Andris Nelsons hat diese Woche seinen Wagner-Bruckner-Zyklus mit zwei Spätwerken fortgesetzt. Der Gewandhauskapellmeister dirigierte am Donnerstag, Freitag und Samstag orchestrale Auszüge aus „Parsifal“ und Bruckners unvollendete 9. Sinfonie.

Dramaturgische Aufhänger für Doppelzyklen gibt es viele. Richard Wagner und Anton Bruckner sind zwei Komponisten, deren Lebenswege sich mehr als einmal gekreuzt haben. Während seiner Kompositionsstudien beim Linzer Theaterkapellmeister Otto Kitzler kam Bruckner Anfang der 1860er Jahre erstmals mit dem Visionär Wagner in Berührung.

Im Juni 1865 begegneten sich die beiden Komponisten anlässlich einer Tristan-Aufführung in München. Drei Jahre später, am 4. April 1868, überließ Wagner Bruckner und der von ihm geleiteten Liedertafel die konzertante Uraufführung der Meistersinger-Schlussszene.

Dass Bruckner seinen großen Durchbruch mit der 7. Sinfonie just in Leipzig erlebte, wo 1813 Wagner das Licht der Welt erblickte, mag dem Zufall geschuldet sein, ist jedenfalls ein Grund mehr, Werke der beiden Komponisten im Konzert gegenüberzustellen. Der Zyklus ist Nelsons’ erstes CD-Projekt mit dem Gewandhausorchester. Bruckners 3, 4. und 7. Sinfonie liegen bei der Deutschen Grammophon mittlerweile vor. Von Wagner sind die Vorspiele aus Tannhäuser und Lohengrin und der Trauermarsch erschienen.

Mit dem „Parsifal“ und der Neunten stellte Nelsons diesmal zwei Werke gegenüber, denen gemein ist, dass sie die letzten (fast) vollendeten ihrer Schöpfer sind. Wagners Parsifal wurde 1881 bei den zweiten Bayreuther Festspielen uraufgeführt. Gut acht Monate vor dem Tod des Komponisten in Venedig.

Wagner führte Regie, Hermann Levi dirigierte. Anton Bruckner erlebte die Aufführung seiner Neunten nicht mehr. Drei Sätze arbeitete der Wiener noch vollständig aus, bevor er am 11. Oktober 1896 einem Herzleiden erlag. Von dem Schlusssatz des monumentalen Werks existieren bloß lose Skizzen und Fragmente.

So spannend der historische Hintergrund, so desinteressiert scheinen die Leipziger an dem Zyklus zu sein. Vielleicht lag es an der Nähe zum Weihnachtsfest, dass am Freitagabend zur Primetime auffällig viele Plätze leer blieben, als Nelsons die Bühne betrat. Der Maestro wartete andächtig, bis der letzte Ton im Saal verstummt war, um das Orchester mit schmalen, dezenten Gesten in Wagners Klang-Raum-Epos eintauchen zu lassen.

Sofort lag eine Spannung in der Luft, bei der sich kaum wer zu rühren getraute, so als ob das leiseste Nebengeräusch die dichte Atmosphäre zu zerstören drohte. Nelsons suchte den kraftvollen Gestus, fand ihn in den angenehm dunklen Streichern, die jenen sakralen Pathos, der der Oper innewohnt, in den Saal trugen. Als hellen Kontrast dienten Nelsons die weichen, leicht beflügelt spielenden Holzbläser, denen er extra viel Tempo zugestand, um einen Gegenpol zur Schwerfälligkeit der Streichermotive zu kreieren. Eingerahmt wurde das Vorspiel von den dicken Blechklängen der Trompeter und Posaunisten. Wagner hätte gewiss seine Freude gehabt.

Gerne hätte man als Zuhörer nach der ergreifenden Ouvertüre noch die restlichen dreieinhalb Stunden Musik gehört, die danach kommen. Nachdem Andris Nelsons 2015 in Bayreuth Hals über Kopf die Zelte abbrach, lässt ein kompletter „Parsifal“ des Letten weiter auf sich warten. Quasi als Zugabe gab es nach dem Vorspiel noch den Karfreitagszauber aus dem dritten Akt, der ohne Gesang ungewohnt klingt.

Anders und trotzdem gute Musik. Wie ein Soundtrack-Sample mit einigen motivischen Highlights und langatmigen Strecken, dessen tiefer Sinn sich erst im Zusammenspiel mit Worten und Bildern erschließt. Wagner schrieb das Werk nun einmal für die Bühne, nicht für den Konzertsaal.

Nach der Pause folgte Bruckner. Dessen 9. Sinfonie lässt in Besetzung und Klangfülle klare Anleihen an Wagners Spätwerk erkennen. Nelsons’ Bruckner ist ein Behäbiger, ein Getragener, bei dem Akribie vor Tempo geht. Anders als sein Amtsvorgänger Riccardo Chailly veranstaltet der 40-Jährige mit seinen Klangkörpern keine Wettrennen gegen die Uhr.

Form, Farbe und Gestus sind die inneren Werte, die in Nelsons Interpretationen zählen. Trotzdem trieb er in dieser Sinfonie insbesondere die Streicher zu sportlichen Höchstleistungen, reckte beide Arme in Siegerpose in die Luft, als die Musik ihren Siedepunkt erreichte, hüpfte, lenkte, navigierte das Orchester durch die drei Sätze. „Das gefällt mir gut“, flüsterte am Freitag eine Zuhörerin mittendrin.

Der Dirigent arbeitete Kontraste heraus, vollführte Steigerungsläufe und im 24-minütigen Schlussakt, der ein wenig nach „Tristan“ klingt, war sie wieder da, diese knisternde Spannung, die das Publikum in den Bann zu ziehen vermag. Ahnte Bruckner, als er die verführerischen Töne schrieb, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleiben würde? Als das Orchester verstummt war, brauchten die spürbar berührten Zuhörer einen kurzen Augenblick, um sich zu sammeln, bevor sie zum bebenden Applaus ansetzten.

 

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