Warum 299? Warum nicht 111 oder 333? - Dieses Buch ist ein Rätsel. Das Vorhaben ist edel. Hilfreich sei der Mensch. Und das Gedränge im Kölner Dom und der Dresdner Frauenkirche ist wohl nicht nur Dirk Klingner manchmal zu eng. Der Kölner Dom kommt trotzdem drin vor - als Nummer 130.

Im Anhang findet man auch Karten, auf denen die 299 porträtierten Orte verzeichnet sind: Nord-, Ost-, West- und Süddeutschland, dazu Österreich und die Schweiz. Ein Lebenswerk. Eine Mammutaufgabe, das alles zu bereisen. Auch wenn nicht alles wirklich versteckt liegt. Die Nikolaikirche in Leipzig liegt genauso wenig versteckt wie so manche andere Stadt- und Dorfkirche in diesem Band, der natürlich eine besondere Qualität hat: Er lässt ahnen, welch ein Reichtum an christlichen Bauten in deutschsprachigen Landen zu finden ist. Er macht aufmerksam darauf, dass ein kleines Abweichen von Reiserouten sich immer lohnt.

Es gibt auch tatsächlich versteckte Schönheiten zu entdecken. Manchmal muss man dazu auf eine Insel fahren – wie zur Alten Kirche auf Pellworm oder zur lütten Kapelle in Bessin auf Rügen. Manchmal muss man dazu auf Berge steigen – wie zum Wendelsteinkircherl bei Brannenburg oder zur Doppelkapelle auf der Burg zu Nürnberg.Man kann auch pilgern und wallfahren – dazu laden ja Klöster und Wallfahrtskirchen geradezu ein. Unterwegs sieht man jede Menge Landschaft. Zu Fuß noch mehr als mit dem Auto. Im Anhang gibt es deshalb auch ein kleines Verzeichnis von Herbergen. Manchmal liegen die ganz günstig – wie das Kloster Helfta in Eisleben. Von da aus kann man ein paar der erwähnten Kleinode im mitteldeutschen Raum ganz gut erkunden – sei es Merseburg mit seinen Schätzen, Luthers Spuren im Mansfelder Land oder die Schlosskirche in Altenburg.

Weil alles so schön in große Regionen geordnet ist, merkt der Heimische schnell, wie sehr gesprungen wird. Mit einem schnellen Auto ist es nicht ganz so weit vom Domschatz in Bautzen zur Weinbergkirche in Pillnitz und von da zur Kirche St. Afra in Meißen und dann zur Bergkirche in Seiffen. Beschaulich ist das nicht wirklich. Auch wenn man unterwegs entdeckt: Hoppla, Dresden hat ja auch eine Russisch-Orthodoxe Kirche. Es scheint davon eine ganze Menge zu geben im Land. Es gibt auch etliche Domschätze und anheimelnde Museen – Bibelmuseen zum Beispiel oder – wie in Mainz – ein Diözesan- und Dommuseum. Wenn man dort schon einmal ist, kann man auch gleich noch den Abstecher nach Speyer zum Kaiserdom machen.

Bleibt das Rätsel: Wie soll man die 299 “versteckten Schönheiten” alle schaffen? Wer es sich zur Lebensaufgabe macht, schafft es bestimmt. Und darf am Ende das Gefühl durchaus haben, das Meiste trotzdem verpasst zu haben. Denn was lohnt etwa ein Abstecher nach Leipzig, wenn man nur die Nikolaikirche und das Bachmuseum besucht? – Ja, das ist auch drin. Bach und Luther finden schon ihre Plätze im Buch. Punktuell. Denn dafür fehlt dem Luther-Verehrer die Schlosskirche in Wittenberg samt Lutherhaus. Vielleicht waren sie zu versteckt?

So wie die Ruine des Klosters Nimbschen? – Die 299 ausgewählten Orte sind tatsächlich nur eine kleine Auswahl, ein Vorbeihuschen. Appetitanreger nennt man so etwas. Man kann die Schönheiten besuchen, die zufällig an der Route liegen, die man sich sowieso schon ausgesucht hat für seine freien Tage. Und das ganze Land ist gespickt mit diesen Kleinoden. Oft sind die sakralen Bauten das Einzige, was noch – wie in Köln – an die einstige Schönheit der deutschen Städte erinnert – nach dem Bombenhagel des Weltkriegs gerettet oder – was auf viele westdeutsche Städte so zutrifft – verschont vor dem Zugriff der Stadtplaner.Das fokussiert den Blick auf die Kirchenbauten. Sie sind oft die einzigen Zeugen einer hunderte Jahre alten Baugeschichte. Manchmal integriert in die alten Stadtkerne oder in die alten Burgen. Und nicht immer waren es Bomben oder plündernde Bauern, die christliche Baukunst und anheimelnde Ruinen verwandelt haben. Vieles ging auch durch die Säkularisierung Anfang des 19. Jahrhunderts verloren. Kirchen und Klöster wurden verkauft und zum Abriss freigegeben.

Klingner betont das gar nicht so sehr. Beim Abschnitt zur Klosterruine Heisterbach in Königswinter rückt er es ein wenig in den Mittelpunkt. 1809 verkaufte die Bergische Regierung das einstige Zisterzienserkloster an einen französischen Unternehmer, der die Gebäude sprengte, um Baumaterial zu gewinnen. Ein Zeitkapitel in der deutschen Herrschaftsgeschichte, das gern ausgeblendet wird, denn wenn es um Geld und Besitz ging, haben die Herren im Land immer sehr fiskalisch und niemals gläubig und bewahrend gehandelt. In West genauso wie in Ost, in Nord wie in Süd. Der Rest war immer Staffage.

Umso erstaunlicher natürlich, welcher Reichtum sich an sakralen Bauten und Orten trotzdem bis heute von der Nordsee bis nach Tirol erhalten hat. Mehr als genug für jeden, der solche Orte und Bauten liebt. Da und dort auch durch Wege verknüpft, die man eben nicht mit dem Auto zurücklegt, sondern zu Fuß, so, wie man Land und Orte tatsächlich am besten kennen lernen kann. Beispielhaft der Elisabethpfad und der Jakobsweg.

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Kirchen, Klöster, Pilgerwege
Dirk Klingner, St. Benno Verlag 2012, 9,95 Euro

Versteckt sind die hier aufgereihten Orte nur, wenn man sich vom Getrödel des Tages auch in seinen freien Stunden ablenken lässt, wenn man keinen Sinn hat für gebaute Schönheit oder wenn man Sehenswürdigkeiten wieder nur als Arbeitspunkte eines Urlaubsprogramms betrachtet. Also überfliegt und weitereilt. Wenn man nicht mehr Staunen und Innehalten kann.

Das Büchlein gibt einen Eindruck davon, was man alles sehen könnte – aber nicht muss. Aber als Empfehlung, von der verplanten Route einfach mal abzuweichen, ist das Buch mit seinen kleinen, farbig bebilderten Texten ein zwar zufälliger, aber ganz augenfälliger Ratgeber.

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