โDas Internet ist fรผr uns alle Neuland.โ Erntete Angela Merkel (CDU) nach einer Pressekonferenz 2013 noch einen Shitstorm fรผr diese Aussage, fรผhrt uns die derzeitige Coronakrise vor Augen, dass die Bundeskanzlerin nicht komplett falsch lag. Durch die Verschiebung fast aller gesellschaftlichen Sphรคren in den digitalen Bereich zeigt uns die Pandemie auf, dass es eben doch einige Schwachstellen gibt und dass fรผr viele Personen die Online-Welt eben doch ein Mysterium ist.
Da nun nicht mehr gehandelt werden kann, sondern gehandelt werden muss, kรถnnen sich aus der Krise paradoxerweise langfristig positive Effekte ergeben. Digitalisierung wird von Kritiker/-innen oft mit Entfremdung und der Gefahr vor Datenmissbrauch gleichgesetzt โ jedoch bedeutet sie vor allem zweierlei: Effektivitรคt und Inklusion. Kann allein die Coronakrise das gewรคhrleisten? Was hat sich verรคndert in der Wirtschaft, dem Finanz- und Gesundheitswesen? Und welche Neuerungen kรถnnten uns auch nach der Pandemie weiterhin begleiten? Der Digitalverband Bitkom verรถffentlichte in den letzten Monaten umfassende Studien zum Einfluss von Corona auf die Digitalisierung in verschiedenen Bereichen. รber 600 Betriebe, knapp 600 Kommunen, 500 รrzt/-innen und tausende Bรผrger/-innen wurden deutschlandweit befragt, um reprรคsentativ den Digitalisierungsstand und -fortschritt aufzuzeigen. Vom 23. bis 27. November 2020 stellte Bitkom die Ergebnisse auf der Digital Transformation Week vor. Bei der fรผnftรคgigen Online-Konferenz waren unter anderem Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klรถckner (CDU), Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) als Sprecher/-innen zu Gast. Knapp 20.000 Teilnehmer/-innen verdeutlichen die enorme Wichtigkeit der Thematik.
Wirtschaft
Zum einen zeigten die Umfragen, dass die Krise tatsรคchlich Defizite in der bisherigen Unternehmensfรผhrung offenbart. Wรคhrend sich 2019 noch jedes zweite Unternehmen als digital fit einschรคtzte, rรคumen aktuell 71 Prozent ein, dass sie zu den Nachzรผglern bei der Digitalisierung gehรถren. Acht von zehn Unternehmen geben an, dass die digitale Aufrรผstung wรคhrend der Pandemie an Bedeutung gewonnen hat.
Fรผr die bessere Verknรผpfung unter den Beschรคftigten und die Mรถglichkeit zum Homeoffice, die seit 27. Januar verpflichtend fรผr Arbeitgeber in Sachsen ist, wurden Maรnahmen ergriffen. Fast jedes Unternehmen benutze nun Videokonferenz-Tools, drei Viertel haben Hardware wie Laptops oder Smartphones fรผr die Mitarbeiter/-innen zur Verfรผgung gestellt, die Hรคlfte hat eine digitale Infrastruktur wie VPN-Zugรคnge oder ein Intranet aufgebaut und Dokumente digitalisiert. Arbeiternehmer/-innen schreiben dem Homeoffice รผberwiegend gute Aspekte zu und kรถnnten sich auch weiterhin ein Arbeiten von zu Hause vorstellen. Vorteile seien: Weniger Stress, Zeitgewinn, der sich positiv auf das Familienleben, sportliche Betรคtigung und gesunde Ernรคhrung auswirkt. Ein weiterer Pluspunkt: รถrtliche Flexibilitรคt. Der Wohnort wรคre nicht mehr zwangsweise an den Arbeitsplatz geknรผpft.
Doch die Umfragewerte bringen auch die andere Seite der Medaille ans Licht. Zwei Drittel der Unternehmen gaben an, dass der Lockdown Prioritรคten verschiebe und einige Bereiche zwar notwendigerweise digitalisiert wรผrden, die allgemeine Digitalisierungsstrategie der Betriebe jedoch auf der Strecke bleibe. โDie Politik hat in der Coronakrise rasch gehandelt und eine Vielzahl von Hilfsmaรnahmen fรผr die Unternehmen auf den Weg gebrachtโ, so Bitkom-Prรคsident Achim Berg.
