Noch herrscht Schweigen an der Abraumkante beim Thema Quecksilber und Stickoxid. Doch das kรถnnte am 25. Februar 2019 enden. Denn dann lรคuft die Widerspruchsfrist fรผr eine verlorene Klage aus, die die Kohlebranche, hier die Branchenverbรคnde Eurocoal und Debriv sowie die Kohleverstromer LEAG, MIBRAG und Eins Energie, 2017 angestrengt hatte. Geklagt hatte sie gegen strengere Grenzwerte der EU fรผr Quecksilber- und Stickoxidemissionen fรผr Groรfeueranlagen. Seit Dezember 2018 ist den Klรคgern bekannt, dass sie vorerst verloren haben, seither schweigen sie. Auch Sachsen war mal wieder mit von der Partie: die Landesregierung unter Michael Kretschmer (CDU) hatte sich im Februar 2018 entschlossen, der Klage beizutreten.
Am Montag, 19. Februar 2018, nur einen Monat nach seiner Wahl zum Ministerprรคsidenten Sachsens, hatte Michael Kretschmer (CDU) als eine der ersten Amtshandlungen verkรผndet, Sachsen trete der Klage der Kohle-Dachverbรคnde und deutscher Kraftwerksbetreiber bei. Ein wenig wirkte es da, als ob noch immer der zurรผckgetretene Vorgรคnger Stanislaw Tillich (CDU) im Amt wรคre, aber der saร ja spรคter in der Kohlekommission. Die Verzรถgerungstaktik beim anstehenden Strukturumbau im Leipziger Umland und in der Lausitz diente und dient auch unter Kretschmer weiterhin allein der trรผgerischen Beruhigung der Arbeitnehmer (und Wรคhler) in den Bergbauregionen Sachsens.
Arbeitsplรคtze โ ein Argument, welches sich bei nรคherer Betrachtung als Mรคrchen entpuppen dรผrfte.
Offenbar wรคhnte sich der Freistaat da noch in guter Gesellschaft, unter den Klรคgern gegen die EU-Schadstoffwertvorgaben waren so bekannte Namen wie die Lausitz Energie Kraftwerke AG (LEAG), die Mitteldeutsche Braunkohlen AG (MIBRAG) und eins (Energie in Sachsen) mit Sitz in Chemnitz.
Im โBWK Fachmagazinโ des VDI hatte der ebenfalls mitklagenden Kohle-Verband โDebrivโ im Rahmen eines โSonderdruckesโ noch eifrig lobbyiert, die neuen Grenzwerte fรผr Quecksilber- und Stickoxidausstรถรe (NOx) fรผr ihre Kohlemeiler seien technisch nicht umsetzbar, weshalb man gegen das โLarge Combustion Plants โ Best Available Techniques Reference Documentโ (LCP Bref) klage. Tonnenschwere Grรผnde gab es dazu genug, wie auch Dr. Jana Pinka, Sprecherin der Linksfraktion fรผr Umweltschutz und Ressourcenwirtschaft im Landtag Sachsen ausfรผhrte.
โDie Braunkohlekraftwerke Boxberg, Lippendorf, Schwarze Pumpe und Jรคnschwalde emittierten 2015 insgesamt 46 Millionen Tonnen Stickoxide, 1,6 Tonnen Blei und 1,7 Tonnen Quecksilberโ, so laut Pinka die Werte zu den Schadstoffen, welche man vor allem beim Stickoxid NOx zuletzt im Zusammenhang mit Fahrverboten in deutschen Stรคdten immer wieder benannte. Hinzu kommen noch mal 92 Millionen Tonnen CO2 (2016) jรคhrlich.
Alles Emissionen, die natรผrlich auch Bemรผhungen um Luftreinheit in sรคchsischen Stรคdten und die Klimaziele in Deutschland konterkarieren.
Zur Urteilsbegrรผndung ist nun laut dem Branchenmagazin โbizz energieโ seit dem 13. Februar 2019 bekannt, dass die Klage vor allem zurรผckgewiesen wurde, weil die EU Bandbreiten, also Ober- und Untergrenzen fรผr die Schadstoffe Quecksilber und NOx vorgegeben habe. Die konkrete Umsetzung in Ziele und Werte seien nationale Aufgabe. Ob gegen dieses Urteil oder die neuen deutschen Grenzwerte dann weitere Klagen folgen werden, ist noch vรถllig unklar. Der Branchenverband Debriv jedenfalls hรคlt laut seinem โBWK Fachmagazinโ auch die Obergrenzen fรผr nicht erreichbar.
