Er schrieb Kurzerzählungen, Hörspiele, Drehbücher. "Wolfsgrenze" ist der erste Roman von Ji?í Polák. Eigentlich ist er Film- und Theatermann. Und die Schule ist nachlesbar. Auch in "Wolfsgrenze". Die Schule heißt Milan Kundera. Bei dem lernte der Drehbuchautor und Dramaturg, der 1980 aus der CSSR ausgebürgert wurde.

Seitdem lebt er in Deutschland. Im Land der Symposien, Jurys und Stipendien, wenn es um Kunst und Kunstfinanzierung geht. Ganze Vereine und Stiftungen leben davon, dass sie Seminare und Kolloquien organisieren, um mal über Kunst zu diskutieren, mal um welche zu machen. Bund und Länder stellen dafür Projektgelder zur Verfügung. Manchmal kommt was Spannendes dabei heraus, manchmal ist es das nötige Zubrot für Kunstschaffende, die dann als Seminarleiter oder Juror eingeladen werden, wie in Poláks Buch der Fotograf Daniel Falk.

Der hat ein bisschen Verwirrung in seinen Liebesbeziehungen. Und er hat eine Vergangenheit wie sein Autor, hat seine Heimat in den 1980er Jahren verlassen, nachdem ihm der tschechische Geheimdienst zu nah auf die Pelle gerückt war und ihm richtiger Ärger drohte für ein paar Fotos, die er vom wassersporttreibenden Sohn eines Funktionärs gemacht hatte. Was nicht die einzige Ähnlichkeit mit dem ist, was damals auch im Osten Deutschlands vor sich hin gärte.Dass er seiner Vergangenheit bei diesem Symposium zumindest nahe kommen würde, ahnt Falk schon, denn das “Haus Vogelsang”, in dem es stattfindet, liegt nah an der deutsch-tschechischen Grenze, hat auch selbst eine wechselhafte Geschichte mit den jeweiligen Machthabern diverser Regime. Und auch nach 1990 hat das Haus wohl nur überdauert, weil der Betreiber recht dubiose Mieter aufnahm. Dass freilich eine junge Tschechin namens Sonja unter den Kandidaten für das ausgelobte Stipendium sein würde, konnte Falk nicht ahnen. Und er braucht auch erst ein Weilchen, um zu merken, dass ihm da seine eigene Vergangenheit leibhaftig über den Weg lief.

Das wäre schon Stoff genug für einen Film mit knisternder Verführung. Aber wer Kundera gesehen hat, weiß, dass der es seinen Zuschauern so einfach nicht macht. Die “unerhörte Leichtigkeit des Seins” ist immer untersetzt mit einem schweren, zuweilen recht dunklen und (alb-)traumhaften Stoff. Was einfach sein könnte, gerät in die Schattierungen von scheinbaren Randgeschichten, die ein gewisses Eigenleben entwickeln. So wie die Geschichte vom Wolf, der zwar wirklich wieder nach Sachsen eingewandert ist – aber nicht in diese Ecke märchenhaften deutschen Waldes im Grenzgebiet zu Tschechien.

Oder vielleicht doch? – Einige Begegnungen unterwegs lassen Falk das schon ein wenig anders sehen. Eine Einwohnerversammlung, auf der eine Wolfs-Expertin referiert, wird zur Begegnung mit einer weiteren Randgruppe aus diesen fast-böhmischen Wäldern – Jugendlichen, die augenscheinlich auf ihre Art das Ausgesetztsein versuchen auszuleben.

Und irgendwie scheinen sich einige seltsame Geschichten um das “Haus Vogelsang” zu verknüpfen. Ist Falk zu neugierig? Oder spielt jemand mit ihm ein Spiel, das er nicht durchschaut? Ist er ein paar alten Seilschaften zu nahe gekommen? – Am Ende weiß er zwar noch immer nicht, wer da welche Spielchen gespielt hat. Der Leser weiß es auch nicht. Die Monologe des einsamen Wolfes, die Falk zugespielt werden, lassen zwar alles Mögliche vermuten, lassen sich im Film ganz bestimmt auch als bedrohliche Elemente gut einbauen. Doch auch das Gefühl wird immer manifester, dass Falk nicht nur der eigenen Geschichte und den Geschehnissen in seiner einstigen Heimat nahe gekommen ist, sondern dass diese Verstrickungen in diesem Grenzland wohl grenzübergreifend sind. Und dass einige Leute in diesem Gewirr von Wissen und Unwissen, Beziehungen zur Macht und Angst vor Entlarvung trotzdem weiter ihr Unwesen treiben.Da sind selbst die Themen, die sich die Kandidaten des Symposiums, die aus mehreren Staaten Osteuropas kommen, wie Zündfunken. Denn wie kann man ein solches Grenzland, in dem nach offizieller Verlautbarung der sächsischen Regierung alles friedlich und unter Kontrolle ist, künstlerisch kritisch beleuchten? Wie thematisiert man den Grenzschmuggel, die Flüchtlingsströme, das Leben der Einwohner?

Noch ein Faden, der sich durch den Roman zieht. Denn mit dem Thema Grenzland geht man ja offiziell ähnlich verdruckst um wie mit dem Thema Wolf. Was es nicht geben darf, gibt es nicht. Ein Stipendiat muss abreisen, weil er das Grenzland gar aus der Luft fotografieren will. Unter der schönen bunten Farbe europäischer Gemeinsamkeit lauern die alte Ängste. Ängste, die Falk eigentlich glaubte, hinter sich gelassen zu haben. Doch wer zieht da eigentlich die Fäden? Geht es bei diesem Symposium tatsächlich um die Auswahl von Stipendiaten?

So wie der Held der Geschichte bleibt auch der Leser im Ungewissen, weiß nicht, ob die Spuren, die ihm offeriert werden, tatsächlich zur Lösung des Rätsels beitragen oder tatsächlich eher ins Abseits führen, ins Rätselhafte. So wie die Fahrt durch Nebel hinauf in die Berge ins Rätselhafte führt und die Begegnungen, die Falk hat, rätselhaft bleiben. Bis hin zur letzten. “Keine Fotos, keine Beweise, keine Schüsse und Schreie im Wind.”

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Wolfsgrenze
Jiri Polak, Leipziger Literaturverlag 2012, 24,95 Euro

Es ist eine Geschichte wie aus der deutschen Romantik, in der der Held durch den Nebel in eine eigenartige Gemeinschaft verschlagen wird, deren Geheimnisse er zu ergründen versucht, ohne einen Anhaltspunkt dafür zu finden, dass seine Mutmaßungen richtig sein könnten. Der Verdacht bleibt ein Verdacht.

Im romantischen Märchen taucht der Held dann meist mit schlohweißen Haaren wieder auf. Doch das wäre ja dann ein Märchen und kein Roman, in dem sich die Jetztzeit und die Vergangenheit ineinander mengen. Der Wolf, der stille Beobachter, scheint da zu sein. Nur auf Festplatte bekommt ihn der etwas verwirrte Juror nicht.

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