Irgendwo zwischen Weltmeeren und Wandel in Europa ist es im Lehrplan der Gymnasialklasse 10 eingeklemmt: Sachsen in Deutschland, 12 Unterrichtsstunden, Wirtschaftsraum Sachsen, 16 Unterrichtsstunden. Viel Platz ist da nicht für das eigene Heimatland Sachsen im sächsischen Lehrplan. Dabei ist selbst dieser Flecken Erde vollgepackt mit Erdgeschichte. Zum Anfassen und Selbsterleben. Das hier könnte ein echtes Lehrbuch sein.
Verfasst haben es ein Ex-Minister und ein Landschaftsökologe. Karl Mannsfeld war von 2002 bis 2004 Sächsischer Staatsminister für Kultus. Vorher war er Professor für Landschaftslehre und Geoökologie an der TU Dresden. Eigentlich der ideale Umweltminister. Dr. Olaf Bastian ist Biologe und Landschaftsökologe. Er kartiert Biotope, betreibt in Boxdorf, einem Ortsteil von Moritzburg, ein Büro für Landschaftsfragen. Und er ist wahrscheinlich wie kein anderer in Sachsen mit der Kamera unterwegs, um Landschaften, Biotope, seltene Tiere, Pflanzen und Landschaftselemente zu fotografieren.
Ein Großteil der Bilder in diesem 300-Seiten-Band stammt von ihm. Faszinierende Aufnahmen, die man als gewöhnlicher Wanderer eher selten mit nach Hause bringt. Denn für viele dieser festgehaltenen Momente muss man das richtige Wetter erwischen, die richtige Stunde, den richtigen Standort – und der ist eher seltener der gebahnte Wanderweg. Da muss man oft durch Gestrüpp, in faszinierende Flusstäler hinab oder auf zerklüftete Felsformationen hinauf. Aber es ist natürlich nicht der übliche Bildband geworden “Unser schönes Sachsen”.
Denn die beiden, die sich hier zusammentaten, hatten eine Mission: Sie wollten die geologische und biologische Vielfalt des Freistaats sichtbar machen. Das, was auch Schüler in der Schule eher selten bis nie erfahren. Dazu braucht es begeisterte Geografielehrer, die mit der Rasselbande auch nicht nur eine Exkursion unternehmen, sondern 24. Und noch zwei zusätzlich. Denn zu den 24 natürlichen Landschaftsräumen – von der Dresdner Elbtalweitung über Erzgebirge, Leipziger Land, Dübener Heide und Oberlausitz bis zur Sächsischen Schweiz – gibt es auch noch zwei Regionen, wo der Mensch mit dem Braunkohlebergbau derart massiv die Landschaft verändert hat, dass von der Ursprungslandschaft fast nichts mehr existiert. Es sind neue Landschaften entstanden, in denen sich völlig neue Lebensgemeinschaften einrichten.Was übrigens ein immenser Unterschied zu den vom Militär beräumten einstigen Truppenübungsplätzen oder dem einstigen Grenzstreifen im Vogtland ist: Dort hat die militärische Sperrung dazu geführt, das oft ein Artenreichtum überlebt hat, der in den landschaftlich intensiv genutzten Gegenden fast verschwunden ist.
Wer also einen anspruchsvollen Geo-Lehrer hat, der wirklich auch vermitteln will, wie dieses Eckchen Erde einst entstand, wie es in den letzten 500 Millionen Jahren immer wieder überformt, erodiert und umgeschichtet wurde, der hat hier einmal alle wichtigen Regionen Sachsens übersichtlich in 26 Kapiteln versammelt. Man erfährt, wie die unterschiedlichen Bodentypen entstanden – und warum nun ausgerechnet Mittelsachsen die Kornkammer Sachsens ist, obwohl die intensive Bodenbewirtschaftung zu jährlichen Bodenverlusten von 5 bis 6 Tonnen pro Hektar führt. Man erfährt, warum nun ausgerechnet der eigentlich winzige Collmberg (312 Meter) der älteste Berg Sachsens ist und warum die Elbe hinter Dresden nicht mehr nach Norden fließt.
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Und man stößt nicht nur in den Kapiteln über die beiden großen Bergbaugebiete (Südraum Leipzig und Oberlausitz) auf die drängenden Fragen des Natur- und Artenschutzes. Denn mit den von Menschen gemachten Verunreinigungen der Luft im 20. Jahrhundert kämpfen die Kammlagen des Erzgebirges noch heute. Das großflächige Abpumpen des Grundwassers aus den Tagebauen hat auch nicht vom Bergbau erfasste kostbare Biotope trocken gelegt. Manche Biotope hat Bastian noch kurz vor Toresschluss fotografiert – denn während die Perspektive des Bergbaus südlich von Leipzig schon überschaubar ist (bis ungefähr 2040), fallen im Oberlausitzer Bergbaurevier noch heute wertvolle Moore und Wälder dem Bagger zum Opfer.