Er sieht aber auch die Gefahr, dass durch die Krise einige Unternehmen zurรผckbleiben, weil sie ihre finanziellen Ressourcen nicht fรผr die Digitalisierung einsetzen kรถnnen. So kรถnnten nach der Pandemie nur noch wenige konkurrenzfรคhige Unternehmen รผbrig bleiben. Berg schlรคgt vor: โWir mรผssen Kooperationen zwischen den Unternehmen verstรคrken. Wir brauchen den Austausch von Digitalisierungs-Know-how und mรผssen Leuchtturm-Projekte und erfolgreiche Praxisbeispiele noch viel sichtbarer machen.โ
Die Ziele der derzeitigen Digitalisierungsanstrengungen offenbaren ein weiteres Problem: 96 Prozent der Unternehmen mรถchten mit den Maรnahmen nur sicher durch die Krise kommen. Nur jeder zweite Betrieb wolle Versรคumnisse in der Digitalisierung aufholen. Ob die Digitalisierung im Wirtschaftssektor โ Homeoffice fรผr die Beschรคftigten, Online-Angebote fรผr die Kund/-innen โ nachhaltig sein wird, kann nur die Zukunft zeigen.
Finanzen
Das kontaktlose Bezahlen hat sich im Zuge der Pandemie fest etabliert. In Sachsen werden mittlerweile 70 Prozent der Transaktionen kontaktlos durchgefรผhrt. โDer Ausbau des Akzeptanznetzes von Kartenzahlungen hat sich positiv entwickelt und deutlich zugenommen, nahezu alle Terminals wurden mittlerweile auf die kontaktlose Akzeptanz umgestelltโ, so Cosima Ningelgen, Pressesprecherin des Ostdeutschen Sparkassenverbands.
Auch andere Online-Prozesse sollen an Bedeutung gewonnen haben: โDie Corona-Pandemie hat den digitalen Wandel sowohl auf Kunden- als auch auf Bankenseite unmittelbar befeuert und nachhaltig beschleunigt. Auch in der Sparkassen-Finanzgruppe wird die Digitalisierung weiter vorangetrieben, um fรผr die Kunden weitere marktorientierte Lรถsungen zu entwickeln und hierdurch sรคmtliche Themen rund um Finanzen des Kunden nachhaltig zu vereinfachen.โ
Diese Digitalisierungsstrategie entspricht auch den Wรผnschen der Bevรถlkerung, wie eine Bitkom-Umfrage zeigt. Zwei Drittel der Befragten legen bei der Entscheidung fรผr eine Bank groรen Wert auf digitale Angebote โ beispielsweise Banking-Apps, die รberweisungen und das Einsehen von Kontoauszรผgen erleichtern. Nur 47 Prozent hingegen ist es wichtig, schnell erreichbare Bankfilialen zu haben.
โEtablierte Produkte und Leistungen sind kรผnftig nicht mehr zwingend an Geschรคftsrรคume gebundenโ, so Ningelgen. Die schon vor der Pandemie angestrebte, fast vollumfรคngliche Digitalisierung von Finanzangeboten scheint durch die Krise rasante und nachhaltige Schritte zurรผckgelegt zu haben.
Gesundheitswesen
Videosprechstunden, die elektronische Patientenakte, Gesundheits-Apps auf Rezept: Die Digitalisierung im Gesundheitswesen hat in den vergangenen Monaten groรe Fortschritte gemacht. Jeder zweite Arzt erstellte Medikationsplรคne digital. Bei 66 Prozent der befragten Praxen war bereits eine elektronische Patientenakte (ePA) im Einsatz.
Seit dem 1. Januar gibt es in Deutschland ePA. Somit kann jeder Arzt theoretisch auf alle Informationen รผber eine/n Patient/-in zugreifen โ vorhergehende Diagnosen, verschriebene Medikamente, bevorstehende Operationen. โNatรผrlich liegt die Datenhoheit der elektronischen Patientenakte beim Patienten selbstโ, erklรคrt das Sozialministerium Sachsen.
