Was bleibt nach einer 14-tägigen Reise ins „Heilige und gelobte Land?“ Zunächst erst einmal ein „Danke“ auf Arabisch und Hebräisch. Danke für die Zeit, die empfangene Herzlichkeit, das Bemühen um das Verstehen und die Geduld beim Verstehen lernen. War’s das? Und das unbeschreiblich leckere Essen natürlich. Da isst man in einem arabischen Restaurant von 20(!) verschiedenen Tellern, für jeden Einzelnen wohlgemerkt – aber auch in der palästinensischen Unterkunft werden zauberhafte Speisen aus Fisch, Fleisch und Gemüse stundenlang (teilweise unter der Erde) gekocht, geschmort, gebraten.
In Windeseile kommt alles auf den Tisch und niemand weiß, wo man das alles hinessen soll. So bleibt der Wunsch nach dem doppelten Fassungsvermögen des Magens. Schmeckt aber auch umwerfend alles. Man fasst in den beliebtesten Dönerläden von Leipzig kein Sharwarma mehr an, wenn man in Akko eins in den Händen hält. Granatapfelsalat könnte man schüsselweise reinschaufeln ohne schlechtes Gewissen.
Und dann geschälte, kühle Kaktusfeigen … nicht zu vergessen, die „Allzweckwaffe“ Shakshuka, hervorragend zubereitet, so einfach und doch so gut. In fast allen jüdischen Restaurants zu jeder Tageszeit zu haben. Absoluter Hammer.
Ja, was bleibt denn nun übrig und was nimmt man mit?
Da wären noch eine Fülle an verrückten Geschichten und Momenten. Die „Gärten der Bahai“ in Haifa zum Beispiel, zu Ehren einer Minderheitenreligion aus dem 19. Jahrhundert angelegt, wunderschön anzusehen, mit Blick auf das Hafenrund der Stadt. Blütenpracht und botanische Akkuratesse zeugen von tiefer Spiritualität und Ausdrucksstärke. Die ebenso zu finden ist bei den „Täufern“ im Jordan, den Baptisten, die mit dem immer wiederkehrenden „If you’re faithfull till the end of your life, you’ll receive the crown of life“- Gebet das heilige Wasser und die Gottesnähe suchen. Wenn’s der friedlichen Lebensfreude dient, warum nicht?
Heilend soll das Wasser auch am Toten Meer sein, wo die bereits erwähnten „Meerschlammstammeskrieger“ in das ölig-salzige Wasser tauchen, in der Rückenlage Zeitung lesen, sich heilen lassen. In den Kibbuzim der Negev-Wüste findet man grüne Oasen, die einen verträumt den nächsten Urlaub planen lassen, exotische Pflanzen mit Beschreibungen, die man als Unterrichtsinitial zur Romantik verwenden kann.
Man steht staunend vor der massiven Felsenfestung Massada, Teil des jüdischen Nationalmythos, da, wo sich 73 n. Chr. unter dem tapferen Anführer Eleasar Ben-Jair lange erfolgreich gegen die römischen Besatzungstruppen gewehrt wurde, bis man das „Gottesurteil“ der römischen Sklaverei vorzog und freiwillig in den Tod ging. Man hat das Gefühl, das ganze Land ist ein einziges Schullehrbuch. Reich bebildert, ohne zu viel Text. Warm, hell und freundlich. „Come back!“ rufen mir arabische Jungen nach unserem letzten gemeinsamen Getobe beim Fußballspielen zu.
„Semper aliquit haeret“ sagen die alten Lateiner
„Irgendwas bleibt immer hängen.“ Meint etwas anderes, meint das Gerücht, das Vorurteil, von dem etwas „hängen“ bleibt. Ja, das gab und gibt es. Das bestätigte Vorurteil. Israel ist ein kompliziertes Land, ein widersprüchliches. Denn sie einen sagen so, die anderen so. Für die einen ist Israel der staatliche und stattliche Nachfolger einer jahrhundertealten Idee. „This is our dream“.
Einer Idee von einem Land, in dem man keine Furcht mehr vor Verfolgung, Entrechtung und Not haben muss. Eine Demokratie nach westlichem Vorbild. Den modernen israelischen Staat kann man prototypisch in der Hauptstadt Tel Aviv erleben, mit einem pulsierenden Leben zwischen Autos, Geschäften und einem zauberhaften Strand.
Wem das nicht genügt, der bewundert die Altstadt Jaffa mit seinen verwinkelten Gassen mit Ateliers und Künstlerkneipen. Hier erinnert vieles an oberitalienische Städte, meinte einer der deutschen Begleiter. Leider ist für die meisten Deutschen lediglich das jüdische Israel interessant, nicht ganz unverständlich, weil man sich immer korrekt angesichts der drückend-belastenden Schuld des eigenen Volkes in der Vergangenheit bewegen und verhalten will. Da riskiert man keinen zweiten Blick.
