LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausg. 65„Heute brennt die Sonne ganz erbarmungslos. In der Hölle ist die Hitze halb so groß. Heißer Sommer in diesem Jahr. Ist ein heißer Sommer wie wunderbar.“ Chris Doerk, 1968. Die Katastrophe steht bevor. Die Veränderungen der Gesamtwetterlage entsenden bereits ihre Vorboten. Ein schleichender Prozess, von dem anzunehmen ist, dass er sich entladen wird mit monströsen Paukenschlägen. Seit vielen Jahren nimmt diese Entwicklung ihren Lauf und scheint nicht mehr aufhaltbar.
Einzig das Handeln aller politischen Institutionen und Entscheidungsträgerinnen kann das nahende Ende einer Welt, wie wir sie kennen, unterbinden. Gesetze müssten beschlossen, Menschen in die Verantwortung für ihr unverantwortliches Handeln genommen und die gesamte Gesellschaft einem radikalen Umbau unterzogen werden. Doch als zukünftiger Stadtrat und Ministerpräsident in spe kann und will ich Sie beruhigen. Es wird nicht das Ende der Welt bedeuten.
Die „Katastrophe“ wird letztlich positive Effekte zeitigen, der Zuversicht weiche die Angst, Hoffnung keimt, auch wenn eine braune Sonne über Sachsen aufgehen mag. Mit allem Nachdruck sage ich: Wenn im Mai Die PARTEI in den Stadtrat einzieht, wird das nicht das Ende der Welt sein.
„Ach, wirklich?“, fragen sich an dieser Stelle gestandene Demokratinnen
Zugegeben, wir haben selbst Bedenken. Hat doch Martin Sonneborn, Abgeordneter im EU-Parlament, einst verlauten lassen: „Mandate sind Betriebsunfälle.“ Ein politischer Unfall? Das klingt nach Verschwendung von Steuergeldern, schlechten Witzen und Parlamentsschlägereien. Doch offenbar wird Die PARTEI, wenn wir von den Ergebnissen der letzten Bundestagswahl hochrechnen, in den Leipziger Stadtrat einziehen. Und das womöglich in Fraktionsstärke.
Wer ganz leise ist, vernimmt bereits des CDU-Populisten Michael „Satiere“ Weickerts Zähneknirschen und Andrea „Alice“ Niermanns (auch CDU) wütenden Tremor. Wir werden zusammen sicherlich viel Spaß haben.
Aber Unfälle passieren jeden Tag, oft sogar mit Todesfolge. Da erscheint mir der „Betriebsunfall“ Mandatserwerb durch einige Leipziger PARTEI-Kandidatinnen als minderschwer. Der Stadtrat macht auch nicht den Eindruck eines Ortes, an dem ich um mein Leben fürchten müsste. Allerdings kenne ich mich mit den Gepflogenheiten in Kommunalparlamenten nur sehr wenig aus.
Wer kann wissen, wie der politische Schlagabtausch in den Hinterzimmern des Ratssaals vonstatten geht? Und wenn es dort wirklich handfest zugeht, warum nicht gleich unter den Augen der Öffentlichkeit? Ich stelle mir grölende Menschenmassen im Rathausfoyer vor, die einen Boxring bejubeln, der gefüllt ist mit politischen Entscheidungsträgern …
Doch verehrte Leserin, ich bin kein Mann der körperlichen Auseinandersetzung. Meine schmächtige Statur und mein ruhendes Naturell verbieten jeden erfolgreichen Einsatz von Fäusten im Privaten wie in der Politik. Und als getaufter Christ darf ich lediglich die andere Wange hinhalten. Die derbsten Bandagen, die im deutschen Politikbetrieb zum Einsatz kommen, sind jene, die zum Karneval herausgekramt werden. Das Derbe hat seinen abgegrenzten, eingehegten Ort, dort darf fleißig über die Stränge geschlagen werden. Der Karneval und die Büttenrede sind Ausdruck einer herrschaftskritischen Tendenz. Sie erlauben, einmal im Jahr auf den Mächtigen herumzureiten.
Frage: Warum soll das nur einmal im Jahr erlaubt sein? Der Feudalismus ist vorbei, niemand muss seinen Fronherren fürchten. Solange es als Kunst (auch Kunst ist: Satire) durchgeht, darf beispielsweise der Satz „Michael Weickert ist doof“ (Scherz) straffrei in dieser Postille stehen.
„Res severa verum gaudium.“ Seneca
Die Kritik an Die PARTEI, sie wäre eine einzige Spaßveranstaltung auf Staatskosten, ist natürlich zu größten Teilen Unsinn. Wie alle Gewandhausgängerinnen wissen – denn es ist seit 200 Jahren Leitspruch dieser städtischen Institution – ist wahre Freude eine ernste Sache. Und wie schwer es ist, einen wirklich treffenden Witz zu machen, wird bei der Rückschau auf die politischen Aschermittwoche und karnevalistischen Großveranstaltungen dieser Republik überdeutlich. Ich bin der Überzeugung: Satire? Bitte nur die Profis machen lassen. Sonst wird es ganz schnell unlustig und total verkramp-karrenbauert.
Wer sich ein plastisches Bild der PARTEIischen Parlamentsarbeit machen will, dem rate ich zum jüngst erschienenen Buch „Herr Sonneborn geht nach Brüssel“ unseres GröVaZ (Größter Vorsitzender aller Zeiten). Denn unser Martin sitzt seit mehr als vier Jahren für seine Partei im Europäischen Parlament und versteht es, pointiert die kafkaeske Organisation EU-Parlament – „Was für ein Irrenhaus“ (Sonneborn, 2019) – auf eine Weise zu zeigen, wie es durch die etablierten Parteien nie nie nie möglich wäre.
Angefangen vom Fotobeweis des auf offenem Podium schlafenden Cholerikers Elmar Brocken (CDU, 184 kg), bis zu Abstimmungen, bei denen er abwechselnd mit „Ja“ und „Nein“ votiert, und dem gesamten 150-Milliarden-Euro-Wahnsinn (Jahresbudget des EU-Parlaments), den die gesetzgebende Sparte dieser Wirtschaftsunion sich leistet. Durch Politik mit satirischen Mitteln werden Einsichten möglich, die nur wenigen bis dato zugänglich waren. Gern geschehen, liebe EU.
„Die Satireschaffenden haben die Welt nur verschieden persifliert, es kömmt darauf an, sie zu verändern.“ Thesen über Satire als angewandten Punkrock, 2014
Und, verehrte Leserin, glauben Sie jetzt nicht, dass es im Leipziger Stadtparlament nicht auch Absurditäten bloßzustellen gäbe! Zumal es mir nicht vermessen erscheint, eine Quote von mindestens 90 Prozent an Leipziger Bewohnern zu veranschlagen, die absolut keine Ahnung davon haben, was im Stadtrat eigentlich passiert. Wo viel Dunkel, da viel Gemunkel. Ich bin der Meinung, Leipzig verdient Die PARTEI. Und dann verdient Die PARTEI auch an Leipzig. Quid pro quo, allen ist geholfen.
Ich werde im Stadtrat die Augen und Ohren offenhalten, im Dienste der Menschen dieser Stadt – denn ich liebe Euch doch alle! Ehrenwort.
Es grüßt ergebenst,
Ihr Tom Rodig
Ministerpräsident in spe
Kolumne: Es räsoniert Ihr Stadtrat und Ministerpräsident in spe Tom Rodig
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