll das Leben in einem der berühmtesten irischen Klöster dieser Zeit zu malen – mit der schwelenden Wikingergefahr und dem tiefen Glauben an eine friedliche, christliche Welt. Die ganze Sache mit der Himmelsscheibe kann man wirklich besser in eine Geschichte packen, die um das Jahr 1600 vor Christus in der Gegend um das heutige Nebra handelt.

Schade eigentlich. 32 Jahre nach “Der Name der Rose” wäre es eigentlich mal wieder Zeit gewesen für einen richtig guten historischen Klosterroman.

Das Kloster Molana bei Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Kloster_Molana

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