Das Buch war überfällig. Denn viele Leute reden zwar gern über die „Buchstadt” Leipzig, wissen aber nicht einmal mit Anfangsverdacht, wie die Verlagslandschaft an der Pleiße derzeit tatsächlich aussieht. Und so machte sich Michaela Weber auf die Socken, 23 Leipziger Verleger zu porträtieren. Und es sind längst nicht alle. 37 weitere Verlage listet das Verzeichnis im Anhang des von Pro Leipzig produzierten Bandes auf, der in dieser Woche im Haus des Buches Premiere feierte.
Und auch die 37 sind nicht einmal das, was notwendig wäre, aufzuführen. Dass einige durchaus wichtige Namen fehlen, hat verschiedenste Gründe: Nicht jeder Verlag wird Mitglied im Börsenverein des deutschen Buchhandels, nicht jeder kämpft um ein Plätzchen im Medienhandbuch der Stadt, nicht jeder pilgert zu Buchmessen, mancher veröffentlicht einfach drauflos, ohne die Erfahrenen am Platz zu fragen. Und manchmal vermutet man auch keinen Verlag hinter der Adresse, obwohl tatsächlich Bücher produziert werden – wie in der Wächterstraße 11, wo die Hochschule für Grafik und Buchkunst zu Hause ist und natürlich auch Bücher druckt in einem eigenen Institut für Buchkunst.
Leipzigs sich ändernde Verlagslandschaft
Völlig losgelöst produziert auch Oliver Baglieris Edition PaperOne in Lindenau sehr umfangreich für ein eigenwilliges Lesepublikum. Und hat mit dem FHL Taschenbuch Verlag im Leipziger Süden mittlerweile gar noch einen Tochterverlag bekommen.
Beide Verlage stehen – genauso wie der sowohl in Dresden als auch in Leipzig heimische – Verlag Voland & Quist für die Veränderungen in der Landschaft und für junge, mutige Ideen, die – abseits der Trampelpfade der deutschen Verlagsgiganten, – ein eigenes Publikum mit eigenen Themen und fröhlichen Experimenten suchen. Und in beiden Fällen kann man sagen – auch finden. Zu diesem Trio gehört auch der Poetenladen Leipzig, der sich mit Selbsteditionen engagiert in einer Belletristik-Landschaft platziert hat, in der die Welt bislang zweigeteilt schien: Hier die von den Mega-Verlagen gepuschten „Neuen Talente” – dort die finanziell dürftigen Laufübungen in literarischen Szenepublikationen.
So heißen Leipzigs wichtigste Verlegernamen eben längst nicht mehr Brockhaus (seligen Angedenkens), Reclam (Friede seiner Asche) und Kippenberg (Ende des Jahres entfleucht ja auch Insel), sondern eben Baglieri, Kalinke, Heidtmann oder Wolter. Um hier die „Jungen” zu nennen, die mit den nun „Älteren” durchaus eine spannende Mischung bilden, mit den Hinke, Lehmstedt, Militzke und auch Faber. Es ging ja fast ein hoffnungsfrohes Seufzen durch den Verlegerwald, als Michael Faber zum neuen Leipziger Kulturdezernenten gewählt wurde. Morgen ist sein erster Amtstag. Man wird sehen, ob er das Denken der Ämter ändern kann. Nicht nur der eigenen.
Buchstadt im Schatten?
Denn an die 70 bücherproduzierende Verlage in Leipzig – das ist zwar nicht der Glanz der gloriosen alten Zeiten, deren Reste die US-Amerikaner 1945 im Grunde einsackten und gen Westen transferierten, aber es ist ein nicht unwesentlicher Teil der „Medienstadt” und der jüngst erfundenen „Kreativwirtschaft”. Hier wird nicht nur gebundenes Papier produziert – hier werden geistige Diskurse angestoßen, wird Wissen ausgegraben, werden neue Gedanken gewagt und Geschichten erzählt, die über die Hektik des Heute hinausweisen.
Wie das geschieht, das erzählen die von Michaela Weber besuchten Verlegerinnen und Verleger in teils sehr gründlichen, klugen und kritischen Antworten auf ihre zehn (Standard-)Fragen. Die Fragen sind nur Standard, weil sie für alle gleich sind. Aber keine Antwort gleicht der anderen, weder zur Frage nach dem Grund der Verlagsgründung noch zur Frage nach dem Erfolg. Im Gegenteil: Noch im Nachdenken über Lieblingsbücher oder die Rolle der „Buchstadt” zeigt jeder der Befragten seinen eigenen Kopf. Für den einen ist die alte Buchstadt mausetot, der andere ist gerade deshalb nach Leipzig gekommen, weil es trotzdem ein guter Ort zum Büchermachen ist. Der eine schwärmt vom gut ausgebildeten Nachwuchs, der nächste braucht die nähe zum kulturvollen Treiben.
