Es mausert sich immer mehr zum Sammelstück, das Jahrbuch "Leipziger Stadtgeschichte", das der Leipziger Geschichtsverein herausgibt. Aus den einst recht unscheinbaren "Mitteilungen des Leipziger Geschichtsvereins" ist ein 260-Seiten-Werk geworden, in dem neuere Forschungen zur Leipziger Geschichte ihren Widerhall finden. Im neuesten Jahrbuch auch die große Suche nach dem Ursprung des Namens Leipzig.
Dazu hat insbesondere der Germanist und Siedlungshistoriker Hans Walther in letzter Zeit einiges veröffentlicht. Auf einen seiner Beiträge aus dem Jahr 2009 bezieht sich Dr. Karlheinz Hengst, Onomastik-Professor im Ruhestand, in einem Geburtstagsartikel zu Walthers 90. Geburtstag in diesem Jahr. Er konkretisiert einige Details in der Namensherleitung, die Walther für Leipzig und seine frühestens urkundlichen Formen vorgenommen hat. Und er bestätigt die Herleitung, denn ziemlich sicher scheint jetzt aus namenskundlicher Sicht, dass der Name nicht slawischen Ursprungs ist, sondern aus der Besiedlung der Region in vorslawischer Zeit stammt. Samt den möglichen Bedeutungen, die auf eine wasserreiche Landschaft deuten. Für Hengst eigentlich ein klarer Fall: Der Name ist ein Denkmal aus frühgeschichtlicher Zeit mit der Bedeutung flusswasserreiche Gegend. Hengst: “Das heißt, dass wir eine Bildung dieser Bezeichnung vor etwa 3.000 bis 4.000 Jahren, eben in indogermanischer Zeit, annehmen können.”
Die Himmelsscheibe von Nebra lässt grüßen: Sie wurde vor etwa 3.600 Jahren auf dem Mittelberg bei Nebra vergraben.
Es sind meist aktuelle Forschungsprojekte, die sich im Jahrbuch niederschlagen. Im Zusammenhang mit der Erforschung der Leipziger Universitätsgeschichte hat sich Katrin Löffler speziell dem Studentenleben in Leipzig gewidmet. Ein dickes Buch mit den authentischen Erinnerungen Leipziger Studenten hat sie dazu ja im Lehmstedt Verlag veröffentlicht. In einem Beitrag im Jahrbuch widmet sie sich noch einmal speziell dem Studentenleben im 18. Jahrhundert, das selbst die berühmten unter Leipzigs Studenten nicht alle gleich erlebt haben.
Es machte schon einen gewaltigen Unterschied, ob mein ein eher schlechter betuchter Sohn eines Kamenzer Geistlichen war wie Gotthold Ephraim Lessing oder ein reicher Bürgersohn aus Frankfurt wie Johann Wolfgang Goethe oder gar eine wirklich arme Maus wie Seume. Die wirtschaftliche Lage entschied über Wohnverhältnisse, die Versorgung mit Kleidung, Heizvorrat und Nahrung, aber auch über die mögliche Studienlaufbahn. Viele Studenten waren blutjung, wenn sie nach Leipzig kamen. Solche Zechtouren, wie Goethe sie im “Faust” schildert, konnten sich nicht alle leisten.
Katrin Löffler kann sich auch auf die Lebenserinnerungen Johann Christian Müllers berufen, die sie ebenfalls im Lehmstedt Verlag herausgibt. Ein engagiertes Projekt, dessen erster Teil auch Müllers Studienjahre in Leipzig umfasst. Der zweite Teil ist in Vorbereitung.
So manches erstaunlich materialreiche Erinnerungswerk aus dem 18. Jahrhundert wartet noch heute auf seine Veröffentlichung im Druck. Ein Beispiel führt Rüdiger Otto an, der im Jahrbuch die Tagebuchaufzeichnungen des Schweizer Theologen Gabriel Hürner vorstellt, der Leipzig im Mai 1738 besuchte – und wie so viele andere den heute so berühmten Thomaskantor Johann Sebastian Bach mit keiner Silbe erwähnte. Wie so viele Reisende konzentrierte auch er sich auf die Leipziger Gelehrtenwelt – wie Gottsched oder den Historiker Mascow. Auch die Dichterin Christiana Mariana von Ziegler erwähnt er – genauso wie Luise Adelgunde Victorie Gottsched.
