Der Leipziger Poetenladen, der schon mit mehreren beherzten Veröffentlichungen dazu beigetragen hat, die Lyrikszene in der Region populärer zu machen, hat jetzt eine eigene Lyrikreihe gestartet mit dem ambitionierten Titel "Neue Lyrik". Zwei Bände sind jetzt erschienen und feiern am Abend des 3. Februar in der Alten Nikolaischule Premiere. Für Michael Fiedler ist die Veröffentlichung gleichzeitig sein Debüt.

“Wir wollen damit das etwas vernachlässigte Genre Lyrik unterstützen”, erklärt Verleger Andreas Heidtmann zum Start der Reihe, “gerade in Sachsen, das einstmals für seine Dichterschule berühmt war.”

Ein mutiger Ansatz. Denn bei der sächsischen Dichterschule ist es ganz ähnlich wie bei der Leipziger Malerschule: Sie brilliert mit Handwerk. Das setzt Maßstäbe. Auch für den Leser. Gedichte müssen auch dann funktionieren, wenn der Leser kein theoretisches Rüstzeug mitbringt, die verwendeten Techniken nicht entschlüsseln mag und sich einfach nur einlässt auf die Worte und Bilder. Jan Kuhlbrodt, der zum Erstling von Michael Fiedler das Nachwort geschrieben hat, betont Fiedlers Arbeit mit dem Wortmaterial. “Second Search” hat er seinen Nach-Text überschrieben. Eine Anspielung auf die Methode, mit der Fiedler arbeitet.Der Leser merkt’s. Er kommt mit dem 1981 Geborenen in eine Welt, in der es technisch zugeht. In doppelter Weise. “Michael Fiedlers Methode ist der Cut”, schreibt Kuhlbrodt. “Das heißt, er arbeitet mit vorgefundenem Wortmaterial.”

Das er sammelt, sortiert und zusammenbaut. Collage nennt man das für gewöhnlich. “Fiedler recycelt”, schreibt Kuhlbrodt. Was eine durchaus bestechende Methode sein kann, jene dissonanten Bilder zu erzeugen, die bei jedem Menschen jeden Tag durch den Kopf spulen. Man denkt ja nicht in Geschichten, nicht einmal in Bildern, eher in Fragmenten, Anklängen, Stichworten. Bruchstückhaft meist, abgelenkt von immer wieder neuen Momenten, Eindrücken, Situationen. Auch die Ablenkungen spart Fiedler nicht aus, gestaltet sie manchmal als Brüche mitten in der Zeile, manchmal als eigenen Block.

Womit er auch seine Methode beschreibt. Gleich im ersten Text: “Zwischenlösung / Teile für Zeile // Poesie wird vorbereitet / spielt Roulette”. Gedanken springen. In einigen Gedichten scheint man mit Fiedler im Führerstand eines großen Gerätes zu stehen und – wie beiläufig – die mechanischen Vorgänge während der Fahrt zu registrieren, die kurz die Aufmerksamkeit erwecken. Ein durchaus faszinierender Vorgang, wie aus diesen registrierten Bildern so etwas wie ein Gesamteindruck entsteht. Kein Bild. Dazu bleibt es zu fragmentarisch, ruckelt immer wieder auf eine neue Spur der Wahrnehmung.

Ob Fiedler dabei die Internet-Suchmaschine traktiert, ist eigentlich ein überflüssiger Hinweis. Zu ähnlichen Materialgefügen kann man auch kommen, wenn man das Dauergeschnatter aus dem TV-Gerät mitschneidet oder ein Lexikon wälzt oder – wie in Fiedlers Texten “aus dem europäisch-asiatischen Waldgebiet” ein Botanik-Lehrbuch. Eine Art Tieftauchen in den Slang von Fachleuten, der so spezifisch ist, dass er gar nicht zum Bild gerinnen kann. Der Prozess der Bildwerdung stockt, vollendet sich nicht. Der Leser prallt an den Fachtermini zurück. Das, was scheinbar bildhaft beschreibende Wissenschaftssprache ist, bleibt ein nicht entschlüsselbarer Code. Der nur vage ein Bild von Leben, Vielfalt, Vegetation ergibt – eine Collage, die an einen Wald erinnert. Aber keiner ist. Ein Wald aus Fragmenten – Schuppen, Knospen, Knoten, Ausläufern. Aber kein Baum, keine Blume, keine Wiese. Ein beängstigender Wald. Ein Wald ohne Weg.Und damit den Collagen eines Max Ernst zum Beispiel sehr nah. Bilder, in denen die Strukturen zerstückelt sind. Die in ihrer Anmutung etwas ahnen lassen. So wie in manchen Träumen. In denen man weiß, man hat etwas gesehen, war tief beeindruckt, kann auch sagen, was es gewesen sein könnte – aber wenn man versucht, es in seinen Details zu beschreiben, zersplittert es. Wie Fiedlers “Traumstadt”.

“Traumstadt, die andere / Deutung im ersten Viertel Untersuchungen / auf Lebenszeit ein Zwitter …” – Was auffällt: das Fehlen der Verben. Die Dinge und Worte stehen ohne Kitt, ohne Deutung nebeneinander. Sie folgen aufeinander. Aber sie fließen nicht. Es ist die fragmentarische Wahrnehmung von Dingen, die da sind, aber niemandem geschehen. Auch keinem dichterischen Ich. Das Ich ist außerhalb der Texte: als Konstrukteur und Baumeister und Collageur.

So äußert sich Fiedler auch: Das gesammelte Material deutet auf den Erzähler hin, da er es ja gesammelt und ausgewählt und sortiert hat. So, wie ein Herbarium, eine Schmetterling- oder Steinsammlung auf ihren Sammler hindeuten. “Wer glaubt, aus der Summe seiner Erinnerungen zu bestehen, sollte dieses Gebiet meiden”, schreibt Fiedler in seinem Gedicht “Hafengebiet”. Nur die Beschreibung des Hafens wird man hier nicht finden. Der kursiv gesetzte Satz wird gleich zum Scharnier, das dem Text eine andere Richtung gibt: “Kopfarbeit Fragmentierung Endstation Mensch”.

Weiter unten das Warnschild: “Geschmacksdiktat”. So ganz neu, wie in der Schlusszeile behauptet, sind die Worte nicht. Vielleicht ist es nicht die “Summe der Erinnerung” (was immer das heißen mag), die das Sehen und Wahrnehmen des Menschen bestimmt. Aber zumindest ahnt man, wie sehr das Benennen-Können, das Schon-Wissen auch das Sehen des Autors bestimmt. Was ihm auffällt, was ihm aufhebenswert erscheint. So zufällig, wie es auch alltäglich geschieht, wenn man kurz registriert, wie alles geschieht ringsum. Das Leben als große Sammelbox, eindeutig klassifizierbar jedes Detail – doch am Ende trotzdem nicht fassbar. Leben eben. Das große Fragezeichen.

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Geometrie und Fertigteile
Michael Fiedler, Verlag Poetenladen 2011, 16,80 Euro

Veranstaltungstipp: Am 3. Februar haben die ersten beiden Bände der von der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen gemeinsam mit den Schriftstellern Jayne-Anne Igel und Jan Kuhlbrodt im Leipziger Verlag poetenladen herausgegebenen Buchreihe “Neue Lyrik” in der Alten Nikolaikirche ihre Premiere. Ab 20.00 Uhr lesen Anne Dorn und Michael Fiedler aus den Bänden. Der Eintritt ist frei.

www.poetenladen.de

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