Für FreikäuferLEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausg. 63Die sächsische Regierungskoalition aus CDU und SPD möchte das Polizeigesetz verschärfen. Läuft alles nach Plan, werden die Landtagsabgeordneten der beiden Parteien im März für den Gesetzentwurf stimmen. Eigentlich sollte die Abstimmung bereits im Januar stattfinden – doch zwischen CDU und SPD gab es in einzelnen Punkten noch Diskussionsbedarf.

Diskussionsbedarf gab es auch an der Universität Leipzig. Dort lud der Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht, Verfassungsgeschichte und Staatskirchenrecht der Juristenfakultät der Universität Leipzig am 29. Januar zu einer Podiumsdiskussion ein – nur drei Tage nach einer Großdemonstration in Dresden mit mehreren tausend Teilnehmenden. Während sich die Demonstrierenden in der Ablehnung der geplanten Änderungen einig waren, fanden sich im Hörsaal 3 der Universität vor mehreren hundert Zuhörenden – vor allem Studierende – Vertreter unterschiedlicher Perspektiven zusammen.

Für die geplanten Änderungen argumentierten Günther Schneider, Staatssekretär im sächsischen Innenministerium (SMI), Joachim Tüshaus, Referatsleiter im SMI, und der Polizeigewerkschafter Peer Oehler. Schneider verwies in seiner Begründung darauf, dass die bislang letzten nennenswerten Änderungen am Polizeigesetz bereits 20 Jahre zurückliegen würden und dieses nicht mehr den „Anforderungen der heutigen Zeit“ genüge. Ein neues Polizeigesetz sei nötig, um die Bevölkerung vor Terrorismus, organisierter Kriminalität und sogenannten Gefährdern zu schützen.

Schneider betonte, dass einige Regelungen zwar massive Eingriffe in die Grundrechte darstellten, diese jedoch weitgehend unter einem Richtervorbehalt stehen würden. Das heißt: Die Polizei könne nicht willkürlich handeln, weitreichende Eingriffe in die Privatsphäre müssen von Richtern vorab geprüft und genehmigt werden.

Radikale Kritik am 26. Januar 2019 in Dresden. Foto: Marco Arenas
Radikale Kritik war bei der Demonstration auch vertreten. Foto: Marco Arenas

Tüshaus, der laut Moderator und Juraprofessor Jochen Rozek maßgeblich an der Ausarbeitung des Gesetzentwurfes beteiligt war, erwähnte ergänzend die europäische Datenschutzgrundverordnung. Diese gelte zwar nicht für Inneres und Justiz, enthalte jedoch Richtlinien dazu, was in diesen Bereichen bei nationalen Gesetzen umzusetzen sei. Polizeigewerkschafter Oehler betonte schließlich, dass die Polizei den Auftrag habe, Gefahren abzuwehren. Nur darum gehe es bei zusätzlichen Kompetenzen; nicht um diese „gegen“ die Bevölkerung einzusetzen.

Gefahrendefinitionen, Videoüberwachung und Geheimnisträger

Die Contra-Fraktion sah wenig überraschend vieles anders. Anne Kämmerer vom Bündnis „Polizeigesetz stoppen“ nannte einige Punkte, die aus ihrer Sicht besonders problematisch seien: unter anderem die Erweiterung des Gefahrenbegriffs, die Videoüberwachung mit Gesichtserkennung, die eingeschränkten Rechte von Berufsgeheimnisträgern wie Anwälten und Journalisten sowie die Aufrüstung bei der Polizei.

Den Richtervorbehalt wertet Kämmerer als schwaches Argument, da dieser bereits bei der in zwei verschiedenen Verfahren gesamt fast vier Jahre andauernden Überwachung von Fans des Fußballvereins Chemie Leipzig bis 2018 und der massenhaften Datenabfrage im Rahmen des Anti-Nazi-Protests in Dresden im Jahr 2011 nicht geholfen habe.

Im Falle der BSG-Chemie-Affäre hatte unter anderem der immer gleiche Richter die Verlängerungen der sogenannten Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen (TKÜ) trotz unzureichender Begründungen unterschrieben. Zudem war es dabei zu sogenanntem „Beifang“ gekommen, als Rechtsanwälte und Journalisten unberechtigtermaßen in die Überwachung hineingeraten waren.

In zwei Fällen waren zudem Notizen und Abschriften von somit illegal erlangten Gesprächsinhalten bis 2017 nicht aus den Akten gelöscht worden. Konsequenzen gab es daraufhin keine für zwei maßgeblich involvierte Ermittler, Staatsanwaltschaft oder den Richter in diesem Verfahren (LZ & L-IZ.de berichteten „Nicht am Telefon“).

Die Massenüberwachung in Dresden 2011 ist hingegen aufgrund der gleichzeitig via eines sogenannten IMSI-Catchers erlangten Informationen von rund 40.000 Quellen als „Datengate“ in die sächsische Geschichte eingegangen. Auch hierbei hatten unter Immunität stehende Abgeordnete, Rechtsanwälte und Journalisten keinen gesetzlich vorgeschriebenen Schutz genossen.

Helfen die neuen Überwachungsmöglichkeiten gegen Terror?

Bijan Moini, ein Rechtsanwalt aus Berlin, ergänzte einige Kritikpunkte. So hätten bei vergangenen Terroranschlägen wie jenem auf den Berliner Weihnachtsmarkt auch die neuen Befugnisse nicht geholfen. Dort seien zahlreiche Ermittlungsfehler der Behörden maßgeblich dafür ausschlaggebend gewesen, dass der Anschlag nicht verhindert werden konnte. Trotz vorheriger Kenntnisse hatten die Behörden nicht eingegriffen.

