Es ist schon nicht einfach, zehn, elf Bücher, die sich alle mit Thüringer Küche beschäftigen, so zu betiteln, das die Sammler und Sammlerinnen nicht durcheinander kommen: Welche hat man denn jetzt schon? Und wo sind nun Wildgerichte drin? Die Festtagskuchen? Die Gemüsesuppen? - Band 11 aus Gudrun Dietzes Küche ist tatsächlich was Besonderes. Und geplaudert wird auch nicht.

Jedenfalls nicht so, wie man das so an Kaffeetafeln für gewöhnlich erlebt, wo sich Tante Emma aus voller Brust über die Jugend von heute echauffiert, Onkel Helmut versucht, seine Verärgerung mit kleinen Sticheleien zu kaschieren und Oma Helga alle übertönt, weil sie Klein-Fritzchen unbedingt noch erziehen muss, obwohl Klein-Fritzchen mittlerweile längst Familienvater ist und Pillen nehmen muss, weil sein Blutdruck so gefährlich ist.

Nichts davon. Das ist schön.Nur Gudrun Dietze plaudert endlich. Nach 60 weiteren typischen Rezepten aus der Thüringer Küche – nicht nur von der Kaffeetafel. Wer Kuchenrezepte will, für die sie ja nun weit über Thüringen hinaus bekannt ist, der bekommt sie natürlich trotzdem – von der Weintraubentorte Kerstin, die nach ihrer Tochter benannt ist, bis zum Kalten Kuchen, den früher die Großmutter allein wegspachtelte. Man wird also schon mal eingestimmt auf das, was kommt. Manches haben die Leser und Leserinnen der ersten elf Back- und Kochbücher von Gudrun Dietze schon vermuten dürfen und nur allzu gern wissen wollen. Denn dass da eine nicht nur zusammenschrieb, was sowieso schon in diversen Regional-Kochbüchern zu finden war, das war schon 1993 zu merken, als der erste Band mit 66 Rezepten zu Thüringer Festtagskuchen im Buchverlag für die Frau erschien.

Der war selber noch im Umbruch, musste Personal und Programm verschlanken, musste Teile des Programms modernisieren und auch Neues wagen. Aber was? War es das Bündel Rezepte, das eine begeisterte Thüringer Autorin da eingesandt hatte mit dem spürbaren Anliegen, die wunderbare Thüringer Backtradition jetzt nicht untergehen zu lassen?

Das Buch, zwei Jahre später gedruckt, wurde einer der neuen Verkaufserfolge des Verlages. Auch, weil viele Freizeitbäcker und -bäckerinnen in Thüringen und darüber hinaus die Backfreude ihrer eigenen Eltern und Großeltern wiederentdeckten. Ein Jahr drauf kam die “Schnelle Thüringer Küche”, wieder ein Jahr später “Feines Gebäck in Thüringer Art”. Da meinte Gudrun Dietze selbst, nun sei alles gesagt. Sie irrte sich.

Es folgten weitere sieben Bücher – mittlerweile sind über 600 Rezepte versammelt. Und die späteren Historiker, die sich eingehender mit dem (Land-)Leben in Mitteldeutschland im 20. und 21. Jahrhundert beschäftigen, werden hier fündig, können sich ein Bild machen vom Reichtum der Küche, den Alltagssitten und der Speisekultur im ländlichen Raum. Der uns verloren zu gehen droht. Das sei zumindest angemerkt. Der Reiz der Bücher von Gudrun Dietze liegt auch im Wissen vieler Leser darum, dass mit der heutigen Kultur der Discounter, Backketten, Fertiggerichte und Fastfood-Läden die gesamte Vielfalt der Küchenkultur zu verschwinden droht. Dass jüngere Menschen auch immer weniger Zeit zum Kochen und Backen haben, weil sie im Räderwerk einer närrisch gewordenen Allzeit-Bereit-Wirtschaft zerrieben werden, kommt hinzu.Dagegen ist selbst das anstrengende Leben auf einem thüringischen Bauernhof in der ersten Hälfte geruhsamer, zeitlich besser strukturiert sowieso, denn die Rhythmen der Jahreszeiten, von Tag und Nacht, Wochen- und Festtag sind verlässlich. Jeder weiß, was er zu tun hat. Die Rollen sind klar verteilt. Und Freiräume gibt es trotzdem – obwohl der Hof oft voller Kinder ist und das Leben mit Geburten, Hochzeiten und Todesfällen dazwischenfunkt.

Nach 70 Seiten voller Rezepte erzählt Gudrun Dietze in diesem Buch erstmals aus ihrer Kindheit, aus ihrem Dorf und von ihrer Familie. Und sie tut es voller Liebe und mit Talent. Hier weiß eine, wie man erzählt und wie man so erzählt, dass die eigene Familiengeschichte mit dem etwas eigensinnigen Onkel Fritz, der schönen Tante Ella, dem emsigen Großvater und der gar nicht so emsigen Großmutter Ida (die mit dem Kalten Kuchen) auch für andere interessant wird, gespickt mit Geschichten, Anekdoten, berührenden Schicksalen. Das kann ja nicht ausbleiben bei all den Umbrüchen, die dann auch die quirlige Verwandtschaft aus Gelsenkirchen ins Dorf spülen, Männer aus dem Krieg nicht heimkehren lassen oder auch die Zeit der Mägde und Knechte zu Ende gehen lassen.

Zahlreiche Bilder aus Gudrun Dietzes Familienalbum zeigen das Leben auf dem Bauernhof, erzählen von Bräuchen, einem sehr kurzen Westausflug, bei dem Gudrun als junges Mädchen vor der durchaus einschneidenden Entscheidung stand: gut leben in Bayern oder doch in der Heimat bleiben, bei der geliebten Familie? – Eine Entscheidung, vor der auch heute viele Ostdeutsche stehen.

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Plauderei an der
Thüringer Kaffeetafel

Gudrun Dietze, Buchverlag für die Frau 2012, 12,90 Euro

Vielleicht ist auch das ein Grund für die Beliebtheit der Bücher von Gudrun Dietze: So kann man sich ein Stück Heimat mitnehmen in die Fremde. Kann den Fremden da mal auftischen, wie reich und faszinierend die eigene Küche ist, und zeigen, dass man sich mit seiner Kultur vor nichts und niemandem verstecken muss.

Der Band enthält außerdem auch noch ein Verzeichnis aller Rezepte aus allen elf Büchern. Wer also nur noch so ein vages Erinnern hat, dies und jenes thüringische Rezept könnte es geben und man könnte es den vorlauten Möchtegerns in Lederhosen oder Nadelstreifen mal vorsetzen, der kann hier suchen und wird bestimmt fündig.

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