Am 13. Dezember 2018 geschah Wunderliches im Landtag Sachsen. Geräuscharm verabschiedete die Koalition das „Haushaltsbegleitungsgesetz“ für Sachsen. Darin verborgen waren auch neue Regeln für die Auskunftspflichten des Rechnungshofes Sachsen und so wurde das „Umweltinformationsgesetz“ (UIG) geändert.

Die Auskunftspflichten des Rechnungshofes wurden damit nahezu auf Null gebracht. So wollte man seitens des Rechnungshofchefs Prof. Dr. Karl-Heinz Binus (CDU), der die Änderungen vorschlug und der CDU-Fraktion offenbar sicherstellen, dass der Sächsische Rechnungshof sensible Firmendaten auf Anfrage von Umweltverbänden oder Journalisten nicht mehr herausgeben musste.In einem Statement vom 20. Februar 2019, kurz nachdem dieser Umstand bekannt geworden war, teilte die mitbeschließende SPD-Fraktion überraschend mit: „um es klar zu sagen: Die Gesetzesänderung stand für uns in keinem Zusammenhang mit dem laufenden Gerichtsverfahren. Wir bedauern, wenn ein anderer Eindruck entstanden ist.“

Was war gemeint?

Seit 2017 stehen sich am Verwaltungsgericht Leipzig die Umweltorganisation Greenpeace (Kläger) und eben jener Rechnungshof Sachsen gegenüber. Im Klageverfahren versucht Greenpeace an den Sonderbericht über die „Festsetzung von Sicherheitsleistungen im Rahmen bergrechtlicher Betriebsplanzulassungen“ und so an die Zahlen und Informationen des in Sachsen agierenden Unternehmens EPH (LEAG) heranzukommen.

Streitfrage für Greenpeace: 2017 hatte die EPH (LEAG) dem schwedischen Staatskonzern Vattenfall die Braunkohlesparte abgekauft und ist seither mit dem Kohleabbau in Sachsen, vorrangig in der Lausitz im Tagebau Nochten beschäftigt. Dabei wechselten auch die durch Vattenfall gebildeten Rücklagen, geschätzt 1,7 Milliarden Euro, den Eigentümer. Gelder, welche die Kohleunternehmen vorhalten müssen, um die spätere Renaturierung der Tagebaue finanzieren zu können.

Wie falsch die SPD-Fraktion im Dezember lag, zeigt sich nun durch das Verhalten des Landes Sachsen vor Gericht.

Ende Gelände Demo am 27.10.2018. Quelle: Ende Gelände
Ende Gelände Demo am 27.10.2018. Quelle: Ende Gelände

Eine Klage entsteht …

Seit 2017 herrscht praktisch öffentliche Unklarheit über den Verbleib von rund 1,7 Milliarden Euro bei der EPH, auch die Oppositionsparteien Linke und Grüne erhielten keine Informationen über die genauen Umstände des Verkaufes der Kohlesparte von Vattenfall an die tschechische Investment-Holding. Es steht demnach die Gefahr im Raum, dass sich die EPH-Holding mit ihrem hiesigen Tochterunternehmen LEAG mittels Insolvenz beim endgültigen Ende der Braunkohle (2038) aus der Verantwortung stehlen und die Renaturierung dem Steuerzahler überlassen könnte.

Im Fall Greenpeace gegen den Freistaat geht es um nicht weniger als einen etwaigen Gewinn für das Unternehmen EPH in Höhe von runden 1,7 Milliarden Euro. Und die Zeit drängt, wenn die Öffentlichkeit erfahren will, was da an Rücklagen vorhanden ist. Denn zeitgleich wird Stück um Stück klar, dass die Braunkohle eventuell schon vor 2038 (geschweige 2042, wie in Sachsen „gedealt“ wird) aus rein ökonomischen Gründen kein lukratives Geschäft mehr ist. Die Kunden jedenfalls laufen davon, Leipzig prüft, 2023 aus der Fernwärmeversorgung des Kohlemeilers Lippendorf auszusteigen und anschließend die „Grundlast“ mittels emmissionsärmerer und schneller zuschaltbarer Gasturbinen für Leipzig zu organisieren.

