Eine bunte Traube an Menschen tummelt sich bei schönstem Sonnenschein am Sonntagnachmittag an der langen Tafel, die vor dem kleinen Eckladen in der Kochstraße/Ecke Steinstraße aufgebaut ist. Der Tisch ist geschmückt mit salbeigrünen Decken, Kerzen, Blumen, Kuchen und Obst, die Stimmung gelöst und wohlwollend.

Genauso, wie es sich Sophie Vincentz, Lena Eckner und Miriam Günther vielleicht erhofft hatten für diesen Tag. Die drei Frauen feiern den offiziellen Startschuss ihrer Selbstständigkeit im „Hebammenkollektiv Yoni“. Das Trio hat sich auf die Betreuung von Hausgeburten spezialisiert und möchte dieses Angebot allen Eltern, die es sich wünschen, zugänglich zu machen – unabhängig vom Geldbeutel und Familienkonstellation.

Fast ein Jahr lang haben sie an ihrem Konzept gearbeitet, Kontakte geknüpft, die Räumlichkeiten in der Kochstraße 43 nach ihren Wünschen renoviert, gestaltet und eingerichtet.

Natürliche Geburt im häuslichen Umfeld

Dass die Einweihung symbolisch am 12. Mai, am Muttertag, gefeiert wurde, war natürlich kein Zufall. Die ersten Kurse, Vorsorgen und Beratungen aber liefen schon im April an. Das Angebot des Kollektivs dreht sich klar um den Schwerpunkt Frauen*gesundheit. Abseits von Geburtsvor- und Nachbereitung geht es um darum, Frauen ein positives und bewusstes Körpergefühl zu vermitteln, Aufklärungsarbeit zu leisten und einen Raum für Fragen und Begegnungen zu bieten.

Themen wie Schwangerschaftsabbrüche, Endometriose, Fehlgeburt oder unerfüllter Kinderwunsch will das Trio bewusst aus der Tabuisierung erheben.

Auch, wenn das Kollektiv erst wenige Wochen alt ist – das Auftragsbuch ist schon jetzt gut ausgefüllt, bis zum Januar 2025. „Wir freuen uns natürlich sehr über diese Resonanz“, strahlen Sophie und Miriam im Gespräch, zu dem wir unter Bäumen im Garten der Kochstraße 43 Platz genommen haben.

„Wir betreuen zu dritt fünf bis acht Geburten im Monat. Damit können wir sicherstellen, dass jede gebärende Frau eine Hebamme an ihrer Seite hat – egal, wie lange die Geburt dauert.“ Dazu bieten sie eine 24-stündige Rufbereitschaft ab der 37 + 0. Schwangerschaftswoche an, um den Frauen rund um die Uhr zur Seite stehen zu können. Zwischen 500 und 800 Euro werden als Pauschale für diese Leistung berechnet, einen Teil übernimmt die Krankenkasse.

„Sollten Eltern finanziell aber nicht in der Lage sein, den Minimalbetrag der Bereitschaftspauschale zu bezahlen, sind wir bemüht, gemeinsam eine Lösung zu finden. Es ist uns ein großes Anliegen, dass alle Personen Zugang zu einer natürlichen Geburt im häuslichen Umfeld haben, wenn sie es wollen.“

Genauso wichtig ist für Lena, Miriam und Sophie die Offenheit gegenüber jeder Art von Familienkonstellation und Geschlechtsidentität. Ebenso ganz bewusst haben die jungen Frauen ihren „Wirkungsbereich“ auf einen Kreis in und um Leipzig ausgeweitet, der bis zu einer Stunde Fahrtzeit einschließt.

„Im ländlichen Raum schließen die Geburtsstationen – wie zuletzt beispielsweise in Grimma – gleichzeitig werden in diesen Gebieten oft mehr Kinder geboren. Das heißt, gerade dort ist die Dringlichkeit viel größer. Meist läuft die Geburt des zweiten, dritten oder vierten Kindes deutlich schneller ab als die erste. Es ist unwahrscheinlich, dass die Frau es rechtzeitig in die Klinik schafft, wenn diese eine halbe Stunde vom Wohnort entfernt ist“, erklärt Miriam. „Solche Fahrtzeiten bedeuten natürlich auch Stress für Mutter und Kind.“

Weg vom Dienst nach Plan

Stress und Hektik – das haben die drei auch in ihrer vorherigen Tätigkeit als Hebammen in Krankenhäusern vielfach erlebt. Der Faktor Wirtschaftlichkeit spielt oft im Klinikalltag eine übergeordnete Rolle. Irgendwann war ihnen klar: Wir möchten keine Geburten nach Schichtplan mehr.

