Muss sich der Profifußball an den Kosten für Polizeieinsätze beteiligen? Ja, sagte 2014 die Bremer Bürgerschaft und verabschiedete ein höchst umstrittenes Gesetz. Danach können die Veranstalter sogenannter Hochrisikospiele anteilig zur Kasse gebeten werden. Seit Dienstag steht die Bremer Regelung vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig auf dem Prüfstand.
Nach fast sechs Stunden Verhandlung, lediglich unterbrochen von einer 15-minütigen Lüftungspause, waren den Beteiligten die Strapazen der Marathonsitzung anzusehen. „Es geht darum, dass Lastengerechtigkeit hergestellt wird“, fasste der Prozessbevollmächtige der Stadt Bremen, Joachim Wieland, beinahe schon resigniert zusammen. In den Stunden zuvor hatte der 9. Senat immer wieder Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bremer Alleingangs durchblicken lassen.
Nach § 4 Abs. 4 des Bremischen Gebühren- und Beitragsgesetzes wird eine Verwaltungsgebühr von Veranstaltern erhoben, die eine gewinnorientierte Veranstaltung durchführen, an der voraussichtlich mehr als 5.000 Personen zeitgleich teilnehmen werden, wenn wegen erfahrungsgemäß zu erwartender Gewalthandlungen vor, während oder nach der Veranstaltung am Veranstaltungsort, an den Zugangs- oder Abgangswegen oder sonst im räumlichen Umfeld der Einsatz von zusätzlichen Polizeikräften vorhersehbar erforderlich wird.
Die Gebühr ist nach dem Mehraufwand zu berechnen, der aufgrund der zusätzlichen Bereitstellung von Polizeikräften entsteht. Abgesehen von den Heimspielen des SV Werder finden in dem Stadtstaat zurzeit keine wiederkehrenden Events statt, auf die der Tatbestand der umstrittenen Norm zutreffen könnte.
Trotz der abstrakten Formulierung richtet sich das Gesetz für Jedermann erkennbar gegen König Fußball. Besser gesagt, gegen des Fußballs unangenehmen Begleiterscheinungen. Für nicht wenige „Fans“ gehört ein bisschen Hass und Gewalt zum Stadionbesuch dazu wie Bratwurst und Bier. Die Konsequenz sind umfangreiche Polizeieinsätze außerhalb der Stadien, die der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dienen. Dabei handelt es sich allerdings, wie die DFL im Zuge der Debatte nicht müde wurde zu betonen, um eine Aufgabe des Staates, die im allgemeinen Interesse liege. Folglich müsse der Steuerzahler die Kosten tragen.
Das konkrete Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht
Es kreist um einen Gebührenbescheid über rund 425.000 Euro. Dieser Mehraufwand sei im Zusammenhang mit der polizeilichen Absicherung des Bundesligaspiels zwischen dem SV Werder und dem Hamburger SV am 19. April 2015 angefallen. Dass der Einsatz von um die 1.000 Polizisten an jenem Tag notwendig war, bestreitet niemand. Die Fanlager gelten als verfeindet. Die DFL zieht seither durch die Instanzen, um ein Grundsatzurteil zu erstreiten.
DFL-Chefjustiziar Jürgen Paepke betonte am Dienstag, die DFL streite nicht nur für sich selbst und ihre 36 Mitgliedsclubs aus den Bundesligen, sondern auch für die vielen Vereine aus der 3. Liga und den Regionalligen. Sollte das Bremer Modell Schule machen, sei die Existenz vieler unterklassiger Clubs in Gefahr. Dass weitere Länder ähnliche Regelungen verabschieden, sollte die Klage der DFL abgewiesen werden, gilt als sicher. In erster Instanz hatte das Bremer Verwaltungsgericht der DFL Recht gegeben. Das Oberverwaltungsgericht hob die Entscheidung überraschend auf und verurteilte den Sportverband zur Zahlung. Die DFL hat längst angekündigt, notfalls bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen zu wollen.
Bremer Regelung könnte in Leipzig kippen
Der Gang nach Karlsruhe bleibt dem Ligaverband aller Voraussicht nach aber erspart. Denn der Senatsvorsitzende Wolfgang Bier ließ am Dienstag mehrfach durchblicken, dass der Senat geneigt sei, die Bremer Regelung zu kippen. Problematisch erscheint, dass die erbrachten Leistungen nicht von der allgemeinen Gefahrenabwehr abtrennbar sind. „Es mögen Zusatzkosten sein, aber es ist keine Zusatzleistung“, fasste DFL-Anwalt Wolfgang Ewer zusammen. „Könnte die Leistung in der Bereitstellung zusätzlicher Polizeikräfte liegen?“, hakte Bier nach. Die Leistung sei nicht individuell zurechenbar, erwiderte Ewer.