Die Chemnitzer Stadtwerke kaufen gar keinen Kohlestrom mehr ein, Cottbus ist auch schon ausgestiegen und weitere Kommunen werden folgen. Teils aufgrund der eigenen Klimaziele, teils aus rein ökonomischen Erwägungen. Durch die Gasturbinen können die meist kommunalen Stadtwerke neben Beteiligungen an Wind- und Solaranlagen wie auch an Wasserspeichern selbst zu dezentralen Erzeugern von Energie werden.

Die Resilienz erhöht sich, das Ausfallrisiko sinkt durch viele kleine Anlagen im Stadtgebiet – auch gegenüber anderen zentral gesteuerten Großverbrennungsanlagen.

Gleichzeitig stand der Kohlesparte weiteres Ungemach ins Haus. Auch im Dezember 2018 entschied der EU-Gerichtshof, die Klage von MIBRAG, LEAG und dem Land Sachsen zurückzuweisen, welche sich gegen neue Grenzwertkorridore bei der Schadstoffbelastung mit Quecksilber und Stickstoffdioxid richtete. Nun ist der Bund gefordert, neue nationale Richtlinien für die Großverbrennungsanlagen, also die Kohlemeiler der Unternehmen, zu erlassen. Im Falle vieler Meiler der Weg in die Abschaltung oder teure Nachrüstungen.

Die Klage von Greenpeace könnte demnach mindestens für die Lausitz ans Licht bringen, wie es wirklich mit der Kohle weitergehen könnte. Doch nun hat die Politik Sachsens offenbar dem eigenen Rechnungshof eine Möglichkeit in die Hand gegeben, über die Umweltfolgen und deren Begleichung keine Auskunft mehr geben zu müssen. Scheinbar. Denn offenbar hat man in Sachsen nicht nur im September 2018 das neue Transparenzgesetz der Grünen abgelehnt, sondern in diesem Fall, wie schon beim Versuch auf „Wolfsjagd“ zu gehen, mal wieder bindendes EU-Recht übersehen.

Ein Interview mit Greenpeace Deutschland

So jedenfalls sieht es nun, unter der veränderten Lage, der Kläger Greenpeace, welcher eben jene Frage derzeit prüft. Im Interview dazu fand für die LZ Dr. Manfred Redelfs, Greenpeace e. V. (Recherche-Abteilung) Zeit.

Herr Redelfs, gegen wen genau prozessiert Greenpeace Deutschland in Sachsen?

Wir haben die Klage gegen den Sächsischen Rechnungshof als Beklagte erhoben. Allerdings ist nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO die Klage gegen das Land (hier Sachsen) zu richten, deren Behörde (Rechnungshof) den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat. Deshalb lautet das Rubrum: Freistaat Sachsen, vertreten durch den Sächsischen Rechnungshof, vertreten durch den Präsidenten.

In einigen Bundesländern gibt es Spezialregelungen, dann wird die Klage gegen die Behörde selbst geführt (§ 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO). In Sachsen gibt es eine solche Regelung nicht. Formaler Klagegegner ist somit der Freistaat Sachsen.

Was ist das Ziel, was erhoffen Sie sich von der Herausgabe des Sonderberichtes des Rechnungshofes?

Wir erhoffen uns von der Herausgabe des Sonderberichts mehr Klarheit, ob bei dem Verkauf der Braunkohlesparte von Vattenfall an den Energiekonzern LEAG ausreichend darauf geachtet worden ist, dass die neuen Eigner in der Lage sind, die Ewigkeitskosten des Braunkohleabbaus zu tragen, also vor allem für die Rekultivierung aufzukommen. Ist dies nicht der Fall, besteht die Gefahr, dass diese Folgekosten auf die öffentliche Hand abgewälzt werden und somit letztlich vom Steuerzahler getragen werden müssen.

