Für FreikäuferLEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausgabe 73, seit Freitag, 29. November 2019 im HandelIch wusste gar nicht, wo man überall Muskelkater haben kann. Auch jetzt noch, mehr als zwei Tage nach der Besteigung des Adam’s Peak, zitterten meine Waden bei jedem Schritt. Und schon war ich wieder dabei, einen Berg zu besteigen, den – und das ist kein Witz oder schlechtes Wortspiel – Little Adam’s Peak. Dieser befindet sich ganz in der Nähe von Ella, einer Stadt am südöstlichen Ende des Sri Lanker Hochlands, die als touristischer Hotspot gilt und diesem Ruf auch alle Ehre machte.
Das erste Mal überhaupt in Sri Lanka kam ich mir vor wie ein typischer Tourist: zwar hatte es am Sigiriya-Felsen auch einen Massenandrang gegeben (siehe Teil III), doch waren die meisten dort Einheimische gewesen; und nun gab es Bars und Restaurants in Hülle und Fülle, fast alle versehen mit englischen oder zumindest englisch klingenden Namen, mit Speisen, die man genauso gut hier in Leipzig finden könnte und mit Musik von Bon Jovi bis Justin Bieber. Also herzlich Willkommen im Touristenort westlicher Prägung!
Nichtsdestotrotz, so gebe ich gern zu, war es auch mal wieder schön, zur Abwechslung etwas anderes außer Curry mit Reis zu essen und eine Fanta zu trinken. Seine Geschmacksnerven und deren Angewohnheiten nimmt man eben doch überall hin mit auf der Welt. Und so saßen Gina und ich am ersten Abend in Ella wieder mal gemeinsam an einem Tisch, schwiegen uns in der Speisekarte blätternd an und überlegten, wie wir den nächsten Tag verbringen könnten.
Wiedergetroffen hatten wir uns im Zug, den sie in Hatton bestiegen hatte, wo sie aufgrund ihres Gesundheitszustandes ja einen Tag länger geblieben war, während ich Nuwara Eliya unsicher gemacht hatte und von dort aus in den Zug gestiegen war. Meine Zeit allein auf dem Adam’s Peak und der darauffolgende Tag alleine in Nuwarliya hatten mich in meiner doch schon länger bestehenden Überlegung bestätigt: Ich wollte nicht mehr mit Gina weiterreisen!
Doch wie sollte ich ihr es sagen? Richtig ausflippen und sagen, was mir alles nicht passte – ihr ständiges Am-Handy-rumhängen, ihr Instagram-Gehabe und ihr Unwille, sich etwas anzustrengen und auch mal mehr als hundert Meter zu laufen – oder doch schlicht und einfach den Kommentar fallen lassen, dass ich nach Sri Lanka lieber alleine weiterreisen würde? Und wie würde sie reagieren?
Dass es zwischen uns seit Anfang an Spannungen gab, hatte auch sie sicherlich bemerkt und dass wir ein halbes Jahr zusammen verbringen wollen würden, war für sie – angesichts der bisherigen gut zehn Tage – sicherlich genauso unvorstellbar wie für mich. Nun gut, ich wusste, dass ich es ihr sagen würde, verschob das Gespräch aber erst einmal wieder auf den nächsten Tag. Ganz geheuer war mir der Gedanke des Alleinereisens in Fernost dann doch nicht…
Am nächsten Morgen trafen wir uns mit einem Pärchen, mit dem sich Gina während unserer getrennten Wege angefreundet hatte, und gingen – hört, hört – zu Fuß zum und später auf den Little Adam’s Peak. Auch wenn es aus heutiger Sicht etwas angeberisch klingt, aber ich muss sagen, dass dieser Berg mit seinen Trampelpfaden, die gemächlich auf eine Höhe von bis zu 1.143 Metern führten, nichts im Vergleich zu seinem großen Bruder mit seinem schier endlosen Anstieg voller Stufen bis auf über 2.100 Meter Höhe war – außer für meine Waden, die mich innerlich wahrscheinlich fragten, ob ich nicht ganz klar im Kopf wäre, schon wieder stundenlang bergauf und bergab zu wandern.