โDas bedeutet, der Patient entscheidet, welche seiner Gesundheitsdaten รผberhaupt in der Akte erfasst werden, und ebenso, welcher Arzt spรคter darauf zugreifen darf.โ Dafรผr wรผrden die Krankenkassen Apps zur Verfรผgung stellen. Die ePA wurde jedoch schon 2015 auf den Weg gebracht und die Pandemie verlangsamte durch Verschiebung der Prioritรคten den Prozess eher, als ihn zu beschleunigen.
Trotzdem hat die Coronakrise ein Bewusstsein fรผr die notwendige Digitalisierung des Gesundheitswesens geschaffen, so das Sozialministerium Sachsen. Und mehr noch: Sie habe auch konkrete Programme auf den Weg gebracht. โDa die Problematik der noch unvollstรคndigen Digitalisierung deutscher Krankenhรคuser im Vergleich zu anderen EU-Staaten inzwischen allgemein anerkannt ist, wurde als Folge der Pandemie unter anderem der Krankenhauszukunftsfond ins Leben gerufenโ, so das Sozialministerium.
Auf Bundesebene wurden 3 Milliarden Euro zur Verfรผgung gestellt โ Sachsen erhielt 214 Millionen Euro, die explizit fรผr digitale Maรnahmen verwendet werden sollen. โDie ersten Rรผckmeldungen der Krankenhรคuser zu diesem Fรถrderprogramm lassen auf eine sehr hohe Aktivitรคt der Krankenhรคuser hinsichtlich weiterer Digitalisierungsvorhaben schlieรenโ, vermutet das Sozialministerium.
Auch den sรคchsischen Gesundheitsรคmtern wurden letztes Jahr 2,5 Millionen Euro fรผr die Digitalisierung zur Verfรผgung gestellt โ vornehmlich fรผr die Bekรคmpfung von Infektionskrankheiten. Sowohl Krankenhรคuser als auch Gesundheitsรคmter scheinen neben schon lange initiierten Maรnahmen durch die Coronakrise stรคrker in den Fokus der Politik geraten zu sein. Vor allem im letzten Jahr flossen groรe Summen aus der Bundeskasse, um das Gesundheitswesen zu digitalisieren. โIn nahezu allen Bereichen kรถnnen neue Technologien zu einer Verbesserung der Versorgung und zu einer Optimierung von Arbeitsablรคufen fรผhrenโ, so das Sozialministerium.
Trotzdem mรผsse relativiert werden: โGleichwohl ist nicht jedes Instrument fรผr alle Anwendungsfรคlle gleich gut geeignet, etwa aufgrund unterschiedlicher Patientenbedรผrfnisse, Fachrichtungen, Krankheitsbilder. Digitalisierung darf also keinesfalls ein Selbstzweck sein, sondern es gilt Interessenslagen, Mehrwerte, Kosten und Nutzen in einem angemessenen Maรe zu gewichten und in Ausgleich zu bringen.โ
Dieser Meinung des Sozialministeriums stimmen auch die Umfragewerte zu. Beispielsweise sieht jeder zweite Arzt als grรถรtes Problem bei der Digitalisierung die mangelnde Kompetenz der Patient/-innen: Ein Groรteil dieser gehรถrt รคlteren Generationen an, die Gesundheits-Apps und elektronische Patientenakten weder verstehen noch bedienen kรถnnen. So lรคuft die Kommunikation mit Patient/-innen, aber auch Apotheken und anderen รrzt/-innen grรถรtenteils traditionell รผber das Telefon ab โ Mails werden beispielsweise nur von 5 Prozent der Praxen genutzt.
Eins ist jedoch klar: In der Zukunft wird sich das Gesundheitswesen stark in den digitalen Bereich verlagern. Abseits der telefonischen Ausstellung von Arbeitsunfรคhigkeitsbescheinigungen hat die Coronakrise Gelder flieรen lassen und konkrete Plรคne veranlasst. Laut dem Sozialministerium werden sich die telemedizinischen Netzwerke โ zwischen รrzt/-innen, Patient/-innen, Apotheken und Gesundheitsรคmtern โ sowie die IT-Landschaften in der Medizintechnik durch die Pandemie stark wandeln.
โDigitalisierung durch die Pandemieโ erschien erstmals am 26. Februar 2021 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 88 der LZ finden Sie neben Groรmรคrkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehรคndlern.
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