Eine Verfolgungsjagd der Polizei im Leipziger Süden endete gestern mit einer Schussabgabe und einem verletzten Autofahrer – heute wurden weitere Details öffentlich. Im nordrhein-westfälischen Lützerath spitzt sich die Lage immer mehr zu: Nach Beseitigung erster Barrikaden, wird bald mit dem Räumungsbeginn im besetzten Dorf gerechnet. Und: Bundesaußenministerin Annalena Baerbock ist nach Kiew gereist, am Morgen wurde sie im kriegsgebeutelten Osten der Ukraine empfangen. Die LZ fasst zusammen, was am Dienstag, dem 10. Januar 2023, in Leipzig, Sachsen und darüber hinaus wichtig war.
Verfolgungsjagd und polizeilicher Schusswaffengebrauch
Verfolgungsjagd und Schussabgabe durch Gesetzeshüter – eine Meldung, die sich im ersten Moment wie ein Wildwest-Szenario anhört. Doch genauso geschah es am gestrigen Nachmittag in Leipzig: Ein 38-jähriger PKW-Fahrer entzog sich nach Behördenangaben einer Polizeikontrolle und versuchte, mit seinem Fahrzeug zu fliehen.
Einsatzkräfte stoppten am Montag in Leipzig einen 38-Jährigen nach einer Verfolgungsfahrt. In der Folge kam es zur Schussabgabe auf den Fahrer. Dieser wurde verletzt.
Die vollständige Meldung der Polizeidirektion und der Staatsanwaltschaft #Leipzig: https://t.co/n5T4s8nPM2 pic.twitter.com/Aa1nxYLvP3
— Polizei Sachsen (@PolizeiSachsen) January 10, 2023
Nach Beschädigung mehrerer Streifenwagen konnte der Fahrzeuglenker schließlich im Bereich der Auffahrt zur B2 an der Koburger Straße in Leipzig-Connewitz gestellt werden. Hier soll er dann die Anweisungen der Einsatzkräfte ignoriert haben und mit einer Hiebwaffe auf sie zugegangen sein. Daraufhin, so die Polizei, kam es zur Schussabgabe.
Der polizeibekannte und vorbestrafte PKW-Fahrer wurde dabei verletzt, erstversorgt und in ein Krankenhaus gebracht. Inzwischen laufen Ermittlungen gegen ihn wegen eines versuchten Tötungsdelikts, auch der polizeiliche Schusswaffengebrauch ist Gegenstand derzeitiger Untersuchungen.
Unsere Meldung mit Bildern und Video vom Tatort, wo die Kriminaltechnik letzte Nacht Spuren sicherte, ist hier zu finden.
Lützerath: Worum geht es eigentlich?
Das Dorf Lützerath am Braunkohletagebau Garzweiler (NRW) ist zum Symbol der Konfrontation zwischen der regierenden Politik und den Energiekonzernen auf der einen sowie dem Kampf um Klimaschutz und die Einhaltung der Pariser Klimaziele andererseits geworden. Zur Stadt Erkelenz gehörig, liegt der mittlerweile nur noch wenige Häuser zählende Ort nahe der Abbruchkante eines riesigen Tagebau-Lochs. Der Energieriese RWE plant schon lange den Abbruch der Siedlung, um die darunter liegende Braunkohle abzubaggern und zur klimaschädlichen Verstromung einzusetzen.
Dagegen formiert sich entsprechender Widerstand von Klimaaktivistinnen und -aktivisten, die das Dorf seit etwa zwei Jahren besetzt halten und dessen Räumung verhindern wollen. Sie verweisen auf das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens von 2015 sowie massive Schäden für Umwelt und Tiere. Der wohl bevorstehende Abbruch von Lützerath ist Teil eines umstrittenen Deals zwischen RWE, dem Land Nordrhein-Westfalen und dem Bund, wonach der Kohleausstieg in NRW auf 2030 vorgezogen werden soll und mehrere Ortschaften vom Bagger verschont bleiben. Lützerath aber soll weichen. Viele Details zum Thema hat die ARD hier zusammengestellt.
Meldungen über gewaltvolles Vorgehen der Polizei vor Ort – geht die Räumung morgen los?
Am Dienstag nun mehrten sich die Anzeichen, dass die Räumung des Ortes unmittelbar bevorstehen könnte: So begannen Polizeikräfte mit der Beseitigung von Barrikaden auf dem Areal – nach offizieller Darstellung solle dies die anstehenden Arbeiten von RWE sichern. Hunderte Menschen sind derzeit vor Ort, halten das Dorf weiterhin besetzt, demonstrieren mit Sitzblockaden und Menschenketten. Die Wut der Aktivisten, besonders auf die sowohl im Bund als auch in NRW regierenden Grünen, ist gewaltig, von „Verrat“ wird gesprochen.