„Natürlich gibt es auch auf den Geburtsstationen Personalmangel, das darf man nicht vergessen. Dennoch – man hört diese Floskeln tagein, tagaus: ‚Gleich ist Schichtwechsel, wir müssen den Kreißsaal leermachen.‘ Zur Not werden die Wehen mit Medikamenten beschleunigt. Manche Frauen machen auch schlechte oder traumatische Erfahrungen während der Geburt in der Klinik. Das beginnt bei der Selbstbestimmung, bei Grenzüberschreitungen, Gewalterfahrungen. Wenn beispielsweise eine vaginale Untersuchung ohne das Einverständnis der Frau durchgeführt wird.“

Auch Rassismus sei ein Thema. Eine der Dreien erinnert sich: „Ich habe einmal die Erfahrung gemacht, dass eine Frau muslimischen Glaubens sich erbeten hatte, dass bei der Geburt kein Mann anwesend sein sollte. Trotzdem wurde der Arzt in den Kreißsaal geschickt. Das sind Grenzüberschreitungen, die für die Frauen traumatisch sein können.“

„Mir hat oft auch der intensive Kontakt gefehlt zu den Frauen“, wirft Miriam ein. „Sie kommen in den Kreißsaal, man begleitet die Geburt – oftmals mehrere zur gleichen Zeit – und das war’s. Ich möchte die Schwangeren kennenlernen, sie in dieser Zeit, auch vor der Geburt schon begleiten.“
Der Wunsch, es anders zu machen, verbindet sie und ihre Kollektiv-Kolleginnen. „Wir haben dieselben Ziele und Visionen: Wir wollen so arbeiten, wie wir als Frauen selbst begleitet und wertgeschätzt werden möchten und den Paaren, für die diese eine Geburt oft die einzige ist, diese Wertschätzung entgegenbringen.“

Ein wichtiger Anteil dabei ist die Aufklärung und Wissensvermittlung. Viele Eltern wüssten nichts oder nur wenig über die Möglichkeit einer Hausgeburt. „Natürlich sind die Informationen, die Frauen bei ihren Gynäkologinnen*innen erhalten, von deren Erfahrungen geprägt. Wenige empfehlen eine Hausgeburt oder klären darüber auf. Viele Schwangere müssen sich letztendlich selbst informieren.“

Schichtdienst nach Zyklus

Wie sie als Kollektiv nicht in den gleichen Stress geraten wie im Klinikalltag, haben Lena, Miriam und Sophie gemeinsam diskutiert. Herausgekommen ist beispielsweise ein Schichtplan, der ihren Monatszyklen angepasst ist.

„Es ist für niemanden ein Gewinn, wenn beispielsweise eine von uns in der Rufbereitschaft ist, während ihr Körper sich in einer eher kraftlosen Phase befindet.“ Ebenso sind regelmäßige Frei-Zeiten ein fester Bestandteil ihrer Arbeit: „Indem wir als Team arbeiten, können wir einer jeden von uns Urlaub ermöglichen und darauf achten, dass es Zeiten gibt, die wirklich frei sind. Es ist natürlich ein anderes Stresslevel, wenn das Mobiltelefon ständig auf laut geschaltet ist und theoretisch jede Minute ein Anruf eingehen könnte – selbst, wenn es dann nicht passiert.

Man plant seine Freizeit auf andere Weise und enttäuscht mitunter auch die Menschen im privaten Umfeld, die ein Stück weit mit flexibel sein müssen.“

Außerdem gilt für sie der Grundsatz der Gemeinschaftlichkeit. „Wir verstehen uns ganz klar als Kollektiv – wir entscheiden gemeinsam. Wenn eine Entscheidung für eine Person noch nicht passt, suchen wir nach einem anderen Weg. Zum Glück ergänzen wir uns in unseren Fähigkeiten sehr gut. Womit sich die eine nicht so gern beschäftigt, macht der anderen Spaß.“

Für die Zukunft können sie sich vorstellen, ein bis zwei weitere Personen in das Kollektiv einzubinden. „Das brechen wir aber nicht über den Zaun. Die Person muss die gleichen Vorstellungen teilen wie wir und zu uns passen. Bisher funktioniert es wunderbar zu dritt.“

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