Ein Wort macht mit Blick auf die kommenden Wahlen um die Kommunal- und EU-Parlamente (26. Mai 2019) und vor allem die Sachsenwahl am 1. September 2019 bei vielen Gesprächen mit Stadtpolitikern die Runde: volatil. Erststimmen, Direktmandate, Grundkonstellationen: nichts scheint mehr in gewohnten Bahnen, seit die CDU in Sachsen stark abgebaut hat in den Prognosen. Und so auch nach 1990 erstmals den Raum freigibt für andere starke Direktkandidaten aller Parteien. Gleichzeitig bleibt die Linke derzeit stabil, während sich die bislang eher schwachen Grünen im Bundesaufwärtstrend fühlen. Und die AfD vom ersten Endsieg gerade in Sachsen träumt.
Eine gewisse Konstanz in volatilen Zeiten oder Aufstiege in der Zweitstimmenfrage gibt es derzeit in Sachsen nur bei eben den drei Parteien, die zur Landtagswahl 2019 noch keine Kandidaten in Leipzig gewählt haben: Linke, Grüne und AfD. Die sächsische Linke segelt trotz Wagenknecht-Debatte seit Monaten auf Umfragewerten, die denen der letzten Landtagswahl 2014 ähneln (18,9 Prozent). Die Sachsen-AfD pendelt derzeit ebenfalls relativ konstant zwischen 24 bis 25 Prozent je nach Umfrageinstitut und beginnt mit der CDU um die Zweitstimmenmehrheit wie auch bei den Direktmandaten zu konkurrieren.
Entgegen dem in demokratisch ungeschulten Kreisen verbreiteten Märchen, dass mehr Prozente für die AfD gegenüber der CDU dann gleichzeitig die AfD-geführte Regierung bedeutet, spielt sich genau hier der Kampf des amtierenden Ministerpräsidenten Michael Kretzschmer ab, der eine Koalition mit den Blauen sehr persönlich kategorisch ausschließt. Fraglich bleibt derzeit, ob er dabei für die gesamte sächsische CDU spricht, die schon so manches ehemalige CDU-Mitglied bei der AfD wiederentdeckte. Und so manchen AfD-Ton in der eigenen Partei, zwecks Machterhalt.
Dass dies nicht viel hilft, weiß man zwar eigentlich seit der Bayernwahl, doch die Sachsen-CDU muss noch stärker als die gefühlte CSU-Schwester um die Macht bangen. Wo man in Bayern nun ein Zweierbündnis ohne AfD fand, sieht es derzeit eher nach Dreier- wenn nicht sogar Viererkoalitionen in Sachsen nach dem 1. September 2019 aus. Denn mit der Linken kann man nicht und mit der AfD will man (angeblich) nicht.
Die sächsischen Grünen hingegen haben vor wenigen Tagen im Windschatten auch der Bundesentwicklungen das Ziel „Zweistelligkeit“ für Sachsen ausgegeben, wie Wolfram Günther (Fraktionsvorsitzender im sächsischen Landtag) am 11. November am Rande des EU-Parteitages gegenüber L-IZ.de bestätigte. 2014 waren die sächsischen Grünen noch mit 5,7 Prozent und damit acht Sitzen knapp in den Landtag eingezogen, 2019 scheint mehr drin zu sein – auch aufgrund der sächsischen Verhältnisse der vergangenen Jahre.
Gegenüber L-IZ.de heißt es am Rande des grünen Europa-Parteitages von führenden Sachsen-Grünen, dass es bei eher liberaleren CDU-Wählern und sogar Mitgliedern längst zu ersten Kontaktaufnahmen und Gesprächen mit den Grünen kommt – vor allem auch in ländlichen Gegenden.
Dennoch haben die Grünen im Osten und auch in Sachsen ein Problem trotz gutem Bundestrend: im Vergleich zu den westdeutschen Verbänden sind sie trotz einiger Neueintritte zahlenmäßig klein an Mitgliedern, machen dafür aber mit einer 8-Mann und Frau-Fraktion schon jetzt entschlossene Oppositionsarbeit im Landtag.