So nebenbei erwähnen die Autoren auch, welcher Schaden den wertvollen Böden angetan wird, die insbesondere im Leipziger Land abgebaggert wurden – die neu aufgetragenen Bodenschichten sind mit Kiesen und Sanden stark durchmischt. Es wird Jahrhunderte dauern, bis die wertvollen Bodenqualitäten wieder erreicht werden, die das Land einst reich gemacht haben.
Und die Einsicht, dass Naturschutz elementar für die Zukunft tausender Arten und funktionierender Ökosysteme ist, ist auf politischer Ebene noch längst nicht verankert. Viel zu Vieles überlässt man – wider besseres Wissen – dem Selbstlauf. Noch immer gehen wertvolle Feldraine verloren, werden die über Jahrhunderte angehäuften Steinrücken auf den Feldern, die einer vielfältigen Flora und Faune Zuflucht bieten, zerstört.Auch im als wertvoll deklarierten Leipziger Auenwald, der mitten in der Stadt zum Rückzugsgebiet zahlreicher vom Aussterben bedrohter Tier- und Pflanzenarten geworden ist. Doch gerade die letzten Jahre haben gezeigt, dass nicht mal die Ausweisung als Naturschutzgebiet die Eigeninteressen einiger Akteure bremsen kann, die mal einen sensiblen Floßgraben ausbaggern, um Fahrtfreiheit für motorisierten Bootsverkehr zu schaffen, mal 6.800 Bäume an Deich- und Gewässerrändern fällen unter dem obskuren Vorwand, damit Leib und Gut von Menschen zu schützen. Obwohl längst klar ist, dass es das Dümmste ist, was man machen kann – den auf Überflutungen angewiesenen Auenwald vor Überflutungen zu schützen.
Die beiden Autoren betonen das nicht extra. Sie erwähnen es. Beiläufig. Man lernt, wie die geologischen Gegebenheiten mit den vorgefundenen Biotopen aufs engste zusammenhängen, warum es da und dort noch winzige gerettete Inseln mit dem ursprünglichen Artenbesatz gibt, warum manche Tiere wieder zurückkehren, wenn ihnen Menschen wieder entsprechende Areale überlassen. Und man erfährt auch, dass der Leipziger Auwald selbst das Produkt menschlicher Tätigkeit ist. Nur eben hat der Umwandlungsprozess von einem undurchdringlichen Flussgebiet (von dem Leipziger sehr wahrscheinlich seinen Namen hat) in das später durch Rodungen gelichtete Auenland einige tausend Jahre gedauert. Auch das erfährt man so beiläufig wieder: dass gerade das Tief- und Hügelland des heutigen Freistaats schon seit über 6.000 Jahren besiedelt ist. Die “Lommatzscher Pflege” ist eins der Lieblingskinder der sächsischen Archäologen.
Doch was dann – teils im Gefolge des Braunkohlebergbaus – geschah, können die beiden Autoren nur als “gedankenlose Flussbegradigungen” bezeichnen – was übrigens auch auf weite Teile des sächsischen Elbeabschnitts zutrifft, der auch heute noch durch Eingriffe zum Flussausbau bedroht ist. Und wie ist das mit diesen Deichen im Auwald und den unterm “Tornadoerlass” genehmigten Baumfällungen? – “Für eine intakte Auenlandschaft sind periodisch wiederkehrende Überflutungen absolut lebensnotwendig. Indem die regelmäßigen Überschwemmungen ausbleiben, kommt es zur Austrockung und zum Nährstoffüberangebot, sodass sich Stickstoff liebende Pflanzen, zum Beispiel Brennnessel, ausbreiten.”
Sächsische Landschaften
Karl Mannsfeld; Olaf Bastian, Edition Leipzig 2012, 29,90 Euro
Es ist ein großes Buch, reich bebildert, mit Fakten angereichert, so dass der Leser tatsächlich was lernen kann über das Land. Da und dort blenden farbig abgesetzte Seiten die kulturellen Höhepunkte in der Region ein. Aber sie dominieren nicht. Was angenehm ist, denn in dieser Art ist das Buch etwas Neues und Anderes. Es ändert die Blickweise auf die natürliche Umgebung, in der sich all die kleinen menschlichen Geschichten abspielen. Die Vielfalt animiert natürlich zum Hinfahren. Es gibt genug zu sehen und zu bestaunen und zu begreifen, denn wer vermutet echte Dünen mitten in Sachsen? Oder wer hat den versteinerten Wald in Chemnitz schon besucht? Oder die Basaltsäulen am Burgberg von Stolpen?
Mit Kamera vielleicht gar in aller Herrgottsfrühe, wenn die Frühnebel noch durch die Täler ziehen? – Natürlich ein Buch für Frühaufsteher. Und für Ausgeschlafene.
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