Bilder lügen. Manchmal. Bilder haben Macht. Wer kennt sie nicht, die Fotos mit den blumengeschmückten Zügen, aus denen die Soldaten winken im August 1914, jubelnd verabschiedet von blumengeschmückten Frauen, Blaskapellen und fröhlichen Gästen? Grundlage für eine der vielen Legenden über deutsche Geschichte: den allumfassenen Jubel über den Kriegsbeginn. – War das wirklich so? Einer weiß es besser. Er war dabei: Hans Reimann.

1889 in Leipzig geboren, war er 24, als der erste Weltkrieg ausgebrochen wurde, und unter den ersten, die an die Front gekarrt wurden. Einen kleinen Text schreibt er zehn Jahre später darüber, veröffentlicht in der „Weltbühne” vom 7. August 1924. „Vor zehn Jahren sind wir, das aktive Infanterie-Regiment Nummer 107, als einer der ersten Transporte gen Westen gerollt, und Niemand hat uns zugewinkt, Niemand hat uns Liebesgaben dezidiert, und Niemand hat sich um uns gekümmert.”

Wer hat die Jubelfeiern auf den Bahnhöfen inszeniert?

Die Kriegs-Lügen beginnen, wie es aussieht, immer mit Blumen, Fahnen und Girlanden. Und zum Lachen befohlenen Soldaten, „auf die eine ganze Nation stolz” ist.

Der kleine Text ist Auftakt eines neuen Bandes der Hans-Reimann-Ausgabe im Lehmstedt Verlag. „Possenspiel des Lebens” betitelt, vereinend wieder eine Auswahl von Texten, die Hans Reimann in den 1920er Jahren in der „Weltbühne”, im „Tagebuch”, im „Drachen” und im „Stachelschwein” veröffentlichte. Mit einem gewissen Hintersinn gesammelt, denn sie zeigen den Satiriker noch pointierter als Zeit-Kritiker. In Feuilletons und in Gedichten, die ihren Bühnencharakter deutlich zeigen. Die Feuilletons sind kleine Juwelen des hintersinnigen Nachdenkens über Dinge, die zwar auch anderen Leuten in die Augen stechen. Aber wer schreibt schon über derart Simples wie „Die Kommissmütze”?

Man sieht die Mütze noch auf vielen Aufnahmen aus dem ersten Weltkrieg: Nicht nur Siegfried Jacobsohn sah mit diesem Stück Militärbekleidung lächerlich aus. „O ja, ich kenne sie”, schreibt Reimann 1920 im „Drachen”. „Es war das gemeinste Stück Möbel, das der preußische Militarismus ersonnen hatte.” Und dann erzählt er, wie das „Möbelstück” den gemeinen Soldaten zum „Piefke” machte, zum letzten Dreck. „Der deutsche Lanzer in seiner Kommissmütze war Piefke. Es fiel einem schwer, ihn nicht zu duzen. Auch Stefan Großmann hätte in dem Speckdeckel wie ein Analphabet gewirkt.”

Großmann hatte sich über ein Bild von Jacobsohn in der Tracht eines Landsturmmannes lustig gemacht. Jacobsohn war der legendäre Gründer und Herausgeber der „Schaubühne”, die dann zur „Weltbühne” wurde. Jener Postille, in der sich in den 1920er Jahren die kritischen Geister der Weimarer Republik versammelten, die Tucholsky, Kästner, Reimann.

In völkischen Versammlungen herrscht tierischer Ernst …

Und wie kritisch Reimann war, zeigen seine wie leichthin geschriebenen Texte auf die stockkonservativen Korpstudenten, auf die etablierten Bürger, die Gefühllosigkeit sensationslüsterner Zeitungsmeldungen oder die Entlassung eines Redakteurs, der im Feuilleton nicht die Meinung des Zeitungsbesitzers vertreten hatte. Vieles klingt wie gerade erlebt, tagaktuell. Und da merkt man erst, wie solche Reimanns fehlen. 80 Jahre später. Wie sehr ihre Spottlust fehlt und wie platt (leider) auch das Meiste ist, was sich derzeit in Deutschland als Satire oder Kommentar verkauft. Die Piefkiesierung hat zugeschlagen.