Und sie könnten im kommenden Jahr in Regierungsverantwortung kommen: denn eine Koalition aus CDU, SPD und Grünen wäre durchaus eine Option, wenn es zahlenmäßig reicht am 1. September 2019.
Das Interesse an politischen Inhalten jedenfalls scheint bei den Wählern zu wachsen, ein Blick geht von vormaligen CDU-Wählern offenbar derzeit Richtung AfD, der nächste zu den Grünen, FDP, SPD oder gar Linken. In jedem Fall ist es vorbei mit der fast schon willenlosen Wiederwahl der CDU in Sachsen vergangener Jahre, der Freistaat kommt bereits jetzt regelrecht in Wallung.
Die Erststimmenmandate werden wandern – weg von der CDU
Spannend dürften neben den noch unzähligen folgenden Umfragen und Prognosen rings um die je nach Überhangmandaten 60 bis 64 Zweitstimmensitze bis dahin auch die 60 Direktmandate in Sachsen werden. Allgemein gilt wohl bereits jetzt: der sichere CDU-Fahrschein in den Landtag über diesen Weg ist vorbei, schon Erststimmenergebnisse von rund 25 Prozent könnten für die Kandidatinnen im kommenden Jahr genügen, um sicher im Landtag Sachsen Platz zu nehmen.
Je nach Wahlbeteiligung (2014 bei gerade mal 44,3 Prozent in Leipzig) geht es in der Messestadt dabei um mindestens 8.000 bis 10.000 Erststimmen pro Wahlkreis. Sieben Stück hat Leipzig davon, jeweils werden rund 60.000 Wähler pro WK am 1. September 2019 zur Wahl gerufen.
Und es gilt als ausgemacht, dass einige Direktmandate nicht mehr an die CDU gehen werden.
Denn derzeit schwanken die Umfrage-Einschätzungen für die Sachsen-CDU zwischen 25 und 28 Prozent, so wenig wie nie seit der ersten Wahl im Freistaat 1990 (53,8 Prozent). 2014 waren es noch 39,4 Prozent, wobei die CDU-Parteiliste fast keine Rolle spielte, da 59 von 60 Direktmandaten an die Christdemokraten gingen. Landesweit konnte nur Juliane Nagel (Linke) im Leipziger Süden (Wahlkreis 28) Robert Clemen (CDU) schlagen und direkt einziehen.
2019 werden vor allem in den Großstädten Sachsens mehr linke und bei verrückten Konstellationen sogar grüne und SPD-Direktmandate ebenso möglich, wie AfD-Kandidaten, die ihren Wahlkreis vor allem in Ostsachsen gegen CDU-Mitglieder gewinnen könnten. Selten war jedenfalls angesichts schwindender CDU-Dominanz die Chance in den sieben Leipziger Wahlkreisen günstiger, als starker Kandidat den direkten Sprung nach Dresden zu schaffen.
Der Wermutstropfen für alle Kandidaten: es ist wahrscheinlich die letzte Landtagswahl mit nur sieben Wahlkreisen in Leipzig. Aufgrund des Wachstums der Stadt hatte es Debatten gegeben, das Leipzig einen WK mehr erhält und so auch ein neuer Zuschnitt entsteht. Jedoch eher zur nächsten Wahl.
Auch FDP-Landeschef Holger Zastrow wies beim Landesparteitag am 3. November 2018 für seine Partei darauf hin, dass es möglich sei, über Direktmandate zu punkten. Geglaubt haben es unter den liberalen Delegierten an diesem Tage jedoch wenige bis keiner. Die Leipziger FDP-Kandidaten stehen jedenfalls fest, wobei man viele der Antretenden noch kennenlernen muss. Es ist kein amtierender Stadtrat darunter und Landtagsabgeordnete stellt die Partei derzeit nicht.
