Es gibt Bücher, die müssen einfach geschrieben werden, weil sie sonst einfach fehlen. Die Geschichte Sachsens gehört in gewisser Weise dazu. "Die unglaubliche Geschichte Sachsens" auf jeden Fall. Mit dem Buch kommt ein Klassiker wieder auf den Markt, den der Leipziger Kabarettist Jürgen Hart schon 1995 veröffentlicht hat.

Damals noch unter dem Titel “Die unernste Geschichte Sachsens” im Weymann Bauer Verlag. Die Titeländerung macht Sinn. Nicht nur, weil das Buch damit besser korrespondiert mit Ulf Annels “Die unglaubliche Geschichte Thüringens”, die 1996 ebenfalls als unernste Geschichte erschien. Sondern auch, weil gerade Jürgen Hart eben nicht nur ein lustiger Erzähler war. War er ja eigentlich auch nicht. Dazu war er viel zu klug. Und hinter seiner Art Humor steckt eine Menge Ernst. Wie wenige Kabarettisten beherrschte er tatsächlich das Spiel mit Ironie, Witz und tieferer Beudeutung. Und das, was man am Ende dieses Buches tatsächlich so langsam als sächsischen Humor begreift.

Deswegen hat auch nur einer, der sein Völkchen so liebt, wie Hart es tat, dieses Buch schreiben können. Die krumme und bunte Geschichte dessen, was heute vorläufig der Freistaat Sachsen ist, ist logischerweise der Stoff, der einen begabten Humoristen dazu reizt, die Sache mit aller Respektlosigkeit zu erzählen – vom heftigen Sträuben der frühen Sachsen, sich durch die Völkerwanderung in die große Weltgeschichte hineinziehen zu lassen, bis zum Ungeschick der Neuzeit, den schönen Aufschwung Ost durch ein ehrliches Wort zu viel zu torpedieren.

Wahrscheinlich hätte Jürgen Hart, wenn er 2002 im Alter von knapp 60 Jahren nicht viel zu früh von uns gegangen wäre, die letzten Kapitel noch einmal aufgefrischt und auch noch die Abdankung König Kurts mit aufgenommen und die einmalig dusselige Verschusselung der Landesbank. Aber das müssen Vermutungen bleiben. Im Grunde steckt ja auch schon die Gegenwart in dem, was bis 1995 an Weichen gestellt wurde, bis hin zur Neigung des gemeinen Sachsen, lieber alles zu wählen, das groß und grün das Wort “Heimat” auf seine Plakate pinselt. Und wenn es der Schlagersänger Heino ist. Warum nicht?

Denn natürlich hat der gemeine Obersachse seit Anfang an das Problem, dass er eigentlich selbst nur Zuwanderer ist. Und zwar Spätzuwanderer – und damit ein Mischling reinsten Wassers. Gründlich gemixt aus Franken, Flandern, Bayern und jeder Menge fleißiger Slawen, was bis heute in seinem gut abgeschmeckten Dialekt abzulesen ist. Nicht zu verwechseln mit der sächsischen Kanzleisprache, die durch Luthers Bibelübersetzung zum Maßstab für richtiges Deutsch wurde.

Jürgen Hart nahm sich für sein Buch tatsächlich die historisch belastbaren harten Fakten zu diesem Staatsgebilde an der Elbe zum Leitfaden, ging mit der handelnden Personage freilich völlig respektlos um und zeigte diverse Markgrafen, Kurfürsten, Könige, ihre Berater und Angetrauten in durchaus menschlichen Situationen. Und das könnte aus der Ferne spaßig aussehen, wäre das nicht irgendwie tatsächlich ein ur-sächsischer Wesenszug. Denn woher hätten die herrschenden Wettiner denn sonst alle diese seltsamen Beinamen von “der Entartete” bis “der Starke” bekommen sollen? – Bis heute unvorstellbar, dass das sächsische Herrscherhaus je solche krachledernen Großmachtallüren entwickelt hätte wie das Haus der Hohenzollern.

Oft hat man (wohl mit Recht) das Gefühl, dass die Sachsen sogar stolz darauf sind, eben nicht immer auf Seiten der Sieger gekämpft zu haben. Es sind andere Dinge, auf die sie auch in ihren Überliefeungen stolz sind – Fleiß zum Beispiel und Erfindergeist. Und die Fähigkeit, die keiner so dezidiert beschreibt wie Jürgen Hart: Die Fähigkeit, aus dem übriggebliebenen Rest immernoch eine Erfolgsgeschichte zu machen. Sein liebstes Beispiel dafür: die sächsische Kartoffelsuppe, deren Rezept er im Anhang des Buches ausgiebig erläutert. Dazu die Rezepte von “Sallat weiß/grün”, Sächsischem Allerlei nach Leipziger Art und Grünen Klößen nach Vogtländischer Art. Womit der Leser auch kulinatrisch erfährt, wie groß Sachsen heute noch ist und wie erfindungsreich die sächsischen Hausfrauen sind.

An vielen Stellen beschreibt Hart sehr genau seine Sachsen, diese ewigen Skeptiker, Zweifler und Respektlosen mit ihrer “Nu grade!”-Mentalität, die selbst im berühmten Abschiedssatz steckt, den König Friedrich August III. zu seiner Abdankung gesagt haben soll: “Na, dann macht eiern Dreck alleene!”

Das Buch ist so gültig, humorvoll und lesenswert wie vor 16 Jahren. Und es zeigt den sächsischen Humor von seiner schönsten Art, denn er lebt von der Fähigkeit, seine Schwächen zugeben zu können und das auch anderen zuzugestehen. Deswegen ist der sächsische Witz auch dem jüdischen Witz so nah verwandt. Der Humor sowieso. Wer seine Lederhose nicht mit der Kneifzange anzieht, dem ist diese Art das Leben zu betrachten, sehr vertraut. Deswegen würde auch kein Sachse auf die Idee kommen, andere Völkerschaften mit dem Viehbauernspruch zu traktieren “Mia san mia!”

Dann doch lieber einen “kleinen gemütlichen König” auf dem Wahlzettel, “ohne Wahl und Verfallsdatum”. Was dann in Lehre Nummer 22 niederschlägt: “In Sachsen funktioniert die Demokratie eben zur Not auch ohne Demokraten!”

Natürlich steckt das Buch auch voller Anspielungen auf das, was in den frühen 1990er Jahren in Sachsen und Deutschland geschah. Aber erstaunlich ist auch, wie viel von diesen Seitenhieben auch heute noch treffen. Übrig bleibt die humorvollste geschriebene Geschichte des Fleckchens Erde, das sich heute Sachsen nennt. Davon hätte Jürgen Hart ruhig noch mehr schreiben können.

Jürgen Hart “Die unglaubliche Geschichte Sachsens”, Eulenspiegel Verlag, Berlin 2011, 12,95 Euro

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