Fußball ist mitunter hochpolitisch. Das gilt besonders unter Nachbarn, die eine belastete Geschichte teilen. Über "Deutsche und polnische Fußballer im Räderwerk der Politik" hat der gebürtige Leipziger Thomas Urban ein Buch geschrieben. Es geht um die "Schwarzen Adler" des DFB, die "Weißen Adler" Polens - und die "Blauen Trainingsanzüge" der DDR.
Das hat der beste Fußballer schon erlebt: dass er auf dem Platz von einem technisch überlegenen Gegner schwindelig gespielt wird. Doch manchmal haben Schwindelgefühle auch ganz andere Ursachen.
Von einem solchen Fall weiß der Journalist und Autor Thomas Urban zu berichten. Vor fast auf den Tag genau 33 Jahren schlichen die polnischen Fußball-Nationalspieler nach eigener Erinnerung nach dem Seitenwechsel wie benommen über den Rasen des Leipziger Zentralstadions. Am Ende unterlagen sie nach Pausenführung in dem wichtigen EM-Qualifikationsspiel der DDR-Auswahl mit 1:2. Für diese Niederlage am 18. April 1979 machte die polnische Seite das Mineralwasser verantwortlich, das ihnen in der Pause von den Gastgebern gereicht worden war. Genauer: möglichen Beigaben der DFV-Funktionäre.
So ist es zu lesen in dem im Vorjahr erschienenen Buch “Schwarze Adler, weiße Adler. Deutsche und polnische Fußballspieler im Räderwerk der Politik”, das der Polen-Korrespondent der “Süddeutschen Zeitung”, Thomas Urban, im Göttinger Verlag “Die Werkstatt” herausbrachte.Es ist so ein bisschen ein Erklärbuch zu den Phänomenen Miroslaw Klose und Lukas Podolski – und ein ganz starkes Geschichtsbuch im Vorfeld der diesjährigen Fußball-Europameisterschaft. Die findet bekanntlich in Polen und der Ukraine statt, und damit erstmals in Mittelosteuropa.
Doch zurück zu den deutsch-polnischen Leipziger Länderspielkrimis. Am 10. Oktober 1981 standen sich im Zentralstadion die DDR und Polen erneut gegenüber. Mit dabei waren die Leipziger Fußballkämpen Frank Baum und Matthias Liebers. Dieses WM-Qualifikationsmatch war schon kein Wettstreit unter sozialistischen Brüdern mehr. Hier kickten die Vertreter realsozialistischer Linientreue gegen ein Land, in dem seit über einem Jahr politische Streiks auf der Tagesordnung standen. Mit der spielerischen Leichtigkeit der Aufmüpfigen siegten die Polen nach schneller 2:0-Führung letztlich ungefährdet mit 3:2.
Zwei Monate später verhängte die polnische Führung zur Eindämmung der Demokratiebewegung das Kriegsrecht in Polen – auch um einer offenen Invasion der sozialistischen Brüder zuvorzukommen. Die “Weißen Adler”, wie die polnische Nationalelf genannt wird, schlugen sich bei der Weltmeisterschaft in Spanien im Folgejahr hervorragend. Auf ihrem Weg zu Bronze setzten sie sich unter anderem gegen den ganz großen Bruder Sowjetunion durch.
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Natürlich darf in einem solchen Band über die Verbandelungen der deutsch-polnischen (Fußball-)Geschichte die “Zaubermaus” Dariusz Wosz nicht fehlen, der noch heute in Leipzig geschäftlich tätig ist. Dessen besondere Fußballkünste fielen zuerst in Halle (Saale) auf. Dorthin war der zehnjährige Dariusz mit seiner Familie aus der Volksrepublik Polen gekommen. Seine Familie gehörte zu den wenigen, die als Spätaussiedler in die DDR kamen – hoffend, dass sie mit ihrem polnischen Pass weiter in die Bundesrepublik reisen konnten. Doch daraus wurde nichts.
So zelebrierte Wosz seine ersten fußballerischen Glanzstunden beim Halleschen FC. Erst nach der Wiedervereinigung kickte er beim VfL Bochum und Hertha BSC Berlin in der Bundesliga. Er gehört zu der ostdeutschen Spielergeneration, die Länderspiele sowohl für den DFV der DDR, wie für den DFB bestritt.
Damit wären wir mittendrin in der Abfolge der dramatischen politischen Veränderungen in Mitteleuropa, die im 20. Jahrhundert millionenfach Existenzen auslöschten, Lebensträume vernichteten und Biografien veränderten.
So wird die DFB-Elf zwei ihrer EM-Spiele 2012 in Lwiw austragen. Die heutige westukrainische Stadt gehörte als Lwow/Lemberg zu den Fußballhochburgen des nach drei Teilungen 1918 wiedergegründeten polnischen Staates.
Das multiethnische Lemberg mit seinen spielstarken polnischen und jüdischen Klubs ging unter, als die deutsche Wehrmacht im September 1939 Polen überrollte. Das Land wurde ein viertes Mal geteilt – dieses Mal zwischen Hitler und Stalin.Mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 erreichte die nationalsozialistische Vernichtungsmaschinerie auch das ehemalige Ostpolen. Dieses Mal sollte Polen nicht nur als Staat, sondern auch als Volk ausgelöscht werden. Das Verbot fußballerischer Betätigung gehörte dazu. Diese Maßnahme verhängten die deutschen Besatzer nur in Polen, wie Urban schreibt.
Das Schicksal der physischen Vernichtung hatten die Nazis auch den Judenheiten der Region, wie ganz Europas zugedacht. “Bloodlands” hat der amerikanische Historiker Timothy Snyder ob des nun folgenden Mordens die Region genannt, in denen im Juni 2012 die Fußball-Europameisterschaft stattfindet.
Nach der Niederlage Nazideutschlands im Mai 1945 erstand Polen neu – um mehrere hundert Kilometer nach Westen verschoben. Die Tradition von Pogon Lwow setzte Pogon Szczecin an der Oder-Mündung im früheren Stettin fort.
Ethnische Homogenität war nun nahezu überall in Europa Staatsräson, Umsiedlungen und Vertreibungen ein allseits akzeptiertes politisches Mittel. Minderheitenrechte oder die Akzeptanz der Binationalität von Regionen und Familien hatten in dieser Welt keinen Platz mehr. Viele oberschlesische Familien lösten diese Situation später auf ihre Weise: Sie siedelten als Spätaussiedler in die Bundesrepublik über. Die Familien Klose und Podolski sind die aus fußballerischer Sicht bekanntesten unter ihnen.
Schwarze Adler, weiße Adler
Thomas Urban, Verlag Die Werkstatt 2011, 12,90 Euro
Fußball ist mehr als ein Spiel, so die Botschaft des Verlages “Die Werkstatt”. Weil das so ist, ist es gut so, dass der DFB darüber nachdenkt, im Frühsommer ein Zeichen des Gedenkens zu setzen. Beispielsweise durch einen Besuch des ehemaligen Vernichtungslagers Oswiecim/ Auschwitz oder von Babi Jar, dem Ort, an dem im Sommer 1941 die Kiewer Juden von SS-Einsatzgruppen ermordet wurden.
Und weil Fußball mehr ist als ein Spiel, ist es gut so, dass die DFB-Elf heute ein Symbol für Integration ist, die auf Assimilation verzichten kann.
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