Ein Stück Wirtschaftsgeschichte präsentiert Marcel Korge: Er beleuchtet den Antrag der Leipziger Schneidergesellen auf einen Festumzug im Jahr 1763. Kurz zuvor hatten sie erst den Aufstand geprobt – das Jahr ist ja kein gewöhnliches. Es ist das Jahr, in dem der Siebenjährige Krieg endete. Sachsen war dabei von den preußischen Truppen nach Strich und Faden geplündert worden und gerade die reiche Kaufmannsstadt Leipzig hatte unter den Kontributionen gelitten. Die wirtschaftliche Depression erfasste folgerichtig auch die Leipziger Schneider, die ihre Gesellen teilweise entlassen, teilweise deutlich schlechter bezahlen mussten. Der Versuch, bei einer Huldigung für den neuen sächsischen Kurfürsten im geschlossenen Verband aufparadieren zu können, zerschlug sich zwar. Aber das Antragsdokument bietet einem Historiker wie Marcel Korge Ansatzpunkte genug, die Zeit so kurz nach dem Krieg etwas eingehender zu beleuchten. Wer denkt schon an die Schneider, wenn ein großer König Krieg führt?
Und wer denkt an die Töpfer, wenn er alte Brunnen und Kloaken ausbuddelt? Auch die Archäologen nicht immer. Sie sind oft mit viel kniffligeren Fragen befasst: Was verraten die zerdepperten Töpfe und Vasen über alte Handelswege und den Reichtum des Hauses? Zum Beispiel. – Dass Leipzig schon im Hochmittelalter eine eigene kleine und produktive Töpferindustrie hatte, wurde den Ausgräbern der Leipziger Innenstadt auch erst so richtig bewusst, als sie 1995 – bevor die große Tiefgarage gebaut wurde – Teile der Grimmaischen Vorstadt unter dem Augustplatz ausgruben und dabei auf mehrere Töpferwerkstätten stießen.
Womit zum ersten Mal auch deutlich wurde, dass Leipzig seine Töpferware eben nicht nur importierte, sondern – und das teilweise auch in hoher Qualität – direkt vor den eigenen Toren herstellen ließ. Ralf Kluttig-Altmann nimmt in seinem Beitrag zum Jahrbuch die Fundgeschichte der Leipziger Keramik unter die Lupe und versucht einen neuen Überblick zu geben über Herstellung, Gebrauch und – naja – die Entsorgung. Die manchmal erst nach langer Zeit des Gebrauchs erfolgte. Und das selbst mit Stücken, die sogar geflickt waren. Auch wenn ein Teil der Leipziger Keramik billige Massenproduktion war – man hatte bis weit in die Neuzeit eben doch nicht die moderne Wegwerfmentalität und nutzte selbst in reicheren Haushalten die Dinge so lange, bis sie tatsächlich unbrauchbar wurden.
Man lernt also auch was über sich selbst, wenn Historiker anfangen, systematisch zu werden.
Ganz tief in die Geschichte der Leipziger Universitätsbibliothek begibt sich Frank-Joachim Stewing, wenn er erkundet, wie einige Bücher aus den Händen des Dominikaner-Bruders Iohannes de Weyda einst in den Bibliotheksbestand des Leipziger Dominikanerklosters gelangten. Manuel Bärwald versucht so eine Art Erkundung der barocken Musikpflege in Knauthain. Das ist dann schon etwas für Spezialisten der ländlichen Musiktraditionen.
Wer sich für Leipziger Stadtgeschichte interessiert, wird durch dieses Jahrbuch wieder ein ganzes Stück schlauer, was diese doch recht komplexe Stadt an Parthe und Pleiße ausmacht.
Markus Cottin, Detlef Döring und Cathrin Friedrich (Hrsg.) “Leipziger Stadtgeschichte. Jahrbuch 2010”, Sax Verlag, Beucha / Markkleeberg 2011, 15 Euro
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