Bloß gut, dass am Ende aber doch das Gehirn die Entscheidungen trifft und nicht die Beine. Denn wie bei seinem Namensvetter war es auch hier grandios, oben anzukommen – diesmal direkt bei Tageslicht – und den Anblick des umliegenden Sri Lanker Hochlandes genießen zu können. Leider ist der Tourismus aber auch oberhalb des 40.000-Einwohner-Ortes Ella angekommen, und so konnte man von dort oben nicht nur den Blick genüsslich in die Ferne schweifen lassen, Wasserfälle und Affen erspähen und das unendliche Grün in sich aufsaugen, sondern musste auch den Geräuschen von Kettensägen lauschen, die ebendieses Grün hier und da rodeten, um offenbar Platz für Luxusunterkünfte zu machen – den entsprechenden Hubschrauberlandeplatz gab es bereits.
Immer wieder ist mir in den verschiedensten Ländern meiner Reise aufgefallen, wie sorglos der Mensch mit seiner Umwelt umgeht: Abholzung und Plastikmüll, Tierquälerei und Ressourcenverschwendung. Nun ist es leicht, mit dem erhobenen Zeigefinger auf andere zu zeigen, zumal in wesentlich weniger industrialisierten und fortschrittlichen Ländern; sollten wir nicht erst einmal vor unserer eigenen Haustür kehren?! Massentourismus in den Alpen oder auf Mallorca sind für uns vielleicht nur so selbstverständlich, dass er uns nicht mehr auffällt, eben im Gegenteil dazu, wenn man mitten in Sri Lanka steht und beobachten kann, wie zugunsten von Luxuschalets Schneisen in die Landschaft geschlagen werden.
Nach unserem Abstieg – meine Waden ließen mich ihren Dank spüren – entschieden wir uns, alle gemeinsam die Nine Arches Bridge anzusehen, die uns von vielen Seiten als technisches Wunderwerk kolonialer Eisenbahnbautechnik angepriesen worden war. 1921 fertiggestellt, überspannt sie mit einer Länge von 91 Metern ein tiefes Tal und ähnelt, wie es der Name schon vermuten lässt, einem alten römischen Viadukt mit neun großen Bögen.
Etwas oberhalb der Brücke angekommen, mussten wir mit Erschrecken feststellen, dass wir auch hier wieder nicht die Einzigen waren, die diese Idee hatten, und so teilten wir uns unseren Standort mit zahlreichen anderen Touristen, die, zum Teil mit professionell wirkender Kameratechnik, wie eine Herde Schafe in einer Reihe standen und auf die Brücke starrten, um zu sehen, wann der Schäfer sie endlich abholen würde. Pardon, wann der Nachmittagszug endlich vorbeikäme, damit man das Foto schlechthin machen konnte.
Es ist schon witzig, wie der Mensch tickt: Er stellt sich an eine Brücke, die zwar nett anzusehen, aber dennoch nichts ist, was einer völligen Sensation gleich käme, und wartet dort ob des Wissens, dass sich die Sri Lankischen Züge nicht unbedingt an die Fahrpläne, geschweige denn an die Wünsche der Touristen hielten, stundenlang darauf, dass ein Zug für etwa zehn Sekunden darüberfährt. Genauso war es dann auch. Ein bisschen wie Silvester: alle machen kurzen „ah“ und „oh“ und dann war es auch schon wieder vorbei. Genau diese Beobachtung war für mich das eigentlich Interessante. Schön anzusehen war die Zugüberfahrt dennoch.
