Manchmal muss man einfach dem Chef-Touristiker glauben, wenn er vorrechnet, dass Leipzig kein normales touristisches Reiseziel ist. 1,9 Tage lang bleiben Gäste durchschnittlich da. Nicht weil es lauter fliegende Japaner sind, sondern weil es zuallererst Geschäftsreisende sind. Auf einen Touristen kommen zwei Geschäftsleute.
Das ist gut. Zumindest fürs Geschäft. Auch wenn die 92 Beherbergungsbetriebe dafür häufiger die Wäsche wechseln müssen in den 11.024 Gästebetten der Stadt. Die manchmal nicht ausreichen. Wie zur Games Convention. Aber es wird ja gebaut. Drei Hotels entstehen in der City-Lage aktuell. Noch ein paar Jährchen, dann ärgern sich auch die Vielflieger der deutschen Spielebranche, dass sie so ungnädig waren. Vielleicht nicht nur der Hotelplätze wegen.
Ein kompaktes Städtchen
Es steht auch zu vermuten, dass sie bei aller Eile nie viel gesehen haben von Leipzig. Nicht einmal das Wichtigste. Für das man tatsächlich nur einen Tag braucht. Leipzig ist kompakt, überschaubar. Wenn noch ein bisschen besser geplant wird, wird’s auch knuffig. Leipzig passt in ein gut geplantes Wochenende. Und wer am Samstagmorgen losschlendert, hat am Sonntagabend die wichtigsten Landmarken gesehen. Das war schon nachzulesen im Lehmstedt-Stadtführer „Leipzig an einem Tag”. Jetzt gibt es den flotten Begleiter auch auf Englisch mit allen wichtigen Informationen von der Central Station bis zum Monument of the Battle of Nations.
Das klingt doch. Und da fällt einem schon auf, wie wenig richtiges Englisch tatsächlich vorkommt im Leipziger Straßenbild. Viel vom üblichen Denglisch-Müll von Mc bis Mr, hunderte points und stores und trendys. Eine bunte, kindische Welt von Sprach-Blasen, die nichts sagen. Außer, dass sie bunt sind. Und dass man drinnen besser nicht allzuviel mehr erwartet, als was die Blase verspricht.
Aber in der Old Nikolai School – da vermutet man doch sofort hölzerne Schulbänke, ein hohes Lehrerpult, streng gescheitelte Knaben in den Bankreihen. Und vorne: der teacher, an old angry man – frisch entsprungen aus Charles Dickens.
Die Stadt vor lauter business nicht sehen
Jahrzehnte der McDonaldisierung haben auch der englischen Sprache geschadet. Haben ihr ihre Farben, ihre Würde und ihre Tiefe genommen. Selbst die business men, die so hastig über den market place sausen und dabei mit grimmer Miene in ihr mobil phone befehlen, sprechen ein Kauderwelsch, das ahnen lässt, wie einseitig ihre english lesson gewesen sein muss. Und mit welchen Plattitüden sie sich auf den Wirtschaftsempfängen in dieser Welt begegnen. Von ihren Reden vor Aktionärsversammlungen ganz zu schweigen.
Ein „goldenes Zeitalter der Rhetorik”? Vergesst es. Wer shareholder value sagen kann, ohne rot zu werden, beherrscht die englische Sprache noch lange nicht. Die Namensgebung für die neueren Groß- und Multiunternehmen spricht Bände. Man kann diesen Leuten keine Sprache überlassen. Sie rationalisieren sie, bis alles Pidgin ist. Und sie sehen die Stadt vor lauter usability nicht mehr. Was tun? – Bremsen die Jungs. Ihnen einen explorer day in den Terminkalender drücken und das Büchlein in die Hand, 48 Seiten mit Klappkarte am Schluss, auf der die 42 most important places im Herzen der Stadt eingetragen sind. Nummer 43 ist das Monument of the Battle of Nations. Auch das schon eine Übersetzung zum Nachdenken: Kloppten sich da tatsächlich die Völker in der Schlacht, oder nur die Nationen? Das ist ein Unterschied.
Genauso wie es ein Unterschied ist, ob ich ein Gebäude Arkade, Center oder Galerie nenne. Oder Hof. So wie Auerbachs Hof oder Speck’s Hof. Oder Oelsners Hof. Das klingt auch im Englischen würdevoller: Speck’s Court. Das kling nach Geschichte und Charakter. Und dann passt auch die Old Stock Exchange um die Ecke. Und das Old Town Hall. Oder besser: die Old Town Hall.
Little Butcher’s Lane
Manchmal muss man die Dinge tatsächlich erst übersetzen, um wieder zu lernen, hinter das moderne Fassaden-Kauderwelsch zu schauen. Eine Ahnung zu bekommen davon, dass Leipzig seit 1.000 Jahren ein Platz der Kaufleute war, ohne die es alles andere nicht gegeben hätte – nicht die Buchstadt, nicht den Logistikknoten, nicht das Gewandhaus. Und auch nicht den Kaffee, ohne den Leipzigs berühmte Kaffeehäuser nicht denkbar waren. Und sind.
Kaffee ist immer noch ein Importprodukt. Wer’s genießen will, macht Halbzeitpause in der Kleinen Fleischergasse (Little Butcher’s Lane) im most famous coffee house der Stadt: „At the Arabian Coffee Tree”. Wo dann auch der eher geschichtsunkundige Geschäftsreisende erfährt, wer hier dereinst seinen Kaffee oder Humpen trank. Bevor es dann weitergeht (Time is money!) zu Mr. Bach auf dem St. Thomas churchyard mit seiner leeren Fracktasche. Wieder mal kein Geld der Mann. Künstler eben. Hätt’ er doch lieber im Kontor angeheuert!
Wer’s wirklich eilig hat, schafft die Tour auch auf Englisch an einem Tag, sollte aber möglichst viel fotografieren, sonst bleibt nicht viel in der Erinnerung. Und für einen rechten Kunstgenuss bleibt auch nicht wirklich Zeit.
Vielleicht gibt es dereinst auch einmal den City Guide „Leipzig in two days”. Mit Empfehlungen für kulturelle Genüsse in den Abendstunden. Die Stadtverwaltung wäre sowieso gut beraten, mehr Bremsen einzubauen ins innerstädtische Treiben. Auch auf Englisch. Dann heißt der Slogan nicht mehr geschäftsmäßig „Do it at Leipzig”. Sondern: „Stay in Leipzig one day more.”
Doris Mundus „Leipzig in One Day: A City Tour”, Lehmstedt Verlag, Leipzig 2008, 4,95 Euro.
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