Es ist jetzt 80 Jahre her, da verließ Erich Kästner – gerade frisch geschasst von der “Neuen Leipziger Zeitung” – die Stadt, in der er nicht nur seinen Doktortitel erwarb, sondern auch die Grundlagen für seine Schriftstellerkarriere schuf. Es war ein Eklat. Doch ohne die acht Leipzig-Jahre ist Kästner nicht denkbar. In “Auf den Spuren von Erich Kästner” würdigen Matthias Gretzschel und Toma Babovic auch diese Lebensstation.

Das großformatige Buch erschien jetzt im Ellert & Richter Verlag, der sich auf ebensolche thematischen Bild-Bände spezialisiert hat. Quasi große Türöffner für alle, die sich dicke Bio- und Mono- und Autobiographien nicht zutrauen, lieber in anschaulicher Kürze die Geschichte lesen wollen, die dahinter steckt, und die Bilder genießen, die die Geschichte sichtbar machen. Auch wenn das beim Kapitel “Studienzeit in Leipzig” nicht so einfach ist.

Denn die wichtigsten Schauplätze des Leipziger Kästner-Aufenthalts sind verschwunden. Platt gemacht wie das Augusteum, wo Kästner als Student ein und aus ging. Muster-Student, so wie er Muster-Schüler gewesen war in Dresden. Nach Leipzig kam er mit dem Goldenen Stipendium der Stadt Dresden. Verschwunden auch das Café Felsche, ebenfalls am Augustusplatz, wo Kästner oft saß und seine Texte schrieb für all die Zeitungen und Magazine, für die er in Leipzig arbeitete. Verschwunden auch die Redaktion der Neuen Leipziger Zeitung in der Johannisgasse 8.

Kein Kästner-Museum in L.?

Anders als die Geburtsstadt Dresden hat Leipzig kein Kästner-Museum und kein Kästner-Denkmal. So, wie Leipzig für so manchen kritischen Kopf kein Denkmal hat. Die Stadt tut sich schwer mit den kritischen Geistern, auch wenn die Zeiten, da ein protestierender Mob in missliebigen Theaterpremieren organisiert wurde, vorerst vorbei sind. Vorerst, muss man sagen. Es gärt ja wieder. Oder immernoch. Und es sind lange Fäden, die da gesponnen werden.

Kästner hätte dazu schon bissige Verse geschrieben, würde er heute leben. Er hat ja die Verse geschrieben. Sie lassen nichts zu wünschen übrig an Deutlichkeit. Dagegen ist das freche Gedicht, das ihn seinen Job in Leipzig kostete, ein Witz. Aber darum ging es ja auch nicht. Das weiß, wer die gesammelten Kästner-Texte aus der Leipzig-Zeit gelesen hat, die unter dem Titel “Der Karneval des Kaufmanns” im Lehmstedt Verlag erschienen.

Nicht ohne Grund landete Kästner nach seinem erzwungenen und auch selbstgewollten Weggang nach Berlin ziemlich schnell beim kritischsten aller Wochenblätter der Weimarer Republik – der “Weltbühne”. Berlin ist – nach Dresden und Leipzig – die dritte Lebensstation des Jungen aus der Dresdner Neustadt. Dort erlebte er den Triumph seiner Kinderbücher und seiner ersten Gedichtbände. Dort erlebte er aber auch das Installieren der Hitlerschen Schlägertrupps und den Verramsch der Republik für einen kleinen nationalistischen Klüngel.

Verlorene Jahre

Dort wählte er auch die innere Emigration, auch aus Furcht, in der Fremde nicht überleben zu können, schrieb das Drehbuch zu einem der teuersten und populärsten Ufa-Filme, den “Münchhausen”. Und war doch zum Nichtstun verdammt, nachdem die installierte Clique ein Schreibverbot über ihn verhängte. Verlorene Jahre. Auch das.

Selbst dieser Schnelldurchlauf durchs Kästner-Leben zeigt, wie eine Diktatur Talente verkrüppelt, beschneidet, abwürgt. Nach dem Krieg wollte Kästner nicht mehr in das geteilte Berlin zurück, in dem das Meiste, was ihm die einstige Weltstadt wichtig gemacht hatte, im Bombenhagel untergegangen war. Er ging nach München, focht neue Kämpfe gegen die Wiederaufrüstung und die stockkonservative Politik Konrad Adenauers. Als verbittert schildert der 1957 in Dresden geborene Autor Matthias Gretzschel den gealterten Kästner.

Vielleicht hatte der allen Grund dazu. Manchmal versucht Gretzschel noch das schöne Neue als Gegengewicht einzuflechten, den “guten Ausgang”, den die deutsche Geschichte doch 1990 nahm, und die Kästner-Ehrung, die in Dresden danach möglich wurde. Das hätte den Buben, der aus Leipzig herzinnigste Briefe an seine sorgende Mutter schrieb, sicher gefreut. Aber er war stets zu genau beim Hinschauen, zu skeptisch bei allen Siegesfeiern. Er hätte schon noch deutlich gesagt, was ihn irre machte an diesem Land, in dem die alten Gespenster immer wieder neue Geldgeber finden, blondierte Moderatorinnen nationale Muttermythen nähren und Sicherheitsminister wieder schnüffeln wollen, was die Leitung hergibt.

Die Phrasen sind andere geworden. Sicher. Aber der Grips, der da funzelt, ist derselbe, über den schon Heine schrieb, einer der nennbaren Ahnen des bissigen Kästner. So gerät denn das Kapitel München erstaunlich kurz und wirkt doch trotzdem rund. Da nimmt sich Leipzig sogar ganz nett aus, schön saniert und leuchtend auf den Fotos von Toma Babovic. Ein schöner Bild-Band, der natürlich neue Begehrlichkeiten weckt, noch mehr zu erfahren. Über Kästner, seine vier Lebens-Städte und die Leute auf seinem Weg. Die Guten, die Bösen und die Treuherzigen, die nie an etwas schuld sind.

Matthias Gretzschel / Toma Babovic “Auf den Spuren von Erich Kästner”, Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2007, 14,95 Euro

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