Deutlich wird: Was tatsächlich verschwunden ist und auch nirgendwo in Deutschland eine Nachfolge fand, ist der eigentliche „Leipziger Platz”, der Ort, an dem man einst Bücher machen konnte und musste, weil es dort die effektivsten Strukturen dafür gab. Bernd Weinkauf geht in seinem Vorwort zum Buch darauf ein. Ohne diese Ballung von Druckereien, Groß- und Kleinstverlagen, Groß- und Kleinversendern ist das Phänomen einer derart von und mit dem Buch lebenden Stadt nicht denkbar, wie es Leipzig vor 1933 eine Zeit lang war.
Verwurzelt in Leipzig
Dass sich die Verlagslandschaft ab 1990 ändern musste, war zwangsläufig. Und überlebt hat am Ort nur, was auch vor Ort profiliert werden konnte. Angefangen vom Friedrich Hofmeister Musikverlag, der bewusst den Weg zurück nach Leipzig suchte, über den BuchVerlag für die Frau, der nach zwei Irrwegen in westdeutsche Verlagsportfolios wieder ganz in Leipzig verankert ist, bis hin zum E. A. Seemann Verlag, der auch erst nach einem Irrweg wieder in eine Leipziger Selbständigkeit fand.
Über die Holzfällerarbeit der völlig geistlos agierenden Treuhand im ostdeutschen Verlagswald wurde mittlerweile andernorts genug geschrieben. Und dass selbst die Stadt Leipzig über die verschwundene „Buchstadt” mehr lamentierte, als tatsächlich etwas zu ihrer Bestandserhaltung zu tun – das ändert sich jetzt vielleicht. Vielleicht reden da auch einmal Kultur- und Wirtschaftsbürgermeister miteinander.
Was nicht nur in den klugen Antworten des Buches, sondern auch in den pfiffigen Fotos von Michaela Weber deutlich wird, ist jedenfalls: Wer in Leipzig einen Verlag gründet, der hat Ambitionen, Sitzfleisch und irgendwann eine Menge Erfahrung, wie man – bei allen Widrigkeiten – dennoch herrliche Bücher für begeisterte Leser macht. Für unterschiedlichste Leser – vom Schulkind bis zur Hausfrau, vom Wissenschaftler bis zum Lyrikliebhaber. Es ist alles da. Und mancher schöne Buchtraum rechnet sich nicht oder gerade so. Mancher bekommt einen Preis.
Vielleicht noch ein zweiter Band?
Es sind neue Qualitäten, die Leipzig als Verlagsstandort interessant machen. Was die umliegenden Städtchen von Taucha bis Beucha und Schkeuditz mit einschließt. Nicht zu unterschätzen ist gerade für die jetzt herangewachsene Verlegergarde die Leipziger Buchmesse mit dem alljährlichen Lesefest „Leipzig liest”, wo genau jene Bücher und Autoren Aufmerksamkeit finden, wie sie in Leipzig verlegt werden.
Natürlich wünscht sich Michaela Weber, dem vorgelegten Band noch einen zweiten folgen lassen zu können. Was wieder am Geld liegen wird. Eigentlich besagen die Zahlen ja: Es müssen noch zwei solcher Bände werden. Aber vielleicht reicht schon dieser – von den richtigen Leuten gelesen -, um ein Umdenken auszulösen, eine andere, realistischere Wahrnehmung der Verlegerlandschaft in Leipzig.
Es gilt noch immer der alte Lessing-Spruch: „Wir wollen weniger erhoben und fleissiger gelesen sein”. Man kann die alten Verleger des 19. Jahrhunderts immer wieder als Götzen durch die Stadt tragen – sie stehen nicht mehr für die Verlagsstadt. Das tun andere. Täglich und gewissenhaft und auf eigenes Risiko. Das hat sich im Lauf der Zeit überhaupt nicht geändert. Und geblieben ist auch der alte Ethos: Mancher hungert lieber, als seinen Verlag aufzugeben. Oder fährt tagsüber Straßenbahn, damit die Miete bezahlt ist.
Michaela Weber “Leipziger Verleger. Porträts und Interviews”, Pro Leipzig, Leipzig 2009, 24 Euro
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