Für ihr Kinderbuch "Alles Familie", das 2010 im Klett Kinderbuch Verlag Leipzig erschien, wurde Alexandra Maxeiner 2011 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. Und auch ihr neuestes Buch ist eine Expedition in die wunderbare Welt der Knirpse.
Es ist – in historischer Weite betrachtet – ein Anti-Heinrich-Hoffmann-Buch. Kein Anti-Struwwelpeter – das besorgen andere Autoren, die sich mit dem fatalen Erziehungsbild des Herrn Heinrich Hoffmann beschäftigen.
Alexandra Maxeiner, Theaterwissenschaftlerin, Filmwissenschaftlerin, Texterin und Redakteurin, beschäftigt sich mit den Opfern der Hoffmannschen Erziehungswut: den Kindern selbst. Die erst einmal gar nichts sind von dem, was im „Struwwelpeter“ als Negativ-Bild gezeichnet wird – kein Zappelphilipp mit Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, kein Suppenkasper, kein strubbeliger Zottelhaarjunge. All die Bilder dominieren ja bis heute die deutsche Herumerzieherei. Mit all ihren fatalen Folgen, die dann freilich nicht mehr mit dem Prügel, sondern eher mit Pillen korrigiert werden.
Alexandra Maxeiner hat nicht ohne Grund auch noch Ethnologie studiert. Da lernt man heutzutage auch, dass man die Eingeborenen nicht aus der Warte des zivilisierten und siegreichen Besserwissers studieren und begreifen kann. Man muss lernen, sich in ihre Weltvorstellungen hineinzuversetzen.
Ernst nehmen muss man sie sowieso. Eine nicht immer ganz leichte Aufgabe für Eltern, die doch eigentlich nur wollen, dass zu Hause alles schnurrt, dass die Kinder gedeihen und zu – na ja – ordentlichen Menschen werden. Oder sollte man besser schreiben: zu orrrrdenttlichenn Menschen? – Stillgestanden! Hände gewaschen! Mund gehalten! Zimmer aufgeräumt! Stillgesessen!
Alexandra Maxeiner tut, etwas ganz Einfaches: Sie versetzt sich selbst wieder in die Sicht des Kindes, das sie ja auch einmal war. Das baut Barrieren ab. Und dann fragt man die Knirpse selbst. Anouk, Fabian, Florentine, Henri, Julie, Lasse – und wie sie alle heißen. Fragt sie einfach mal, was sie mit ihrer kurzen Größe und den täglichen Erfahrungen so lästig finden.
Und wenn man zuhört, bekommt man mit: Das ist für Knirpse von acht Jahren eine ganze Menge – vom „An Alles denken müssen“ bis zum „Zu spät kommen“. Man begegnet den eigenen gänsehautmachenden Erfahrungen mit stacheligen Pullovern und nassen Socken, Rosinen im Kuchen und Schildern im Kleid, blöden Faschingskostümen und falschen Beschuldigungen.
Man begegnet, wenn man noch nicht ganz verdorben ist, sich selbst: der Angst vorm Haarewaschen (und dem brennenden Shampoo) in den Augen, dem Begrüßungszwang Leuten gegenüber, die man überhaupt nicht kennt, der Angst vorm Zahnarzt und der Scham, die Klamotten der größeren Geschwister tragen zu müssen. Manche Peinlichkeiten verweisen auf andere Peinlichkeiten – wie etwa die, rot zu werden und dann gar noch alle Blicke auf sich zu ziehen und im Mittelpunkt zu stehen!
Spätestens da fühlt man sich an die berühmteste aller Comic-Strip-Serien erinnert, in der der geniale Charles M. Schulz diese kindlichen Erfahrungen in lauter philosophisch stimmende Geschichten umgesetzt hat. Fremd mutet die Welt der „Peanuts“ aber nur an, wenn man selbst nicht mehr Kind sein kann und auch die eigenen Kinder nicht versteht.
Oder verstehen will. Die doppelte und manchmal dreifache Not mit schlechten Noten, die Ausweglosigkeit in Zeiten schlechter Laune oder Langeweile. Die Panik vor Schleim im Haar oder die Angst vor nörgelnden oder schadenfrohen Spielverderbern.
Und natürlich erkennt sich auch der Erwachsene wieder. Man benimmt sich ja selber oft blöd, wenn man im Umgang mit Kindern verunsichert ist. Das führt dann zu blöden „Wie-War’s-Fragen“ oder zu gebrochenen Versprechen, weil das Kind nicht so funktioniert hat, wie es sollte, oder zu „Keine-Zeit-Ausreden“, während Kinder immer Zeit haben sollen. Und was selbst Erwachsene nervt – „Bestimmer“ zum Beispiel – kommt auch bei Kindern nicht gut an.
Erstaunlich ist nur, dass gerade die grässlichen Typen, die einen schon als Kind geärgert haben, im Erwachsenenleben immer noch dieselben Nervensägen und Ekelverursacher sind. Woran liegt das nur? Gibt es noch eine andere Kinderwelt, zu der normale Kinder keinen Zugang haben?
„Ab 8 Jahre“ steht auf dem Buch. In diesem Lexikon der Lästigkeiten werden sich ganze Familien wiederfinden. Und ehrliche Mütter und Väter werden feststellen, dass es ihnen oft genauso geht. Beim „Weniger abkriegen als die anderen“ genauso wie bei „Erwachsenentelefonaten“ anderer Leute oder bei Angebern, die immerzu allen erzählen müssen, wie toll sie sind.
Lexikon der Lästigkeiten
Alexandra Maxeiner, Klett Kinderbuch 2011, 9,90 Euro
Das mit den „8 Jahren“ ist also weit nach oben offen. Es ist ein echtes Entdeckerbuch und ein Wiederentdeckerbuch für alle, die als fertig gewordene Erwachse das Gefühl haben, dass das eigentlich gar kein anderer Zustand ist, ein fertiger schon gar nicht. Und auch keiner ohne Lästigkeiten. Nur dass man dann vielleicht die Rosinen im Kuchen sogar toll findet. Und die gesunden Mohrrüben.
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