Problematisch sei auch, dass der Gebrauch von Handgranaten nicht ausreichend eingeschränkt werde. Aus Moinis Sicht müsste deutlich formuliert sein, dass ein Einsatz nicht erlaubt ist, wenn Unbeteiligte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sterben würden.

Laut Moini wäre es nach der im März 2019 anstehenden Gesetzesänderung in Sachsen möglich, bei einem drohenden Terroranschlag wie im Falle des Berliner Weihnachtsmarktes eine Handgranate auf den Lkw zu werfen. Und dies sogar, wenn ein entführter Beifahrer dadurch höchstwahrscheinlich sterben würde. Offen blieb auch an diesem Abend, wie es mit der Eigenverantwortung der Polizeibeamten in einem solchen Fall aussieht.

Auch beim Gebrauch der eigenen Dienstwaffe (zum Schutz des eigenen Lebens) sind im Anschluss weitreichende Konsequenzen bis hin zu Suspendierung bei fehlerhaftem Einsatz für Polizeibeamte möglich. Fraglich also, wie dieses Prozedere nach dem Gebrauch einer Handgranate und den zu erwartenden „Kollateralschäden“ verlaufen soll. Im Zweifel steht der Beamte im Nachgang mit seiner Einschätzung vor Ort dann allein.

Kennzeichnungspflicht, unabhängige Beschwerden und rechte Verstrickungen

Ralph Zimmermann, akademischer Assistent an der Juristenfakultät, verwies zudem auf die Forderungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte nach einer Kennzeichnungspflicht beziehungsweise einem eindeutigen Unterscheidungsmerkmal bei vermummten Polizisten. Etwas, was es aufgrund des Widerstandes der CDU Sachsen im Rahmen der Verhandlungen mit der SPD im Freistaat Sachsen auch weiterhin nicht geben wird.

Die SPD ist für ihren Kompromisshandel mit der CDU in der Kritik. Foto: Marco Arenas, L-IZ
Die SPD ist für ihren Kompromisshandel mit der CDU in der Kritik. Foto: Marco Arenas, L-IZ

Seit Jahren ist hierbei die Debatte zwischen dem Schutzbedürfnis vor Übergriffen auf die Beamten im Privatleben und die Anforderungen, bei Fehlverhalten oder Beschwerden der Beamten im Dienst einzelne „schwarze Schafe“ von korrekt arbeitenden Einsatzkräften unterscheiden zu können, festgefahren.

Im Anschluss an die Äußerungen der sechs Podiumsgäste waren Fragen aus dem Hörsaal zugelassen. Diese drehten sich unter anderem um ein möglicherweise zunehmendes Misstrauen in die Polizei, nachdem es in der Vergangenheit wiederholt Meldungen über Verbindungen ins rechtsradikale Spektrum gegeben hatte. Polizeigewerkschafter Oehler gab zu, dass dies ein Problem sei, der überwiegende Teil der Beamten jedoch das Vertrauen der Bevölkerung verdient habe.

Wie auch bei der anschließend thematisierten Unabhängigkeit der Beschwerdestelle ist dies die Dauerantwort der sächsischen Behörden, wenn es um das Sanktionieren von teils festen Verbindungen einiger Beamte ins rechtsextreme Milieu geht. Im prominentesten bislang bekanntgewordenen Fall Fernando V. wurde der Einsatzbeamte erst in den Innendienst versetzt und arbeitet heute als Ausbilder bei der Polizei Sachsen. Ihm wurden direkte Kontakte via Mobiltelefon zum heutigen Vorstandsmitglied der sächsischen Republikaner und einstigem NPD-Stadtratskandidaten Alexander Kurth während seiner Legida-Einsätze in Leipzig vorgeworfen.

Herausgekommen waren die Verbindungen nicht durch Erkenntnisse der Polizei selbst, sondern durch einen Überfall auf Kurth, bei welchem Autonome sein Handy erbeuteten und darauf gefundene diverse Informationen zu dieser und weiterer Verbindungen anschließend im Netz veröffentlichten. Zudem war es im Umfeld des Demonstrationsgeschehens zu einer Veröffentlichung polizeilicher Unterlagen zu einer Auto- und Personenkontrolle bei linksradikalen Gegendemonstranten auf einer Leipziger Ex-NPD-Seite gekommen. Der Fall blieb bis heute unaufgeklärt.

Wie solchen Verbindungen innerhalb der Polizei nachgegangen wird, blieb auch während der Debatte am 29. Januar ungeklärt.

Thematisiert wurde erneut die unabhängige Beschwerdestelle bei der Polizei. Aktuell gibt es eine solche nicht, lediglich eine im Innenministerium angesiedelte Institution soll dem Bürger als Anlaufpunkt dienen, wenn es zum Fehlverhalten bei Beamten kommt. Polizeigewerkschafter Oehler dazu: „Wir haben kein Problem mit einer Beschwerdestelle, die im Landtag angesiedelt ist.“ Lieber sei ihm jedoch eine „Fehlerkultur“ bei der Polizei, die so etwas überflüssig mache.

Dass diesem frommen Wunsch gleich mehrere Probleme entgegenstehen, ließ Oehler unerwähnt. Bislang sind Polizeibeamte aus Karrieregründen regelrecht darauf angewiesen, bei jeder Anzeige oder Beschwerde größeren Ausmaßes selbst Gegenanzeige zu erstatten. Unterlassen sie dies, gilt es in Polizeieinsatzkreisen bereits als Schuldeingeständnis.

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