Es gibt zwei Sebastian Knauers, die sich in Wikipedia tummeln. Und der eine beneidet ganz offen den anderen - der 1949 einstige "Spiegel"-Autor beneidet den 1971 geborenen Pianisten. So gern würde er auch gern Klavier spielen können. Aber vielleicht ist es auch andersherum, und der junge Pianist beneidet den Autor gelungener Kriminalromane. Der jüngste aus seiner Tastatur: ein richtiger Krimi um Johann Sebastian Bach.
Denn natürlich beneidet Knauer Knauer nicht ohne Grund: Musik ist eine seiner Leidenschaften. Und die Musik des Köthener Kapellmeisters und Leipziger Thomaskantors ist eine ganze besondere darunter. Und mit Hamburg hatte Johann Sebastian Bach ja auch eine besondere Beziehung. Er besuchte die Hansestadt nicht nur 1720, als eine Organistenstelle zu St. Jacobi frei wurde und Bach zum Probespiel zugelassen wurde. Die Stelle nahm er dann bekanntlich nicht an, weil der Hamburger Rat die Stelle teuer verkaufen wollte. Schon 1701 wandte sich der 16jährige an den zu seiner Zeit berühmten Organistan an St. Katharinen, Johann Adam Reincken, um bei ihm das Orgelspiel zu erlernen.
Sebastian Knauer engagiert sich heute in der “Stiftung Johann Sebastian” für das Projekt “Eine Orgel für Bach in St. Katharinen”. Es lebt mit diesem Thema. Und jeder Bach-Liebhaber versteht die Faszination des Gedankens: Was wäre, wenn es noch viel mehr von diesem Mann gäbe? Beispielsweise irgendwo in einer privaten Sammlung, nicht ganz koscher erworben. Aber dann kommt ein pfiffiger Detektiv wie Pit Koch der Sache auf die Spur …
Nicht ganz zufällig. Denn an der Thomaskirche gibt es einen pfiffigen Hausmeister namens Didi Heintzmann, der bei Ausbesserungarbeiten am Bach-Grab in der Thomaskirche auf eine erstaunliche Kiste stößt, die den Weg zu einem ganzen Paket verschollener Bach-Kompositionen weist. Nur sind es halt nicht die Originale, die besorgte Leipziger Bach-Liebhaber hier verstaut haben, nur Ablichtungen davon. Die Spur zu den Originalen führt den erstaunlich pfiffigen Versicherungsdetektiv zu einem obskuren us-amerikanischen Milliardär.
Das mit dem “erstaunlich pfiffig” muss betont werden, denn dass Pit mit erstaunlich guter Nase und weiblicher professioneller Hilfe geradezu schnörkellos zu des Pudels Kern vorstößt, fällt schon auf in einer Zeit, in der ermittelnde Kommissare in der Regel psychische Wracks sind, die am demolierten Familienleben genauso verzweifeln wie an der Dummheit ihrer Vorgesetzten und der Rücksichtslosigkeit der Medien. Ist ja auch alles ein bisschen so. Aber wie sehr man den cleveren, flott agierenden Detektiv aus dem frühen 20. Jahrhundert mittlerweile vermisst, fällt schon auf.
Dass die Sache in der realen Welt nicht ganz so schnörkellos ausgehen würde für Pit und seine geniale Natascha, ist zumindest zu vermuten. Was die Lesefreude keineswegs mindert. Im Gegenteil. Der lesende Mensch braucht – nach all der Rohkost – auch mal ab und zu ein Schokodessert. Und wenn auch noch Musik drin ist, umso besser. Und in diesem Krimi ist eine Menge Musik. Er ist nicht nur flott geschrieben, er ist auch – im Unterschied zu Vielem, was den Krimi-Markt derzeit beglückt – professionell geschrieben. Hier rumpelt nichts, hier ist keine Watte im Text. Hier schreibt einer, dem das Schreiben seit Jahrzehnten tägliches Handwerk war, der weiß, dass man keine langen Einleitungen oder fingierte Übergänge zusammenschustern muss, damit die Geschichte Tempo bekommt. Und die Geschichte bekommt Tempo – spätestens, als die begnadete Bratschistin Magdalena im obskuren Landsitz des zwielichtigen Mister Newmann landet und mitbekommt, dass erst kurz zuvor eine Musikerin auf unerklärliche Weise verschwunden ist.
Als auch noch eine Agentin des Londoner Auktionshauses Notheby’s tot im Hafengelände aufgefischt wird, ist es eigentlich nur noch eine Frage der Zeit, bis es den nächsten Todesfall gibt. Der Jäger ist auf der Spur. Und das alles für einen Stapel Notenblätter, auf denen sich über 200 Kompositionen des jungen Johann Sebastian Bach aus seiner Zeit als Köthener Kapellmeister befinden.
Ob die von Knauer dazu erzählte Geschichte um Bachs Jugendliebe zur Reincken-Enkelin Rosina so belegbar ist, werden die Bachforscher wissen. Denkbar wäre das alles schon, denn Bach selbst war zwar sehr zurückhaltend, was persönliche Bekenntnisse betraf – aber seine Musik erzählt von einem Gefühlsleben, das mit “reich” zu bezeichnen nun wirklich eine Untertreibung wäre. Und der Fokus auf den jungen und verliebten Bach ist natürlich auch aus Leipziger Sicht spannend – denn in der Leipziger Bachpflege steht ja der ältere Bach im Mittelpunkt. Als Johann Sebastian 1723 seine Stellung als Thomaskantor in Leipzig antrat, war er schon 38. Und so zeigt ihn auch das berühmte Gemälde von Elias Gottlob Haußmann, das im Alten Rathaus hängt und auch das Cover des Krimis ziert. Es ist nun leider das einzige authentische Bild des Komponisten, dessen Swing nicht nur Sebastian Knaur bis heute so in den Bann schlägt.
Die kleinen Szenen von Bachs offiziellen und nicht ganz so offiziellen Besuchen in Hamburg blendet Knauer einfach mit ein in seine Krimi-Handlung. Sie sind quasi die Begleitmusik zur atemberaubenden Jagd nach den verschollenen Noten, die am Ende fast in filmreife Kurzszenen wechselt. Da wird dann von einer wilden Jagd auf einem amerikanischen Highway hinübergeblendet in einen ICE auf der Fahrt nach Leipzig in ein Hotelzimmer in Berlin zu einem konspirativen Treffen in der Thomaskirche …
Wer’s richtig stimmungsvoll haben will beim Lesen, der kann sich natürlich eine CD mit Bach-Musik auflegen. Das “Wohltemperierte Klavier” zum Beispiel oder eine Aufnahme mit seinen Kantaten.
Sebastian Knauer “Tödliche Kantaten. Ein Musikkrimi”, Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2011, 8,95 Euro
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