VideoAm Samstag, 6. April 2019 fand eine deutschlandweit organisierte Demonstration rings um das Thema Mieten, Bauen und Leben in den Ballungszentren unter dem Motto „Mietenwahnsinn“ statt. So auch in Leipzig, wo sich an verschiedenen Punkten der Stadt bis zu 3.000 Menschen an den Protesten beteiligten. Der Demonstrationsanmelder Jürgen Kasek, Leipziger Rechtsanwalt und Mitglied der Grünen, verfasste im Nachgang angesichts der seither öffentlich immer stärker geführten Debatten zu Enteignungen von Großvermietern wie Vonovia oder Deutsche Wohnen, den auch in Leipzig auf unter 2 Prozent gesunkenen vermietbaren Leerstand und der zunehmenden Verstädterung der Gesellschaft nachfolgenden Kommentar.
Spätestens seit diesem Wochenende reden viele Menschen über „Mietenwahnsinn“. Einige erregen sich bereits über das Wort, andere sehen angesichts der Forderungen nach Enteignungen gar den Sozialismus am Horizont aufziehen. Schöner Populismus allerorten. Ein Beitrag zur Versachlichung der Debatte.
Die Fakten: Die Mieten steigen schneller als die Durchschnittslöhne. Wenn mehr als 30 % des Nettoeinkommens für die Miete aufgewendet werden, spricht man von einer sozialen Schieflage und das Armutsrisiko steigt. In Berlin beträgt die Relation 44 %, in Leipzig 37 %. Tendenz steigend. Dazu kommt, dass der Wohnungsmarkt in den Städten angespannt ist, da dank Zuzug und Geburtenüberschuss der Leerstand sinkt. Ohne ein Minimum an Leerstand in den Städten, allerdings auch keine Dynamik am Markt, da zielgruppenorientierte Angebote fehlen, finden keine Umzüge mehr statt.
Am Ende droht ein „lock-in“ Effekt: Menschen können nicht mehr umziehen, weil Ersatzwohnungen nicht zur Verfügung stehen. In Teilen von München gibt es dieses Problem bereits. (Hinweis d. Red.: Seit 2017 ist auch in Leipzig der Leerstand auf 2 Prozent gesunken.)
„Mietenwahnsinn“ ist ein Schlagwort, welches dazu dient Aufmerksamkeit herzustellen und auf ein Problem hinzuweisen. Demonstrationen, deren Ziel es ist auf ein Problem hinzuweisen, versuchen durch Zuspitzung Aufmerksamkeit zu erzeugen. Normal. Machen alle so. BTW auch Politiker*innen. Wir haben am Mietmarkt ein Problem, ob und wie man es benennt ist sekundär. Ökonomische Entwicklungen fallen auch nicht vom Himmel, sondern sind menschengemacht und können, siehe Klimawandel, wahnwitzige Folgen haben. Ende der Debatte.
Ob und wie man die genannten Probleme lösen will, darüber herrscht Streit. Gut so. Argumente beleben die Debatte. Parteien konkurrieren mit ihren Angeboten um Wähler*innen. Das ist Demokratie.
Liberale Ansätze
Statt regulierend in den Markt einzugreifen wird argumentiert, dass es sinnvoller sei darauf zu bauen, dass das Durchschnittseinkommen steigt, dies wiederum wird durch eine Ansiedlungspolitik begünstigt. Der Wohnungsmarkt soll durch eine investorenfreundliche Politik, schnellere Bauleitplanung, Abschwächung der Vorschriften, beschleunigt werden. Logik: Angebot und Nachfrage.
Regulierende Ansätze
Um zu verhindern dass Mieten zu stark steigen, kann man auf Gesetzesänderungen auf Bundesebene im Bereich Zivilrecht setzen. Bereits seit 1. Januar etwa können nur noch 7 % der Modernisierungskosten umgelegt werden (vorher 11 %).
Bereits vorhandene kommunale Möglichkeiten zur Lenkung sind Erhaltungssatzungen (§ 172 BauGB), im Volksmund Milieuschutzsatzungen genannt, oder in beschränkten Bereichen das kommunale Vorkaufsrecht. Auch im Bereich der Bauleitplanungen können die Kommunen Regelungen schaffen.