Auf Bundesebene kรถnnte es nun zu hastigen Bewegungen kommen, weil die Bundesregierung โ offenbar selbst auf das EU-Urteil wartend โ bislang keine solche Vorgaben erlassen hat. Dies wird sie nun spรคtestens 2019 nachholen mรผssen, will sie im Rahmen der strengeren Bandbreiten-Vorgaben der EU aus dem Jahr 2017 bis 2021 neue Werte beschlieรen und umsetzen. Dass all diese Vorgรคnge dabei bereits wรคhrend der Tagungen der Kohleausstiegskommission bekannt sein mussten, kรถnnte zumindest noch einmal zu einem neuen politischen Schlagabtausch fรผhren.
Sonderfall Sachsen
Besonders in Sachsen stehen damit die Zeichen fรผr die Kohleunternehmen und die Politik wohl endgรผltig auf Sturm, denn nun kommt auf die bereits selbst geschaffenen Probleme ein weiteres obenauf. Nicht nur die noch unbekannten Kosten fรผr den Freistaat wegen der Klagefรผhrung, vor allem die vor dem Ende der Kohlekommission getroffenen Vorsorgevereinbarungen mit den Bergbaubetreibern fallen Sachsens Regierung jetzt noch mรคchtiger auf die Fรผรe. Denn die Staatsregierung Sachsens hat lauter Vertrรคge geschlossen, die den Freistaat sogar in die Verpflichtung setzen, den Bergbaubetreibern einen Betrieb bis 2042 zu gewรคhrleisten.
Man hat sich damit ohne Not in eine Bredouille gebracht, weil man so dem Ausstieg der Kohlekommission im bereits eh schon spรคten Jahr 2038 mit eigenen Vertrรคgen zuvorkam. Am Samstag, 26. Januar 2019, teilte der Vorstandsvorsitzende der Lausitz Energie Bergbau AG und Lausitz Energie Kraftwerke AG (LEAG), Dr. Helmar Rendez mit: โSollte auch nach der Prรผfung des Berichtes durch die Bundesregierung das Ausstiegsdatum Ende 2038 sowie die Stilllegung weiterer Kapazitรคten in den nรคchsten Jahren bestรคtigt werden, dann wรผrde dies unser Revierkonzept, das nach unseren Planungen bis รผber 2040 hinausreicht, ernsthaft infrage stellen. Der von uns eingeforderte Planungshorizont fรผr den Betrieb der Tagebaue und Kraftwerke im Lausitzer Revier ist damit nicht gegeben.โ
Oder deutlich formuliert: Wollt ihr frรผher als 2042 raus, wirds teuer fรผr Sachsens Steuerzahler.
Bereits seit 2016 ist klar, dass gerade die Kraftwerke in Sachsen eher zu den รคlteren gehรถren, die im Falle einer nun anstehenden Nachrรผstung bei neuen Grenzwerten gรคnzlich unrentabel in ihrer Restlaufzeit wรผrden. Oder in den Worten Dr. Pinkas: Viele Kraftwerksblรถcke sind bereits abgeschrieben, kรถnnen also stillgelegt werden, stellte die Abgeordnete bereits Anfang 2018 fest.
Hinzu kommt, dass bis heute unklar ist, was aus den 1,7 Milliarden Rรผcklagen wurde, welche mit dem โAbkaufโ der Kohlesparte von Vattenfall an den tschechischen Konzern EPH (LEAG) gingen. Gelder, mit denen Vattenfall Vorsorge fรผr die Renaturierungen der Tagebaue getroffen hatte. Ob das Geld รผberhaupt noch verfรผgbar ist, weiร niemand, doch die โsรคchsische Lรถsungโ bis 2042 deutet an, dass LEAG und MIBRAG mehr Zeit brauchen, um noch irgendwie Renditen einzufahren.
Sachsen hat mit den beiden Vorsorgevereinbarungen mit den beiden Kohleunternehmen im Grunde also nicht nur eine Tagebaulaufzeit bis 2042 zugesagt, sondern den beiden damit auch zugesichert, dass sie die Gelder fรผr die Renaturierungsarbeiten erst 2042 beisammenhaben mรผssen. Vier Jahre Unterschied demnach, auf die sich die Unternehmen jetzt bereits berufen.
Und irgendwer wird die Zeche zahlen. Infrage kommt dann nur noch der Steuerzahler, wie schon nach 1989, als mit rund 11 Milliarden Euro DDR-Schรคden beseitigt werden mussten. Von den Renaturierungskosten fรผr die heutigen Braunkohletagebaue kรถnnten sich die Bergbauunternehmen nach Ende der Gewinne durch Insolvenzen ganz oder teilweise befreien.
