Sieht auf den ersten Blick aus wie ein Adressbuch. Nüchtern in Blau, mit Leipziger Stadtwappen. Der zweite Blick bleibt bei der Zahl 111 hängen. Gibt es denn 111 Orte in Leipzig, die man gesehen haben muss? - Klar, wenn es sie andernorts gibt, muss es sie in Leipzig auch geben. In Köln gibt es sogar 111 Kneipen, die man kennen muss.
Köln ist ein Ausnahmefall. In Köln ist der Emons Verlag zu Hause, der seit einer Weile die handlichen Bücher mit der 111 herausgibt. Zu Köln gibt es mehrere, Rheinland und Ruhrpott sind gut bestückt, auch Paris, München und Berlin findet man in der Reihe, die Ostseeküste ist dabei – und nun sind es auch Dresden und Leipzig. Die beiden Bände erscheinen gemeinsam zur Leipziger Buchmesse. Und sie zeigen, dass man in Stadt(ver)führern nicht immer das üblichen Schema einhalten und die immer gleichen Sehenswürdigkeiten beschreiben muss.
Oliver Schröter, gebürtiger Dessauer, lebt in Leipzig, hat seit 15 Jahren eine Beziehung zur Stadt, ist 34 und damit jung genug, auch noch die Neugier und die Lust auf Neues mitzubringen. Familie hat er auch, das sorgt für zwangsläufige Entdeckungen und Schwerpunktsetzungen. Und auch Doppelungen. Denn wer mit den Knirpsen regelmäßig im Clarapark und auf den einschlägigen Spielplätzen unterwegs ist, der weiß schon da allein ein paar Dutzend Orte zu nennen, die man kennen muss. Den italienischen Eiswagen an der Sachsenbrücke zum Beispiel (“Papa, kaufst du mir ein Eis?”), den Richard-Wagner-Hain mit dem bunten Wagen von “Zierlich Manierlich” (“Papa, kaufst du mir ‘ne Brause?”), die Parkeisenbahn am Auensee (“Papa, noch ‘ne Runde!”) und den Eiswagen an der Bistumshöhe (“Papa, kaufst du mir noch ein Eis?”).Aber ganz ehrlich: So ein Stadtverführer hat gefehlt. Schröter ist freier Autor und Journalist, und er hat die Stadt auch als Student erkundet. Da landet man auch im Clarapark, logisch, der nun in Teilen wieder Johannapark heißt, wo junge Leute picknicken und grillen und Fußball spielen. Und junge Brautpaare lassen sich auf Leipzigs Seufzerbrücke fotografieren. Die natürlich nicht so heißt, aber fußläufig vom Standesamt aus gut erreichbar ist.
Der junge Blick sorgt dafür, dass das junge Leipzig sichtbar wird: die “Karli”, wo immer was los ist, auch nach Vorlesungsschluss, die Spinnerei, wo nicht nur gemalt wird, die Moritzbastei und der Drallewatsch, wo man immer hingehen kann und klönen. Die Feinkost und Frau Krause und das Kindermuseum Unikatum – aber darüber hat garantiert der junge Vater geschrieben.
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Die ältere Stadt spart Schröter nicht aus. Ist ja nicht so, dass sie nur langweilig ist. Der Hauptbahnhof ist für jedes Lebensalter ein Tobeplatz, die neue Messe zu manchen Zeiten auch. Und wer ein etwas anderes Museum sucht, landet auch schon mal im Druckereimuseum und im Kleingärtnermuseum (“Papa, ich will auch einen großen Garten!”)
Es tauchen auch jene Orte auf, um deren Rettung die Leipziger in den letzten Jahren besonders engagiert kämpften – das Stadtbad zum Beispiel oder das Bowling-Center. Auch Sport gibt’s. Zumindest aus Papas Perspektive, der sich im Alfred-Kunze-Sportpark wohl fühlt. Aber vorher war er beim Wave Gotik Treffen auf der agra, im Ägyptischen Museum und in der schönsten Uni-Bibliothek weit und breit – der Albertina. Den Auewald kann er gar nicht vermeiden. Aber bei Kirchen ist er wählerisch – empfiehlt mal zur Abwechslung die Reformierte Kirche am Ring, die neue Kirche in Thonberg und die Peterskirche.
Wer also die üblichen Berühmten erwartet hat, wird auch hier augenzwinkernd ins Abseits geführt. Die Berühmten laufen ja nicht weg, während man mal ins älteste Kino der Stadt spaziert (das in diesem Jahr 100 wird), den Knick im Alten Rathaus sucht oder mal eine Stunde zum Staunen ins Panometer fährt. Zu jedem Foto gibt es die notwendigen Anreisedaten. Der Auswärtige kann die Tour also schon vorher planen – ein paar Karten im Anhang schaffen den nötigen Überblick.Da kann man sich auch durchaus extravagante Touren zusammenstellen, denn alle 111 Orte schafft man sowieso nicht an einem Tag. Zu jedem Ort gibt es einen ausführlichen Text, der das Besondere und die Geschichte erzählt, auch wenn es wohl weiterhin dabei bleibt, dass das Neue Rathaus tatsächlich nicht da steht, wo Dietrich der Bedrängte im 13. Jahrhundert seine Burg baute. Manchmal ist Geschichte nicht ganz so dingfest zu machen, wie sich die Chronisten gern geben.
Und wer gedacht hätte, der Band müsste doch – wenn er mit A begonnen hat – mit Z enden, der wird schon bei W gestoppt: Der Wilhelm-Leuschner-Platz macht den Schluss und gibt Schröter die Gelegenheit, tatsächlich den großen Bogen zu spannen. Denn mit der Friedlichen Revolution von 1989 hat der Platz zwar nichts zu tun (auch wenn er demnächst so heißen soll), dafür mit einem der Vorläuferereignisse umso mehr: der Beat-Demo von 1965. Und wenn jetzt tatsächlich einer der 41 Entwürfe zum Leipziger Freiheitsdenkmal im Sommer eine wild rockende Renft-Combo zeigen sollte, dann könnte der Versuch, Freiheit in Leipzig in einem Denkmal zu gestalten, tatsächlich gelingen. Haben Künstler und Jury den Mumm zu so einem Denkmal?
Zu wünschen wäre es. Dann könnte man das Denkmal mit einem Leipziger Rockkonzert einweihen, zu dem man dann auch noch Udo einladen könnte und seinen “Sonderzug nach Pankow”.
Dann brauchten wir keine Angst zu haben, dass das Ganze so peinlich wird wie in Berlin.
111 Orte in Leipzig,
die man gesehen haben muss
Oliver Schröter, Emons Verlag 2012, 14,95 Euro
Vorher kann, wer Lust hat, Oliver Schröters 111 Orte besuchen. Mancher wird Neues für sich entdecken, mancher wird was vermissen. Es ist eine ganz eigene, sehr junge Sicht auf die junge Stadt Leipzig, eine ohne Scheuklappen. Und weil alle Tipps alphabetisch geordnet sind, kann man sich auch alphabetisch durcharbeiten. Von “Grufti schlägt Bauer” bis “Yeah, Yeah, Yeah”. Da bekommt “Leipzig ist Musik” einen ganz anderen Klang.
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