Doch zum Geschenk dieser Reise gehörte auch eine andere Perspektive. Das Erleben einer fremden Kultur des zweiten Volkes in diesem Land. Ob es die frischen Falafel jeden Morgen waren, der unübertroffen aromatische Kaffee ist, es die Vitalität und der energische Lebenswille waren, die auch immer etwas Behauptendes, für unsereinen etwas Konservatives anzuhaben scheinen. Das arabische „Jalla!“ („Los geht’s!“) trug etwas Selbstironisches in sich, immer wieder verschoben, das Aufbrechen.
Denn hastig läuft kaum etwas ab in der morgenländischen Lebensweise. Durchaus angenehm für uns westliche „Stressmenschen“, ab und zu erwischt man sich auch beim leicht genervten Backenaufblasen während solch einer „Zeitverschiebung.“ Aber nur manchmal.
„Danke, dass du so viel weißt“, verabschiedete sich eine palästinensische Christin aus Bethlehem nach einem Gespräch. Das waren die wertvollsten Geschenke, die ich empfangen durfte. „Mein kleiner Bruder“ sagte ein gleichaltriger Araber jeden Tag zu mir. Anerkennende Zeichen des Zuhörens, des Verstehenwollens, mit denen die arabische Bevölkerung die Dankbarkeit ihrerseits zeigen wollte, dass für sie der Weg, den dieses Land gehen will, noch längst nicht zu Ende ist, ja momentan gerade in eine neue, ungerechte Richtung gehen soll.
Wie sieht es praktisch aus mit der „Zwei-Staaten-Lösung“ in Israel?
Gibt es die in realistischer Weise? Ist Frieden hinter Mauern dauerhaft möglich? Wissen wir Deutschen das nicht besser, dass man eine andere „Nation“ in einem Land nicht einfach wegdiskutieren und weghaben kann? Historisch gesehen, auch dies gehört zur Retrospektive der Reise, befindet sich Israel immer noch im Morgen, nicht am Ende des Tages. „Irgendwann wird alles gut. Wird Israel zu einer Demokratie für alle, die hier leben wollen“, sagte mir ein Araber am Fuße des Karmelgebirges, südlich von Haifa.
Er wohnt heute in Ayn Hawd, einem versteckt liegenden arabischen Dorf, vom offiziellen Israel erst 2005 als Gemeinde anerkannt. Er heißt schlicht Mohammed, und sagt mir, dass er als Kind bis 1948 in Ein Hod wohnte. Das klingt aber ähnlich und liegt doch 5 km auseinander. Ja, so ist es, nickt er mir zu. Später, nachdem er vertrieben wurde, wusste er, dass es ohne Gerechtigkeit niemals Frieden auf Dauer geben kann. Nur, wie geht das ohne neuen Krieg? Frage ich ihn. Den darf es nicht geben, meint er etwas müde.
Ein Fußball plauzt an die Autoscheibe des Mietwagens, als wir beginnen, das Land Richtung Flughafen zu verlassen. Die Steppkes winken mir zu. „Come back!“
Zur Reihe „Israel intensiv“: Jens-Uwe Jopp war 14 Tage auf einer ungewöhnlichen Reise in Israel, welche ihn in viele verschiedene Teile des Landes führte. Ziel und ein Höhepunkt der Reise war dabei auch Ismail Khatib zu treffen. Sein Sohn Ahmed Khatib war 2005 irrtümlicherweise von israelischen Soldaten erschossen worden, sein Vater gab daraufhin die Organe zur Transplantation an jüdische Kinder frei. Diese Geste erregte ein weltweites Interesse, die Dokumentation „Das Herz von Jenin“ (Trailer im Video) zeigt die Geschichte. Ismail Khatib ist heute weltweit bekannt und hat eine Organspendeplattform „Search of Life“ ins Leben gerufen.
Hier ist der mehrteilige Bericht von Jens-Uwe Jopp über Erlebnisse und Stationen unter anderem in Tel Aviv (Jaffa), Haifa, Qalanzawe (20 km östlich von Netanja), See Genezareth und Tabgha, Jenin im Westjordanland, Bethlehem (Westjordanland), Totes Meer, Jerusalem, Akko (eine alte Kreuzfahrerhauptstadt am Mittelmeer), Kapernaum (die „Petrusstadt“), Nazareth, Massada und Caesarea.
Zum Autor: Jens-Uwe Jopp ist Lehrer am Schiller Gymnasium. Ein ungewöhnlicher Leipziger Pädagoge für Deutsch und Geschichte, denn viele Leser kennen ihn auch als Autor der LEIPZIGER ZEITUNG oder Organisator der „Schiller Akademie“, wo er und seine Schüler unter anderem bereits mit Friedrich Schorlemmer über aktuelle Zeitfragen diskutierten.
Am 13. November 2018, ab 16 Uhr, findet diese übrigens erneut statt, dann mit einer Diskussionsrunde mit Dr. Gregor Gysi und einem Livestream auf L-IZ.de.
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