In seinem Buch „Reichtum als moralisches Problem“ stellt der Philosoph Christian Neuhäuser die Verbindung her zwischen (monetärem) Reichtum und Selbstachtung. Letztere würde zum einen dadurch definiert, auf sich selbst achtgeben zu können, soll heißen: sich mit Lebensmitteln, einem Dach über dem Kopf etc. versorgen zu können. Zum anderen verbindet Neuhäuser mit Selbstachtung den Umstand, von anderen Menschen als gleichrangig respektiert zu werden.
Gehen wir auf Punkt eins näher ein, stellt sich die Frage: Was braucht Mensch, um auf sich achtzugeben? Sicher wird ein Großteil der Gesellschaft zustimmen, wenn es in der Frage um Güter wie Lebensmittel, dem Wetter entsprechende Kleidung sowie einen Raum zum Wohnen und die Möglichkeit, sich sauber zu halten, geht.
Schwieriger wird es, wenn es um ideellen Reichtum, also Güter wie Kunst und Kultur, Bildung, Sport oder soziale Verbindungen geht. Gehören diese Dinge ebenso zum „Standardrepertoire“, quasi zum Rundum-Sorglos-Paket, eines jeden Menschen? Sollten diese „Addons“, die vor allem den Geist anregen, nicht selbstverständlich und niedrigschwellig für alle zugänglich sein?
Zahle so viel, wie du kannst
Wir wissen, dass es enorme Unterschiede gibt, wenn es darum geht, wie viel Geld die Menschen monatlich zur Verfügung haben und was sie sich davon leisten können. Auch in Leipzig. Für Familien, die mit einem geringen Einkommen auskommen müssen, ist beispielsweise ein Besuch im Theater vielleicht ein- bis zweimal im Jahr drin, eine Vorstellung in der hochgeschätzten Leipziger Oper vielleicht sogar niemals.
Um das zu ändern, hat die Stadt Leipzig unter Federführung des Kulturdezernats das Modellprojekt „Pay what you can“ (PWYC) ins Leben gerufen, also „Zahle so viel, wie du kannst“. Seit September können Zuschauer*innen in ausgewählten Veranstaltungen an den städtischen Kulturbetrieben (Oper Leipzig, Gewandhaus, Schauspiel Leipzig sowie Theater der Jungen Welt) zwischen verschiedenen Preiskategorien für den Eintritt wählen. Ganz gezielt geht es sozusagen darum, Menschen ohne großen finanziellen Reichtum den Zugang zu ideellem Reichtum zu ermöglichen.
Kleinere Effekte bereits sichtbar
Noch ist nicht gänzlich nachzuvollziehen, welche Effekte das Modellprojekt mit sich bringt. Zum einen werden auch im neuen Jahr noch Veranstaltungen zu Pay-what-you-can-Konditionen angeboten und in die Evaluation des Projekts miteinfließen. Zum anderen sei es schwer zu bestimmen, welche Faktoren der Grund für ausverkaufte Säle seien, heißt es dazu Schauspiel Leipzig. Eines aber sei schon jetzt festzustellen: „Große Teile des Publikums haben den niedrigsten PWYC-Preis gezahlt.“
Das bestätigt auch die Stadtverwaltung. „[E]ine Vielzahl an ‚pay what you can‘-Nutzern [haben] tendenziell Preise gezahlt, die unterhalb der regulären Preise liegen; viele auch den günstigsten Kartenpreis“, heißt es auf LZ-Nachfrage aus dem Neuen Rathaus.
Tendenziell seien die Veranstaltungen sehr gut besucht gewesen. Ebenso habe die Zusammensetzung der Besucherinnen und Besucher gezeigt, dass mehr jüngere Gäste die Vorstellungen besucht hätte, als es für gewöhnlich der Fall sei. Gerade solche Faktoren gilt es zu untersuchen.
Denn um das Modellprojekt gegebenenfalls fortzuführen, braucht es verlässliche Daten, die seinen Erfolg bzw. Misserfolg belegen. Noch bis zum Ende der Spielzeit, also bis zum Sommer 2024, haben die Kulturbetriebe in städtischer Hand die Möglichkeit, das Angebot PWYC zu unterbreiten. Einzelne Veranstaltungen listet beispielsweise schon das Theater der Jungen Welt für Januar und Februar. Am Schauspiel findet die nächste PWYC-Veranstaltung am 20. Januar (Der Würgeengel. Psalmen und Popsongs) statt, weitere sind für die Monate Februar und März geplant. Veröffentlicht werden diese mit Bekanntgabe des Monats-Spielplans jeweils am 5. des Monats.
Oper und Gewandhaus haben zwar bis jetzt keine weiteren Termine mit PWYC-Zugang veröffentlicht, letzteres macht auf seiner Homepage allerdings einen besonders wichtigen Punkt: „Das Publikum bezahlt frei von einer Nachweispflicht, was es kann oder was es möchte.“ Womit wir wieder bei Neuhäuser und seinem zweiten Kriterium für Selbstachtung als Definition für Reichtum wären: von anderen Menschen als gleichrangig respektiert zu werden.
„Pay what you can: Zugang zu Kultur sollte nicht vom Geldbeutel abhängen“ erschien erstmals zum thematischen Schwerpunkt „Reichtum“ im am 22.12.2023 fertiggestellten ePaper LZ 120 der LEIPZIGER ZEITUNG.
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