Manches, was im Leipziger Literaturverlag erscheint, ist schwere Kost. Da merkt man, dass der Verleger Philosoph ist und seinen Lesern was zutraut. So ganz nebenbei sammelt er aber auch eine namhafte Autorenriege um sich. Jetzt hat er den Berliner Autoren und einstigen Leipziger Rebellen Martin Jankowski in seinen Verlag geholt.
In den 1980er Jahren gehörte Jankowski (46) zur kulturellen Leipziger Untergrundszene, eine Zeit, die er in seinem Roman “Rabet oder Das Verschwinden einer Himmelsrichtung” reflektierte, der 1999 erschien. Da lebte Jankowski schon in Berlin.
Mit dem “Sekundenbuch” zeigt er sich von seiner poetischen Seite. Und wer jetzt dachte, er würde irgendwo in der poetischen Nähe Wolf Biermanns oder Stefan Krawczyks auftauchen, ist verwundert. Lyrisch ist Jankowski kein Rebell. Oder fast schon ein Anti-Rebell. Denn so ganz ohne Grund spielt der Buchtitel auch nicht auf Rilke an, dessen “Stundenbuch” ja auch ein weltanschauliches Bekenntnis ist, das ganz sicher fasziniert. So konsequent hat kein anderer deutscher Dichter seine Absage an gesellschaftliches Engagement und völlige Kontemplation formuliert. Das ist das “Sekundenbuch” nur in Teilen. Ein Gegenentwurf ist es nicht.Aber – auf fast kontemplative Art – eine Auseinandersetzung mit der Sprachhaltung nicht nur Rilkes, der bei Jankowki nicht ganz zufällig auch in die geistige Nähe zu Nietzsche rückt. “ich reiste mit rilke und lamettrie / von röcken bei lützen nach radebeul”, beginnt sein Gedicht “rilke im fieber”, dem er gleich zwei Zitate davorgesetzt hat – eins von Rilke, eines von William S. Burroughs: “Language is a virus”. Mit lamettrie – oder doch besser: La Mettrie – ist der Kontrapunkt zu Rilke gesetzt: der Mensch als Maschine. 1748 erschienen, höchst aktuell. Jankowski: “die beiden standen in meinem speicher / die festplatte hoch oben / siliziumgestirne”.
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Am Ende taucht auch noch Brecht auf – den Jankowski zurechtweist, weil wohl eben doch Burroughs Recht hat. Ein Disput, der natürlich übers Gedichteschreiben hinausweist. Aber so ganz abwegig nicht ist. Denn manchmal haben Dichter auch einfach Pech. Sie haben zu viel gelesen. Und auch wenn nichts nach Mörike, Uhland und Eichendorff klingt in ihren Versen, das Fertige, Bereitliegende mogelt sich doch in die Texte. Und die deutsche Lyrik ist eine prägende. Sie füllt alle Speicher. Sie hat auch die Alltagssprache durchdrungen. Das merkt nur nicht jeder mehr, der die poetischen Momente seines Lebens als einzigartig und nie dagewesen empfindet und besingt.
Und auch, wo der Gestus scheinbar tatsächlich ins Poetische geht, hat man beim Lesen so eine Ahnung: Das kennst du irgendwoher. Von Hertha Müller vielleicht. Vielleicht war das so ähnlich auch bei Ingeborg Bachmann zu lesen. “nebel überm vogelmoor / bäume fingern feucht nach halt / unter halbverfallnen mauern …” In diesem Gedicht (“die wahrheit”) meldet sich unverhofft sogar Theodor Storm zu Wort. Vieles ist romantisch an Jankowskis Texten, zuweilen melancholisch, nachdenklich oft. Man merkt schon, dass dieser Virus allgegenwärtig ist, der unser tiefromantisches Verhältnis zur Natur noch immer prägt. Bis in die Sprachwahl hinein. Bis in den Widerspruch hinein: “alles / ist sprache / die dinge / (ich, der schnee, die sterne) / sind metaphern …”Da hilft kein Burroughs. Das ist das alte romantische Welt-Verhältnis. Natürlich macht das die Gedichte lesbar für alle, die sich gern tragen lassen von Bildern, die mittlerweile zum großen Fundus gehören. Das verstört nicht. Das tröstet fast: “sieh nur der mond / wird zornig rot spielt / schattenspiele mit den wolken” (“anflug auf yogya”). Hier ist einer eins mit sich und den Bildern und mit seiner Welt. “jetzt geh ich / mit geschlossnen augen / durch die stadt / die mich kennt …”
Was nicht ausschließt, dass er sich durchaus bewusst ist, dass ein Dichter im Grunde immer wieder von Grund auf beginnen muss. Bei Adam zum Beispiel, dessen erster Job es ja nicht war, sich die Welt untertan zu machen, sondern allen Dingen einen Namen zu geben. Eine zähe Aufgabe, wenn der Bursche noch gar nicht weiß, wie so was funktioniert. “adams arbeit” ist auch ein Poem über das Dichten. Da ist Darwin (welche Ãœberraschung) nicht weit, den Jankowski im 9. Teil des Poems zitiert: “Jedermann weiß, daß harte Arbeit die Epidermis der Haut schwielig macht …”
So geht’s auch Dichtern im Wortwerk. Es geht um Zorn und Glück. Um die Benennbarkeit der Dinge, die einem da geschehen auf Erden. Wissend auch darum, dass man das Eigentliche meistens gar nicht zu fassen bekommt: “ihre schatten / die Worte”. Was bleibt da noch? – Nicht aufgeben. Weitermachen. Und – siehe da – auch mal beim Herrn Brecht kann man da vorbeischauen: “die abendhitze summt da kommt noch was / weit hinten klingt es wie musik // und das schilf am graben hinter der wiese / riecht wie zunder …” Na schöne Grüße aus den Buckower Elegien.
Sekundenbuch
Martin Jankowski, Leipziger Literaturverlag 2012, 16,95 Euro
Es geht ja in der Lyrik nicht um Rechthaben oder nicht. Das können die Theoretiker unter sich ausfechten in unlesbaren Büchern. Sie werden immer irren. Es geht um das alte Adamsche Wortwerk: den Dingen einen Namen zu geben, sie fassbar zu machen, indem man die richtigen Worte, Bilder, Assoziationen findet. Und immer dran zweifeln, dass es die richtigen sind. Was bleibt, entscheiden am Ende die Leser und die Verleger. Vielleicht ist es ja am Ende das Einfache, scheinbar so Simple, der beruhigende Gedanke, dass die Hatz für die Katz ist: “durch wie viele tage, städte musste ich hasten / um dieses weizenfeld zu sehn” (“zwei sekunden ganz”).
Da ist man wieder bei Rilke und seiner tiefen Versenkung im “Stundenbuch”: “ein augenblick wie ausgeschnitten / aus einem traum aus einem alten buch”.
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