Dabei ist die Renaturierung eine Aufgabe, die im 40 Milliarden schweren โKohlekompromissโ noch nicht eingepreist sein dรผrfte: da geht es vor allem um Strukturmaรnahmen fรผr die Zukunft der Arbeitsplรคtze nach der deutschen Braunkohlezeit. Die Wandlung der Tagebaue in neue Landschaften oder Seen ist mindestens Teil-Aufgabe der Kohleunternehmen.
Parallel laufen die Kunden weg
Dass so die Kohleunternehmen nun durch das Urteil und die neuen Ausstiegszeiten der Kohlekommission immer mehr unter finanziellen Druck geraten (und bei ehrlicher Angabe der Preise wohl lรคngst zu den teuersten Stromerzeugern gehรถren) wird von einem weiteren Trend verstรคrkt.
Leipzig รผberlegt bis 2023 aus der Fernwรคmeversorgung aus dem Kraftwerk Lippendorf auszusteigen und setzt bei der Grundlastfrage stattdessen auf schnell zuschaltbare Gasturbinen unter der รgide der eigenen Stadtwerke. Umweltfreundlicher ist dies gegenรผber durchlaufender Kohlekraftwerke aufgrund der schnellen Anfahrzeit und den geringeren Schadstoffwerten von Erdgas. Weiterhin zeigt es den Trend in der deutschen Energiewirtschaft weg von zentralen Groรanlagen hin zu dezentralen Einheiten โ in der Ausfallsicherheit oder Widerstandsfรคhigkeit bei Notlagen (Resilienz), letztlich eine Verbesserung.
Auch in Chemnitz haben die รถrtlichen Stadtwerke entschieden, keinen Kohlestrom mehr einzukaufen, weitere Kommunalversorger kรถnnten sich anschlieรen, stehen doch NOx-Ausstoร und Quecksilberbelastungen durch die Kohlekraftwerke den kommunalen Luftreinhalteplรคnen eher im Wege. Helfen dรผrfte der anzunehmende Schadstoffeintrag in die Atmosphรคre und in die Stรคdte jedenfalls eher nicht, wenn man die CO2- und NOx-Vorgaben einhalten und nicht allein den Autofahrern zuschreiben will.
Am 25. Februar 2019 lรคuft die Widerspruchsfrist zum aktuellen Urteil also aus. Zehn Tage Zeit, in denen Eurocoal und Debriv sowie die Kohleverstromer LEAG, MIBRAG und Eins Energie erklรคren mรผssen, wie es nun weitergeht. Oder sie warten nun die deutsche Gesetzgebung ab, wรคhrend sich die Bundesregierung daranmachen dรผrfte, einen EU-Beschluss umzusetzen.
Die sรคchsische Idee der sicheren Arbeitsplรคtze in der Braunkohle durch Verzรถgerungstaktiken beim Strukturumbau jedenfalls brรถckelt immer weiter.
Hinweis der Redaktion: Ein Leser wies uns zu Recht darauf hin, dass das โBWK Fachmagazinโ (laut Eigenbeschreibung โdas Energie-Fachmagazin fรผr die Entscheider in Energiewirtschaft und Energietechnikโ) vom Verband der deutschen Ingenieure (VDI) und nicht vom Kohleverband โDebrivโ herausgegeben wird. Dies hatten wir anfangs fรคlschlicherweise geschrieben.
Bei nochmaliger Inaugenscheinnahme des โSonderdruckesโ des โBWK Fachmagazinโ fiel uns auf, warum es zur Verwechslung kam. Der 12-seitige Text aus 5/2018 rings um die Braunkohle ist neben dem Signet des โBWK Fachmagazinโ mit dem Logo โDebrivโ gekennzeichnet und von Autoren des โDebrivโ geschrieben. Die Bilder zur Illustration stammen nicht von der VDI-Rdaktion sondern teilweise von der LEAG und MIBRAG.
Der โSpringer-VDI-Verlag GmbH & Co. KGโ mit Sitz in Dรผsseldorf zeichnet fรผr die Herausgabe verantwortlich. Das Wort โWerbungโ oder โAnzeigeโ ist dennoch nirgends im vorliegenden PDF zu finden.
Hinweis 2: Auch am Freitag, 15. Februar 2019, demonstrierten erneut Leipziger Schรผler und Studiende gegen die Braunkohle. Erneut ging es dabei um den spรคten Kohleausstieg und die besondere Rolle Sachsens dabei.
Stimmt das Mรคrchen von den Arbeitsplรคtzen und sinkt dann gar das Einkommensniveau in der Region?
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Die Vorsorgevereinbarungen mit den Bergbaubetreibern fallen Sachsens Regierung jetzt auf die Fรผรe
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