Mit bissiger Genauigkeit nimmt er schon 1919 das fatale Wirken des antisemitischen Schriftstellers Artur Dinter unter die Lupe, wohl wissend, dass der Hauptmann a.D. mit seinen Schriften tatsächlich den Judenprogrom in Deutschland agitierte. 1923 tut sich Reimann sogar das Wagnis an, einer Dinter-Rede in München zu lauschen. Und macht daraus ein kleines Juwel der Publikums-Beobachtung: „In völkischen Versammlungen herrscht tierischer Ernst. Die Menschen neben mir, also meinesgleichen, quasi Ebenbilder Gottes, du liebe Güte … die Menschen hocken da wie Wachsfigurenkabinettstücke.”

In dem Text, den er in der “Weltbühne” veröffentlicht, lässt er so ganz nebenbei Sätze fallen wie „Ich habe eine Entdeckung gemacht: Die Menschen im Vortragssaal sitzen bei gemindertem Bewusstsein da. – Bei geminderten Bewusstsein sitzen sie da und lassen über sich ergehen, was ihnen gepredigt wird.”

In dem Text sagt er auch: “Dummheit ist unverzeihisch.”

Das dämliche Wort „völkisch”

Das sagt er nicht ohne Grund so. Denn eben gerade hat er sich über das dämliche Wort „völkisch” ausgelassen. „Es klingt vollbärtisch und pathetlich Und das ist viel wert.”

Manchmal muss man so alte Texte lesen, um zu ahnen, wie Dummheit Sprache deformieren kann. Auch im Nachhinein noch. Und wie Sprache das Denken beeinflusst und auch die Schule nicht verschont. Eine Schule, die Reimann in Leipzig auch als Schule zum Antisemitismus erlebt. Und das war keine andere als die Nikolaischule, die Reimann von 1900 bis 1907 besuchte.

Im Schülerverzeichnis wurden „gewisse Kompennäler” durch eine Klammer mit einem kleinen i hervorgehoben. Reimann: „Und das hieß: israelitisch.” Eine scheinbar kleine, systematische Dummheit. Das Aussortieren hat – wie man sieht – Tradition in Deutschland.

„Zu nichts ist die Menscheit feuriger bereit denn zur Verrichtung ihrer Dummheit, verbunden mit eisiger Ablehnung dessen, was der eignen Dummheit nicht gemäß ist”, schreibt Reimann 1926. Ein Satz, den man in Stammbücher schreiben könnte noch und noch.

Nachzulesen jetzt in einem Buch, das eigentlich am Ende fragen lässt, wie es Hans Reimann am Ende geschafft hat, das dümmste und eisigste aller deutschen Reiche zu überleben.

Die kommenden Größen …

Ungeniert und völlig ungeschützt sagt er in seinen Liedern und Feuilletons das, was er denkt über die kommenden Größen einer Zeit, die ihn mit Beklemmung und Angstzuständen erfüllt haben muss. So gesehen ist Mark Lehmstedts Spurensuche auch ein wenig Wieder-Anerkennung für einen Autor, der nach dem „Tausendjährigen Reich” so leichthin zum Mitläufer stilisiert wurde, während die Mitmarschierer in Amt und Würden fröhliche Re-Inkarnation feierten.

Und da ist man schnell im Jahr 1955, als Reimann ein Liedchen mit dem Titel „Abschied” veröffentlichte, in dem auch für jeden lesekundigen Uniformträger zu lesen war: „Öffnet, sangen sie, die Ohren! Hasst den Barras wie die Pest! Niemand wird dafür geboren, dass er sich ermorden lässt.”

1955? Das war das Jahr, als in der Bundesrepublik die Wiederbewaffnung beschlossen und die Bundeswehr gegründet wurde.

Hans Reimann “Possenspiel des Lebens. Essays und Gedichte zur Zeit”, Lehmstedt Verlag, Leipzig 2008, 14,90 Euro

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