Kurz zuvor, während des Wartens, waren wir mit zwei Österreichern ins Gespräch gekommen, die vor allem dadurch auffielen, dass sie, wie zig tausende Sri Lanker auch, auf etwas herumkauten, das offensichtlich den Mund rot färbte und dafür sorgte, dass man irgendetwas ausspucken musste. Ich hatte mich schon die ganze Zeit gefragt, was das war, denn tatsächlich spuckten viele Einheimische, vor allem Männer, ständig in der Gegend herum, immer rot, immer Flecken auf dem Boden hinterlassend. Es war schon recht ekelig.
Zu Beginn dachte ich noch, dass der eine oder andere vielleicht Probleme mit dem Zahnfleisch hätte, aber so viele?! Bei Google hatte ich dann bereits recherchiert – „kauen rot spucken Sri Lanka“. Das Ergebnis kam trotz meiner wenig zusammenhängenden Beschreibung sofort: die Betelnuss. Es handelt sich dabei um eine kleine Nuss, deren Wirkung wohl ähnlich der von Alkohol ist (der im Buddhismus zwar nicht verboten ist, aber dennoch weitgehend abgelehnt wird), aufputschend, appetitdämpfend, wohlbefindensteigernd. Darüber hinaus führt sie aber eben zur erhöhten Produktion von Speichel – was dann auch das Spucken erklärte.
Allerdings ist dies das geringste Problem: Ein häufiges Kauen der Nuss (manche kauen zusätzlich wohl auch ihre Blätter) führt zu schlechtem Atem und gelben Zähnen und erhöht das Risiko von Mundhöhlenkrebs. Beunruhigt hat mich vor allem aber der Satz, dass im indo-malayischen Raum viele Busfahrer die Nuss kauen, um am Steuer wach zu bleiben. Auf einmal ergaben meine Erfahrungen mit dem Sri Lankischen Busfahren dann Sinn… (siehe Teil III). Kurios war hingegen, von den Österreichern zu erfahren, dass die Nüsse wohl absolut widerlich, weil extrem bitter schmecken und tatsächlich sah auch Gina, die gleich mal eine probierte, nicht danach aus, als äße sie die Speise ihres Lebens.
Zusammen mit den anderen mehr oder weniger Staunenden verließen wir nach der Zugüberfahrt alsbald unseren Aussichtspunkt in Richtung Schienen, denn wie wir schon von oben gesehen hatten, nutzen die Einheimischen die Strecke entlang der Gleise zusammen mit ihren Kühen offensichtlich als Weg nach Hause, nach Ella oder auf die Weiden. Und so taten wir es ihnen gleich und traten unseren Rückweg nach Ella an.
Zwar ist es einem als gut erzogenem Deutschen schon etwas mulmig, wenn man einfach so zwischen den Schienen herumspringt und ihnen über mehrere Kilometer zu Fuß folgt, auf der anderen Seite ist es ja genau das, was das Nicht-zu-Hause-sein, das Abenteuer, die Andersartigkeit ausmacht. Darüber hinaus fahren die Züge vor Ort nur ein paar Mal am Tag und die schweren, alten Dieselloks aus Kolonialzeiten sind auf Kilometer hinweg zu hören und zu spüren, Gefahr, überrollt zu werden, drohte uns also nicht wirklich.
Auf dem Weg zurück in unsere Unterkunft verabredeten wir uns mit den anderen beiden Deutschen für den nächsten Tag, um gemeinsam mit einem Taxi an die Südostküste in den größten Nationalpark des Landes zu fahren, den Yala-Nationalpark. Zuvor hatte ich aber noch eine Aufgabe zu erledigen: Ich teilte Gina nun endlich mit, dass ich nach Sri Lanka alleine weiterreisen würde, völlig emotionslos. Und zu meiner Erleichterung sah sie es genauso. Welch großer Stein fiel mir vom Herzen – Freiheit auf dem Rest meiner Reise. Nun konnte es also wirklich mein halbes Jahr werden.
Heute hier, morgen dort (5): Sri Lanka – bergauf, bergab, Tee und Mützen
Heute hier, morgen dort (5): Sri Lanka – bergauf, bergab, Tee und Mützen
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