Vor vielen, vielen Jahren gab es einmal eine Landkarte โ€žLiterarisches Leipzigโ€, schรถn faltbar, wie man das so kennt bei modernen Karten. 1998 erschien die im Verlag Jena 1800. Susanne Zwiener hatte darauf 70 Wirkungsstรคtten Leipziger Autoren und Verleger eingemalt. Die Karte ist lรคngst vergriffen. Jetzt gibtโ€™s das Ganze neu aufbereitet und erweitert.

Es heiรŸt weiterhin โ€žLiterarisches Leipzigโ€, kommt wieder aus dem Verlag Jena 1800, der nicht in Jena sitzt, sondern in Berlin in der Wรถrther StraรŸe. Doch diesmal ist es im Grunde ein kleines Lexikon, bei dem die beiden Faltplรคne โ€“ einer aus dem Jahr 1887, einer aus der Gegenwart โ€“ eher die Ergรคnzung sind. Nutzbringend fรผr all jene, die tatsรคchlich schauen wollen, wo noch ein Denkmal steht, eine Tafel hรคngt oder gar das Haus noch steht, in dem einmal ein Dichter wohnte, ein Verleger wirkte oder ein Student hauste, der spรคter berรผhmt wurde.

Ein kleines Lexikon

Den Hauptteil bildet das kleine Lexikon, in dem jetzt 80 Leipziger Persรถnlichkeiten des literarischen Lebens gewรผrdigt werden. Und zwar professionell von Ansgar Bach, der auch schon am groรŸen Brockhaus mitgearbeitet hat, als der noch professionell in Leipzig erarbeitet wurde. Der Leser bekommt also 80 gehaltvolle kleine Lexikon-Texte โ€“ von A wie Bruno Apitz bis Z wie Chistiane Mariane Ziegler. Darin kurz geschildet, was die Portrรคtierten mit Leipzig zu tun haben und hatten. Und die Erkenntnis ist nicht neu, dazu hรคtte es die Weisheit einer Juli Zeh gar nicht gebraucht: Leipzig war auch in Zeiten, da es die Buchwerkstatt der Nation war, kein gutes Pflaster fรผr Autoren.

Mal ehrlich: Autoren, die glauben, eine Verlags- und Druckereistadt wรคre ein idealer Ort zum Schreiben, die sind entweder sehr speziell oder sehr naiv. Oder ein bisschen wirklichkeitsfremd.

Sie hรคtten auch nur den kleinen Schwung an Sekundรคrlektรผre lesen mรผssen, den Ansgar Bach am Ende seines kleinen Lexikons anfรผhrt, das natรผrlich auch mit 80 Nummern nicht vollstรคndig ist. Ein bisschen reprรคsentativ schon. Die wichtigsten Autoren, die fรผr den literarischen Ruhm der Stadt eine Rolle spielten und spielen, sind drin. Natรผrlich die รผblichen Verdรคchtigen โ€“ der Studiosus Goethe zum Beispiel, dessen Spruch aus den Gewรถlben von Auerbachs Keller berรผhmter geworden ist als etwa der des Studiosus Lessing.

Was hat Bestand?

Manche spรคter Berรผhmten sind auch in Leipzig zur Schule gegangen oder haben hier studiert. Manche haben die Stadt oder ihr Umland zum Thema gemacht. Andere die Sprache. Manche sind berรผhmt, obwohl sie nicht mehr gelesen werden (was nicht immer an ihnen liegt, sondern an der Not der Verleger). Manche sind zu unrecht fast vergessen und nur noch als Name prรคsent โ€“ wie Gerstรคcker und Freytag.  Wer so einen kleinen historischen รœberblick geben will, steht vor den Tรผcken der Erinnerung: Was hat Bestand vor der Geschichte? Oder vor den gestrengen Augen der spรคteren Verleger?

Mit Bill Nivens โ€žBuchenwaldkindโ€ ist zwar auch noch einmal die Entstehungs- und Wirkungsgeschiche von Bruno Apitzโ€™ โ€žNackt unter Wรถlfenโ€ aufgewirbelt worden. Aber wird das Buch nun wieder gelesen deshalb?

Die Chancen stehen schlechter als bei den mit Liebe und Akribie aufbereiteten Werkausgaben von Lene Voigt oder Hans Reimann.

Mancher rutscht natรผrlich in so einen Leipziger Literaten-Katalog, den eigentlich andere Stรคdte und Landschaften fรผr sich reklamieren โ€“ Otto Julius Bierbaum etwa oder Franz Kafka. Auch Rilke ist drin, weil er ein paar Mal seinen Verleger Kippenberg besuchte.