Wie lange läuft das Verfahren bereits, bzw. wann wurde die Klage eingereicht?

Wir haben unseren Antrag am 27. Juni 2017 gestellt. Am 12. Oktober 2017 wurde dieser Antrag abgelehnt, wogegen wir dann am 10. November 2017 Widerspruch eingelegt haben. Nachdem auch der Widerspruch zurückgewiesen wurde, haben wir am 24. September 2018 Klage erhoben, also mehr als ein Jahr nach dem Antrag. Die Landesregierung hat dann den Leipziger Verwaltungsrechtler Prof. Dr. Degenhart mit der juristischen Vertretung beauftragt. Er hat zunächst einen sehr detaillierten, 43-seitigen Schriftsatz verfasst, warum wir keinen Zugang zu dem Sondergutachten erhalten sollten.

Im Januar erreichte unsere Anwälte dann über das Gericht ein weiteres Schreiben von Degenhart. Darin wies der das Gericht darauf hin, dass durch die Änderung des Umweltinformationsgesetzes am 13. Dezember 2018 der Landesrechnungshof nicht mehr zu den auskunftsverpflichteten Stellen gehöre, mit Rechtswirkung ab dem 1. Januar 2019.

Wie sehen Sie die Auswirkung auf Ihr Verfahren aufgrund dieser am 13. Dezember 2018 im sächsischen Landtag beschlossenen Gesetzesänderung im Umweltinformationsgesetz Sachsens?

Das Ziel des Rechnungshofes und der Landesregierung liegt für uns offen zutage: Mit der Änderung soll uns die juristische Möglichkeit genommen werden, an das Gutachten zu gelangen, und sei es auch nur in Teilen, nachdem Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse ausgesondert wurden.

Nach der neuen Rechtslage fällt der Landesrechnungshof nicht mehr unter die Transparenzverpflichtung. Aber das muss nicht das Ende des Prozesses sein: Wir werden nun mit unseren Anwälten die weiteren juristischen Schritte prüfen. Das bedeutet vor allem, dass geklärt werden muss, ob diese im Haushaltsbegleitgesetz versteckte Änderung des Umweltinformationsgesetzes Sachsen überhaupt europarechtskonform ist.

Das Umweltinformationsgesetz geht nämlich auf die EU-Umweltinformationsrichtlinie zurück, und die einzelnen Länder können keine Bestimmungen erlassen, die deutlich restriktiver ausfallen als die Vorgabe der Richtlinie. Es wird somit noch zu klären sein, ob Sachsen mit der Änderung gegen EU-Recht verstößt.

Ist es richtig, dass im Rahmen der Verhandlung durch die Gegenseite bereits auf die neue gesetzliche Regelung als weiterer Grund für eine Ablehnung Ihrer Klage hingewiesen wurde?

Herr Prof. Dr. Degenhart als Rechtsvertreter der Landesregierung hat sich mit einem Schreiben am 9. Januar 2019 an das Gericht gewandt, auf die Gesetzesänderung aus der Woche vor Weihnachten hingewiesen und den neuen Gesetzestext übermittelt. Dies diente selbstverständlich der Untermauerung seiner zuvor vorgetragenen Ablehnungsgründe für unseren Antrag. De facto soll das wohl der definitive K.O.-Schlag sein. Aber noch geben wir uns nicht geschlagen!

Falls Sie die Klage verlieren, wie sähen die weiteren Schritte Ihrerseits gegebenenfalls aus, um Informationen über die Sicherungsleistungen seitens der Kohleunternehmen bezogen auf Tagebaufolgeschäden in Sachsen zu erlangen?

Wir schöpfen zunächst selbstverständlich den Rechtsweg aus. Aber wer weiß, manchmal erreichen uns auch Dinge anonym oder über Informanten, weil auch andere Bürger der Auffassung sind, dass diese Form der Geheimhaltungspolitik falsch ist. Extra ein Gesetz zu ändern, um einen gerade vorliegenden kritischen Antrag auszubremsen, das empört viele Menschen.

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