Kein gutes Zeichen für einen Erststimmenwahlkampf, hier wird es wohl eher um die Landesliste und den Kampf um den Wiedereinzug der FDP in den sächsischen Landtag gehen. Damals scheiterten die sächsischen Liberalen mit 3,8 Prozent und werden derzeit bei 6-7 Prozent prognostiziert. Sollte es vor diesem Hintergrund (WK 27-33) in Leipzig Michael Gehrhardt, Rudolf Georg Ascherl, Friedrich Vosberg, Judith Münch (24), Michael M. Pfüller, Kristin Franke oder Christof Kraus gelingen, für die FDP ein Direktmandat in Leipzig zu holen, dürfte man von einer handfesten Sensation sprechen.
Leipziger Konstellationen zur Landtagswahl 2019
Auf ihren speziellen Abwärtstrend in den Umfragen reagierten die Leipziger Christdemokraten am vergangenen Samstag, 10. November, mit personeller Konstanz und einem reinen Herrenclub an Kandidaten zur Landtagswahl. Mit Ronald Pohle, Andreas Nowak, Robert Clemen, Wolf-Dietrich Rost und Holger Gasse schickt sie fünf aktuelle Landtagsabgeordnete und mit Michael Weickert und Karsten Albrecht zwei Stadträte ins Rennen. Zwei kandidierende Frauen, darunter immerhin mit Petra Elias die derzeitige Vorsitzende des Stadtelternrates, wurden nicht gewählt, wobei Cornelia Blattner mit 17 Stimmen gegen Michael Weickert (18 Stimmen) für den Wahlkreis 30, unter anderem Plagwitz, Lindenau, Schleußig und Leutzsch unterlag.
Auch die SPD hat fast zeitgleich am Samstag ihre Leipziger Kandidatinnen nominiert und dabei den Wahlkreis 27 offenlassen müssen. Hier schaffte Yana Orthey die nötige Stimmenanzahl nicht, eine zweite Kandidatin hätte sich vorab melden müssen, weshalb es keine Entscheidung gab. Nun sucht die Leipziger SPD also im Südosten der Stadt eine Alternative und muss eine weitere Wahl durchführen. Bislang im Rennen sind hier (von WK 28 bis 33) Lars Menzel, Waltra Heinke, Irena Rudolph-Kokot, Dirk Panter, Holger Mann und Michael Schmidt. Derzeit sitzen nur Dirk Panter (Fraktionsvorsitzender) und Holger Mann für die SPD im Landtag.
Ohne die Kandidaten von den Grünen, Linken und der AfD bleibt das Bild zwar noch halbleer, doch erste persönliche Konstellationen in den sieben Wahlkreisen werden nun bereits sichtbar. Zumal seitens der Linken bereits durchgesickert ist, dass Stadträtin Franziska Riekewald im Wahlkreis 31 (Leipzig Zentrum bis Reudnitz-Thonberg) antreten will. Der Stadtvorsitzende und Stadtrat Adam Bednarsky wird versuchen, im Wahlkreis 29 (Grünau und Umgebung) ein Direktmandat in schwieriger Umgebung zu holen.
Ebenso steht zu erwarten, dass die Landtagsabgeordnete Juliane Nagel wieder in ihrem Wahlkreis 28 (u. a. Connewitz, Probstheida, Südvorstadt) an den Start gegen will. Und während sich im Wahlkreis 31, Leipzig Zentrum und Reudnitz, die Parteien eine Art Prominentenschlacht liefern werden, dürfte der Wahlkreis 30 rings um Leutzsch, Lindenau, Neulindenau, Plagwitz und Schleußig deutlich nach links gerückt sein.
Zwar werden alle nominierten Leipzigerinnen noch bei einer erneuten Kandidatur um gute Plätze auf der Landesliste durch die jeweiligen Landesparteitage gehen müssen – eine „Zeit der schreienden Frauen und der weinenden Männer“, wie eine Leipziger Sozialdemokratin diese anstehenden Nominierungsdebatten auf Landesebene gegenüber L-IZ.de am vergangenen Wochenende schmunzelnd umschrieb – doch die Erststimmenfrage und damit der direkte Einzug in den nächsten Landtag stellt sich schon jetzt.