Wรคhrend der junge Bรถtticher, der spรคtere Ringelnatz, tatsรคchlich in Leipzig auf der Schulbank saรŸ, genauso wie der junge Leibniz, den aber wieder keiner mehr liest. Anders als den durchreisenden Herrn Casanova, der in Leipzig natรผrlich auch den Weiberrรถcken nachlief. Leipzig ist fรผr die meisten Autoren eine Durchlaufstation gewesen. Sie haben hier studiert oder Vertrรคge ausgehandelt. Manche haben mehr versucht und haben dabei gemerkt, was fรผr ein hartes Brot man dabei in Leipzig isst โ€“ Lessing genauso wie Kรคstner.

Gutes Leipziger Schuhwerk

Andere haben sich hier von Tiefschlรคgen erholt โ€“ wie Schiller. Oder die Qualitรคt der hiesigen Schuster geschรคtzt โ€“ wie Seume. Andere wurden, obwohl beliebt und erfolgreich, zum Lande hinauskomplimentiert โ€“ wie Christian Wolff, Mommsen, Bloch, Johnson und Mayer. Andere haben tatsรคchlich hier gelebt und ausgehalten und darรผber eine Menge mehr Wahres gesagt โ€“ wie Andreas Reimann oder Georg Maurer. Womit wir bei der sรคchsischen Dichterschule wรคren, die nicht nur Sachsen umfasst, aber viel mit Maurer zu tun hat und dem Literaturinstitut, das mal nach Johannes R. Becher benannt war und von dem so mancher der Besten gefeuert wurde, wenn er zu sehr mit eigenem Kopf dachte.

Gern erwรคhnt in mehreren Beitrรคgen des kleinen Lexikons: die legendรคre โ€žMotorbootlesungโ€, an der sich einige der besten Leipziger Autoren beteiligten. Weshalb einige von ihnen auch hier vertreten sind โ€“ andere dafรผr nicht. Natรผrlich spรผrt man beim Durchblรคttern, dass Leipzig mit 80 Auserwรคhlten unterreprรคsentiert ist. Aber das wird in den anderen Bรคnden der Reihe โ€“ zu Berlin, Zรผrich, London, Dresden, Heidelberg โ€ฆ โ€“ wohl nicht anders sein.

Man kann ein gleiches Heft mit den Weggelassenen machen. Und genauso Interessantes erzรคhlen. Angefangen mit dem Studiosus Hutten und seinen โ€žDunkelmรคnnerbriefenโ€ รผber HerloรŸsohn bis zu Mori Ogai. Dass die jรผngere Gegenwart ein schwieriges Kapitel ist, braucht man wohl nicht betonen. Da ist ein Text รผber Volly Tanner ja ganz nett und Juli Zeh gewiss erwรคhnenswert. Und mit Clemens Meyer hat Leipzig auch einen, der ordentliche Prosa schreiben kann. Aber so betrachet, gehรถrte natรผrlich auch Dieter Zimmer hinein, Thomas Bรถhme fehlt und Fritz Rudolf Fries ebenfalls.

Nie genug

Ist das wichtig, kann man fragen. Sind nicht 80 mehr als genug? โ€“ Nรถ, sagt der Rezensent, nachdem er in einigen Eintrรคgen all die seltsamen Kommentare zur Literaturstadt Leipzig gelesen hat. Wenn schon, dann richtig. Dann mit allen Facetten zeigen. Leipzig war nie ein Worpswede. Und wenn man es mit Berlin oder Paris vergleichen will, dann gehรถrt meistens das โ€žKlein-โ€ davor. Leipzig war immer ein gutes Sprungbrett. Keiner wusste das besser als ein Bursche namens Brecht โ€“ der rein vom Anlass her natรผrlich auch hier hinein gehรถrt hรคtte, weil er hier seinen ersten Premierenerfolg inszienierte โ€“ um ihn dann in Berlin in bare Mรผnze umzuwandeln. Und ganz genau so haben eine Reihe der hier vertretenen Autoren die Leipziger Verlagslandschaft genutzt โ€“ Werfel zu nennen oder Roth.

Wer das literarische Leipzig sucht, ist ziemlich schnell in der Werkstatt, da, wo gefeilt und gefeilscht wird. Deswegen sind eben auch einige der rรผhrigen Verleger drin, die fรผr ihre Autoren auch entsprechende Kopfstรคnde machten โ€“ Rowohlt und Wolff zu nennen. Wer mit dem Taschenlexikon loszieht, kann also ein bisschen was lernen darรผber, wie Literatur entsteht. Recht dicht geballt in der Innenstadt. Was nicht verwundert. Hier kann man schon allein eine Kaffeehaustour machen und dabei die halbe deutsche Literatur kennenlernen. Die andere Hรคlfte wird ja bekanntlich in Elfenbeintรผrmen geschrieben.

Ansgar Bach โ€žLiterarisches Leipzigโ€, Verlag Jena 1800, Berlin 2011, 12,80 Euro

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