Von seiner Entstehung bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein taugte Kleists „Hermannsschlacht“ dem Theater vor allem zu Propagandazwecken. In der Spielzeit 1933/34 war der Stoff, von den Nazis zum Nationaldrama verklärt, über 130 Mal auf deutschen Bühnen zu sehen. In Leipzig hat sich der tschechische Regisseur Dusan David Parizek an eine Neudeutung des Stoffs gewagt, der aus den genannten Gründen nur noch selten gespielt wird. Am Donnerstag war Premiere.
Parizek verdichtet den sperrigen Stoff mit seiner verschachtelten Sprache und weit über 30 Sprechrollen auf fünf Schlüsselfiguren. Im Zentrum steht Cheruskerfürst Hermann, den der omnipräsente Dirk Lange grandios als einen zwischen rationalem Abwägen und hemmungslosem Wahn chargierenden Geschäftsmann im blauen Businessanzug spielt. Die Römer kommen, vergewaltigen, morden? Drauf geschissen. „Ganz Deutschland ist verloren schon.“
Zwischen den Versatzstücken aus Kleists Drama, die den Plot vorantreiben, schweifen die Protagonisten immer wieder ab. Hermann (Dirk Lange) spendiert der ersten Reihe Alkoholisches. Es wird um Dialekte gestritten, das Deutschlandlied intoniert, nervtötender Klamauk gemacht.
Roter Faden des Abends ist die Gewalt – sowohl in der verrohten Sprache der Protagonisten hör- wie außerdem auf der Bühne sichtbar. Das Publikum darf drei Vergewaltigungen beiwohnen. Gewalt ist geil, könnte man meinen. Legat Ventidius (Thomas Braungardt) und eine Zuschauerin sterben jedenfalls grausamer Tode. Wenn uns Kleist in der „Hermannsschlacht“ eine bis heute nachwirkende Message hinterlassen hat, dann die: „Vor dieser Brut der Wölfin keine Ruhe /Aals bis das das Raubnest ganz zerstört / Und nichts als eine schwarze Fahne / Von einem öden Trümmerhaufen weht!“ Der Dichter hatte 1808 freilich die Franzosen vor Augen, die unter Napoleon zwei Jahre zuvor das Deutsche Reich aufgelöst hatten.
Parizek drehte den Spieß gekonnt um. Nach fast zwei Stunden Theater, die Darsteller haben sich bereits einmal verbeugt, bittet Hermann das Publikum noch einmal zur Ruhe, um die Kampfansage zu sprechen, mit der Kleists Drama eigentlich endet. Doch dabei bleibt es in Leipzig freilich nicht. Parizek schlägt vom Nationalismus des frühen 19. Jahrhunderts den Bogen zum deutschen Faschismus. Hermann und Gattin Thusnelda (Bettina Schmidt) zitieren Hitler und Höcke. Deutlicher könnte (just am Tag der Deutschen Einheit) eine Absage des Theaters an den deutschen Patriotismus, der durch jede Pore des Stücks dringt, nicht lauten.
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