„Das setzt mehr voraus, als dass das Fußballspiel conditio sine qua non ist.“ Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) konterte wenig überzeugend: „Wir haben ein Regel-Ausnahme-Verhältnis.“ Der Politiker verwies auf die geringe Anzahl der Risikospiele. Seit Inkrafttreten der Regelung seien von 60 Partien gerade einmal sieben als sogenannte „Rot-Spiele“ eingestuft und Gebührenbescheide erlassen worden.
Sollte eine abgrenzbare Leistung vorliegen, stellt sich die Frage, inwieweit diese dem Veranstalter zurechenbar sei. „Der Veranstalter ist nicht Zweckveranlasser“, erklärte Klägervertreter Bernd Hoefer. „Was soll der Veranstalter machen im Stadtgebiet, außerhalb seines eigenen Herrschaftsgebiets? Er kann ja keine Bürgerwehr aufstellen. Das ist Aufgabe der Polizei.“ Der Veranstalter zöge aus dem Einsatz außerdem keine subjektiven Vorteile. Das Einsatzhandeln der Beamten stelle die Sicherheit für Jedermann im öffentlichen Raum her. „Wenn wir keine 1.000 Beamte hätten, bliebe mir keine Alternative als das Spiel zu untersagen“, polemisierte Märer, woraufhin die DFL-Vertreter zu Recht einwandten, dem Innensenator stünden im Zweifel mildere Mittel wie Aufenthaltsverbote zur Verfügung, um Gewalttäter aus dem Stadtgebiet fern zu halten. „Wir stellen allein auf die wirtschaftliche Nutzung ab“, stellte der Politiker klar. Wer den Vorteil habe, solle die Kosten tragen, ergänzte Wieland.
Gestritten wurde auch über die Bestimmtheit der Norm. Ewer warf der Verwaltung vor, der ergangene Bescheid sei intransparent. Eine nachträgliche gerichtliche Kontrolle sei deshalb unmöglich.
Auf der verfassungsrechtlichen Ebene störte sich der Senat weniger an einem Eingriff in das Recht auf freie Berufswahl. „Wenn die Norm bestimmt genug ist und eine abtrennbare Leistung vorliegt, spricht vieles dafür, dass sie vor Artikel 12 standhält“, meinte Bier. Allerdings sei ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz denkbar. Immerhin könne an der Leistung der Polizei auch ein Allgemeininteresse bestehen. „Müsste man von der Leistung nicht einen Anteil abziehen, den der Steuerzahler tragen müsste, weil an der Leistung auch ein Allgemeininteresse besteht?“, fragte der Senatsvorsitzende.
Womöglich ein Wink mit dem Zaunpfahl an die Adresse Mäurers, der seine Felle zusehends davonschwimmen sah. Was sei mit Maßnahmen, die auch der Strafverfolgung dienen würden? Oder Kostenpositionen, die auch gegenüber den Betroffenen abgerechnet werden könnten, zum Beispiel nach Ingewahrsamnahmen? Das Bremer Lager wirkte plötzlich überrumpelt. Joachim Wieland, mithin einer der renommiertesten Staatsrechtler der Republik, sah sich gezwungen einzuräumen, erst durch ein Schreiben von Berichterstatterin Ulrike Bick am vergangenen Freitag Kenntnis von dieser Perspektive erlangt zu haben.
Um ein Grundsatzurteil nicht zu gefährden, erklärt der Jurist, die Stadt wolle den Bescheid im Umfang von gut 13.000 Euro zurücknehmen.
Umstritten war außerdem, ob die DFL überhaupt als Veranstalterin des Nordderbys angesehen werden könnte. Zwar erhält der Verband rund drei Prozent der jährlichen Vermarktungserlöse. Der Spielbetrieb liegt jedoch in den Händen der Clubs. „Als Veranstalter kann nur Werder Bremen angesehen werden“, sagte Ewer. Der Gesetzgeber hatte auch die DFL vor Augen, erwiderte Wieland. Wenn, dann sei der Verband nur Mitveranstalter, merkte Bier an. Auch die Parteien waren sich insofern einig, dass DFL und Werder Bremen gesamtschuldnerisch haften müssten, sollte der Bescheid Bestand haben.
Der Senat möchte seine Entscheidung am Freitag, 29. März 2019, um 11 Uhr verkünden.
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