Die verfahrene Lage in #Luetzerath hat @Luisamneubauer gut zusammengefasst. Die Regierung behauptet, die Kohle unter dem Dorf würde dringend gebraucht. Andere Studien berechnen das Gegenteil. Wäre ein Räumungsstopp bis Klarheit herrscht nicht sinnvoll?https://t.co/LQvwPnav5v
— Volker Quaschning (@VQuaschning) January 10, 2023
Offiziell will die Polizei deeskalierend vorgehen – jedoch erreichen uns Meldungen aus erster Hand in Lützerath, wonach die Einsatzhundertschaften heute schubsend, tretend und schlagend gegen die Besetzer vorgingen. Dabei sollen die Beamtinnen und Beamten unter anderem ein Tripod fast zum Einsturz gebracht und ein Menschenleben riskiert haben.
Rechtlich haben die Behörden schon heute die Handhabe zur Räumung von Lützerath – erwartet wird, dass es womöglich am morgigen Tag „ernsthaft“ losgehen könnte. Allerdings wollte der zuständige Landrat am Dienstagnachmittag noch über den Einsatz und die Räumung informieren.
Offiziell wird von Politik und RWE mit der Energie-Versorgungssicherheit argumentiert, warum Lützerath den Baggern weichen müsse. Aktivistinnen und Aktivisten zweifeln diese Angabe an und verweisen unter anderem auf ein Gutachten des DWI.
Wir beobachten die Situation weiter.
Baerbock sagt Ukrainern weitere Hilfe zu
Der Besuch war bis zur Abreise aus Sicherheitsgründen geheimgehalten worden: Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (42, Grüne), ist vergangene Nacht im Zug via Polen in die Ukraine gereist. Nach ihrer Ankunft in Kiew, fuhr sie weiter in den Osten des Landes, als erstes Mitglied des deutschen Bundeskabinetts seit Kriegsbeginn in der Ukraine am 24. Februar 2022.
In der zweitgrößten Stadt Charkiw besichtigte die Politikerin unter anderem eine Kinderklinik und ein Umspannwerk. Zur Delegation gehörten außerdem Baerbocks ukrainischer Amtskollege Dmytro Kuleba (42) und der Botschafter des Landes in Deutschland, Oleksij Makejew (47).
Charkiw, Ukraine, 40 km bis Russland: „Diese Stadt ist Sinnbild für den absoluten Irrsinn des russischen Angriffskriegs“, so #Baerbock, „aber auch Sinnbild für den unglaublichen Durchhaltewillen und Mut der Ukrainerinnen und Ukrainer.“ Bald mehr @derspiegel pic.twitter.com/Nv574L2hNs
— Marina Kormbaki (@m_kormbaki) January 10, 2023
Bei ihrem Besuch sagte Baerbock weiterhin die praktische Unterstützung Deutschlands sowohl in der Kriegssituation als auch in der Zukunft zu. Letztere sähen die Menschen in der EU. Die Ukraine solle konkrete Angebote der Bundesregierung erhalten, um bei der Angleichung des Landes an EU-Standards voranzukommen.
Die Kämpfe toben unterdessen unvermittelt weiter, die Verteidigungslinien der ukrainischen Armee geraten derzeit vor allem bei den Städten Bachmut und Soledar unter Druck, sich gegen ein russisches Vordringen zu behaupten. Ein Ende des Krieges ist nicht in Sicht.
Worüber die LZ heute berichtet hat:
über die Verfolgungsjagd im Leipziger Süden,
über neue Stellen für das Ordnungsamt in Form eines Kommentars,
über eine umstrittene Entscheidung in Oberwiesenthal,
über die Förderung erneuerbarer Energien in Sachsen und
über ein Buch zur Geschichte des rücksichtslosen Machtstrebens.
Was sonst noch wichtig war:
Im Mammut-Prozess zum Dresdner Juwelendiebstahl wird es wohl auf einen Deal zwischen Gericht, Anklage und Verteidigung hinauslaufen – die Angeklagten können unter Bedingungen mit Strafnachlass rechnen.
Die kriminelle Energie der mutmaßlichen Täter ist wohl kaum mit dem vergleichbar, was einem Aktivisten zur Last liegt, der im Zusammenhang mit der Leipziger Flughafenblockade vom Juli 2021 festgenommen worden war: Er soll in der Polizeizelle eine Sachbeschädigung begangen haben. Der Prozess vor dem Amtsgericht Leipzig wurde heute auf den 26. Januar um 15 Uhr vertagt – unter anderem sollen weitere Zeugen gehört und einem Beweisantrag der Verteidigung nachgegangen werden.
In mehreren Bundesländern, darunter Sachsen, wird die Maskenpflicht im ÖPNV fallen.
Was morgen wichtig wird:
Es wird davon ausgegangen bzw. befürchtet, dass die Polizei mit der Räumung Lützeraths beginnen könnte – siehe oben.
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