Auf Landesebene wird in Sachsen etwa über ein Wohnraumzweckentfremdungsgesetz diskutiert um zu verhindern, dass benötigter Wohnraum durch Umnutzung (Ferienwohnung, Air BnB und Co) verschwindet. Berlin hat solch ein Gesetz. Erfolg bislang mäßig.
Über all das kann man diskutieren.
Fakt ist, wir brauchen mehr Wohnraum in den Städten zu bezahlbaren Preisen. Was bezahlbar ist, bemisst sich an der Höhe des Einkommens. Bei einem vergleichsweise hohen Niedriglohnsektor in Leipzig und einem bundesweit sehr niedrigen Durchschnittseinkommen gibt es Handlungsbedarf.
Enteignung
Einige gehen noch weiter und schlagen vor, dass Boden und Wohnraum kein Spekulationsobjekt sein dürfe. Einige wenige Eigentümer spekulieren mit Wohnraum und Boden. Kaufen Häuser an, investieren nichts, und verkaufen zu einem höheren Preis wieder. Die Kosten werden zum Teil auf die Mieter umgelegt. Die Miete steigt, ohne dass irgendetwas geschehen ist.
Grundsätzlich gilt in Deutschland die Eigentumsfreiheit nach Art. 14 GG. Allerdings unterliegt das Eigentum den Inhalts- und Schrankenbestimmungen, die durch die Gesetze ausgestaltet werden. Eigentum soll dabei, nach Art. 14 II GG, grundsätzlich auch der Allgemeinheit dienen. Art. 15 Grundgesetz hält wiederum fest, dass insbesondere Grund und Boden zum Zwecke der Vergesellschaftung in Gemeineigentum überführt werden. Dazu muss ein Gesetz Art und Umfang der Entschädigung bestimmen.
Die Enteignung ist grundgesetzlich zum Zwecke des Allgemeinwohls also bereits enthalten. Wer an dieser Stelle vor „Sozialismus“ warnt, zeigt nur, dass er/sie keine Ahnung vom Grundgesetz hat. Für eine/n Politiker*in ist das vor allen Dingen peinlich.
Im bereits geltenden Bergrecht ist bereits die Enteignung bei der Gewinnung von Bodenschätzen geregelt. Aus Gründen des Allgemeinwohls werden bereits in Deutschland Menschen enteignet um etwa Rohstoffe abzubauen, die der Allgemeinheit dienen (Stromversorgung) oder um Infrastruktur herzustellen, die ebenfalls der Allgemeinheit dient (Stromtrassen, Bundesstraßen, etc.).
Enteignungen sind also kein „Sozialismus“ sondern auch im „real existierenden“ Kapitalismus normal. Das ist alles eine Reihe von Punkten, über die man streiten kann. Und ich als Mieter wäre heilfroh, wenn mit Argumenten gerungen werden würde.
PS.: Zum Thema haben sich in Leipzig nur Politiker*innen von SPD; Grünen; Die Linke und FDP geäußert. Durchaus mit unterschiedlichen Ansätzen. Schwarz-Blau scheint es egal zu sein.
Was kann die kommunale Politik tun?
Video L-IZ.de. Das Video entstand am 6. April 2019 auf dem Leipziger Marktplatz. Während der Demonstration sollten die Leipziger Stadträte, (vlnr.) Mathias Weber (Linke), Tim Elschner (Grüne), Christopher Zenker (SPD) und Ute-Elisabeth Gabelmann (Piraten, Freibeuterfraktion) zur Frage Stellung nehmen, wo ihre Parteien die Fehler in der Vergangenheit und die Lösungsansätze für die Zukunft bei der Mietenentwicklung in Leipzig sehen. Laut Veranstalter hatte die CDU nicht auf die Anfrage zum Gespräch reagiert.
In einer Reihe „Das Einmaleins der Wohnungspolitik“ gibt es auf der L-IZ.de weitere Antworten und Lösungswege zu diesen Fragen. Alle neun Teile der Reihe finden sich unter dem Link www.l-iz.de/tag/mieten
Zur Reihe “Das Einmaleins der Wohnungspolitik” auf L-IZ.de (Teil 1 bis 9)
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