Denn ein gewonnenes Direktmandat macht den Landeslistenplatz quasi egal für den persönlichen Einzug ins sächsische Parlament.
Wird halb Leipzig rot-rot-grün?
Während man in den nördlichen Wahlkreisen und den Außenbezirken Leipzigs bei allen zurückliegenden Wahlen traditionell noch deutlicher CDU wählte als im Rest der Stadt, wird es 2019 in allen Wahlkreisen auch dank der zu erwartenden Wachstumszahlen bei der AfD deutlich enger. In allen Leipziger Wahlkreisen lag bis auf Juliane Nagels Sieg immer die Linke auf Platz 2 bei den Erst- und Zweitstimmen. Wie die Abwahl eines CDU-Abgeordneten in Leipzig funktioniert, hat die Direktwahl Sören Pellmanns (Linke) in den Bundestag in einem der da nur zwei Wahlkreise Leipzigs 2017 gezeigt. Sie hat eine Entwicklung angedeutet, die 2019 eine große Rolle spielen könnte.
Durch Zuzug auch aus den westlichen Bundesländern und eine noch positive Bevölkerungsentwicklung hat sich Leipzig in den vergangenen Jahren stark verändert. Die Stadt ist jünger und multikultureller geworden und mittlerweile von der zwar noch zu niedrigen, aber dennoch höchsten Geburtenrate Sachsens (1,45 Kinder) geprägt.
Seit der Wahl 2014 sind pro Jahr etwa 40.000 neue Menschen nach Leipzig gekommen, während 30.000 abwanderten, neue Arbeitsplätze hielten zunehmend Studenten nach ihrem Abschluss in der Stadt – ein Bevölkerungstrend, der erst Anfang 2018 offenbar durch einen zunehmend enger werdenden Wohnungsmarkt verlangsamt wurde.
Andererseits: Auf Demobilisierung wird im kommenden Jahr wohl keine Partei mehr setzen können, die Wahlbeteiligung dürfte 2019 in jedem Fall steigen, die absoluten Wählerzahlen in einer gewachsenen Stadt ebenfalls. 2014 wählten von damals 432.324 Wahlberechtigten gerade einmal 191.422 Leipziger (44,3 Prozent) und blieben damit unter dem sächsischen Landesschnitt von 49,1 Prozent.
Die offene Frage ist, wie stark die AfD auch in Leipzig zu einer Verschiebung der CDU-Stimmen beitragen könnte. Bereits zur Bundestagswahl erreichte die AfD in Leipzig stadtweit bei den Erststimmen 17,6 Prozent, während die Stimmen für die CDU-Kandidaten gesamt auf gerade noch 26 Prozent von vormals über 30 Prozent zurückgingen. Gleichzeitig konnte die Linke mit 22,5 Prozent Erststimmen ihren zweiten Platz vor der AfD verteidigen.
Zwei Drittel der Leipziger wählten 2017 also mit ihrer Erststimme Kandidaten von CDU, Linke und AfD, gefolgt von SPD (15), Grünen (7,8) und FDP (5,7).
Schauen wir also in den folgenden Teilen einmal in die Leipziger Wahlkreise zur Landtagswahl 2019 und was so alles geschehen könnte. Dabei erkennt man allmählich, wo die Parteien ihre Kandidaten gesetzt haben oder noch setzen könnten. Und auch, welche Direktmandate von der CDU in Leipzig verloren gehen dürften und an wen sie wahrscheinlich gehen werden. Eines kann man schon ahnen: Frauen werden dabei eine große Rolle spielen.
Kandidatenzeit (2): Die Wahlkreise 27, 32 und 33 – Gibt es einen AfD-Sieg?
Die Leipziger Wahlkreise zur Sachsenwahl am 1. September 2019
Wahlkreis 32 (Eutritzsch, Gohlis-Mitte, Gohlis-Nord, Gohlis-Süd, Lindenthal, Möckern und Wahren)
FDP-Landesparteitag: Die Liberalen vor der Landtagswahl
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