Für FreikäuferLZ/Auszug Ausg. 61Die Verpackung ist in den letzten Monaten arg in die Kritik geraten. Die Verwendung von Plaste ebenfalls. Junge Umweltschützer führten im Juli 2018 eine "Plastic-Attack" in einem Leipziger Supermarkt durch, um auf unnötige Verpackungen aufmerksam zu machen. Professor Dr. Lutz Engisch ist Prorektor und Professor für Werkstoffe mit der Fachrichtung Druck- und Verpackung an der HTWK. Er wehrt sich dagegen, Verpackungen zu verteufeln und hat einen anderen Vorschlag, wie man Verpackungen vermeiden kann. Denn ohne Verpackungen geht es dann wohl doch nicht.
Herr Professor Engisch, in den letzten Monaten gab es viel Kritik an Verpackungen. Woran liegt das aus Ihrer Sicht?
Die Verpackung stand schon immer etwas in der Kritik. Die großen Berichte, beispielsweise in der Tagesschau sind außerdem in den letzten Wochen deutlich mehr geworden. Aber das ist kein Thema aus diesem Jahr. Vor ziemlich genau einem Jahr habe ich vor 600 Kindern eine Kindervorlesung an der Uni Leipzig über Verpackung gehalten.
Da haben die Kinder ganz spannende Fragen zur Verpackung gestellt, zum Beispiel über Müllvermeidung. Das spannende war, dass die Kinder intrinsisch motiviert waren, dazu zu fragen. Die Eltern haben sie nicht vorgeschickt.
Aber woher kommt es, dass sich offenbar viele Menschen mit dem Thema beschäftigen?
Das ist schon ein Teil des Zeitgeistes. Berichterstattung über die Plasteteppiche im Ozean tragen dazu bei. Und wir haben an der HTWK auch unseren Studiengang neu aufgestellt. Ab nächstem Jahr heißt er Verpackungstechnik -und Nachhaltigkeit.
Es gibt Menschen, die ein Leben ohne Müll leben und dazu schreiben, Stichwort Zero-Waste-Lifestyle, dazu kommen auch in Leipzig die sogenannte Plastic-Attack gegen vermeintlich unnötige Verpackungen. Kann ich noch mit guten Gewissen verpackte Lebensmittel kaufen?
Da muss man differenzieren: Es ist relativ einfach, die Verpackung in den Mittelpunkt der Kritik zustellen, weil es eben in die Zeit passt. Aber ein Großteil der Sachen, die da im Meer schwimmen, sind keine Verpackung. Wie viele Kinderzeitschriften kauft man, bei denen nicht sehr sinnvolles Plastespielzeug zugepackt ist oder wie viele Plaste-Utensilien stehen in meiner Garage? Aber die Verpackung ist überhaupt nicht wegzudenken. Zero Waste und Unverpackt-Läden sind interessante Ansätze. Wenn sie an diese Läden denken, denkt jeder an Reis, Nudeln oder Mehl – dort kann man sich solche Konzepte gut vorstellen.
Bei Joghurt wird es schon wieder schwieriger. Da muss man ein Glas mitnehmen, dass bedeutet schon wieder Aufwand. Und dann kommen sie nach Hause und bekommen nach dem Verzehr des Joghurts Bauchschmerzen. Woran das lag, lässt sich dann schwieriger feststellen. War der Joghurt vorher schon verdorben? War das Glas nicht richtig zu und ist er deswegen schlecht geworden? Gesetzliche Vorschriften sorgen dafür, dass unsere Lebensmittel bis zum Mindesthaltbarkeitsdatum zu genießen sind.
Wie meinen Sie das?
Dass die Milch heute drei Wochen haltbar ist, liegt nicht daran, dass sie besonders chemisch behandelt ist, sondern weil die Verpackung so gut ist. Diese sind gegenüber Wasserdampf, Sauerstoff, Kohlendioxid, Viren und Bakterien dicht. Verpackungen sind Hochleistungssportler. Was eine Verpackung erfüllen muss, wird speziell für jede Lebensmittel- und Verpackungsart ausgedacht. Der Joghurtbecher ist ein Hightechprodukt, die Polymere sind genau aufeinander abgestimmt. Der Joghurt darf beim Transport nicht schlecht werden, der Becher muss so gebaut werden, dass er sicher steht und somit in kurzer Zeit möglichst viele abgefüllt werden können.
Ich persönlich esse sehr gerne Joghurts, aber so wird der Müllbeutel auch schnell voll. Nun gehe ich regelmäßig mit schlechtem Gewissen zum Müll…
Keine Verpackung ist aber auch keine Lösung. Wir leben ja nicht auf dem Land und können die Milch beim Bauern holen. Wenn wir aus unserem reichen Europa mal rausschauen, dann sehen wir, dass die Verpackung ganz wichtig ist. In ärmeren Ländern gibt es viele Tageslöhner, die sich Dinge nur in kleinen Abpackungen leisten können. Dass sich dort die hygienischen Verhältnisse ändern und die Menschen gesünder leben, liegt auch an der Verpackung. Und Verpackungen sind ja in Deutschland eigentlich nicht das Problem. Wir haben ein perfektes Wertstoff-Recycling-System.
Die Diskussion ist also überhitzt?
Meine Ansicht ist immer: Wir können auf die Verpackung nicht verzichten und es ist unfair, darauf rumzuhacken. Die Frage ist: Wie gehen wir mit der Verpackung anschließend um? Betrachten wir mal den Status Quo und nehmen uns die Polymer-Verpackungen vor: Die meisten Verpackungen sind speziell für ihren Einsatzzweck entwickelt und bestehen aus vielen verschiedenen Stoffen, die das Recycling wiederum erschweren. Die daraus hergestellten Stoffe sind in ihrer Qualität daher geringer, wir sprechen von einem downcyclen.
Das Problem in der chemischen Industrie momentan ist, dass wir die Ketten, aus denen die Kunststoffe chemisch zusammengesetzt sind, nicht mehr auseinandernehmen können. Die Frage ist also: Kann ich eine große Anzahl von Verpackung thermisch nutzen? Nun ist in Deutschland das Wort Müllverbrennung negativ belegt, aber solange wir Erdöl und Ergas direkt zum heizen nutzen, wäre es doch viel besser, das Erdöl wird zu Kunststoff verarbeitet, wird als Joghurtbecher genutzt und anschließend zur Erzeugung von thermischer Energie verbrannt.
Dafür brauchen wir moderne Anlagen, damit die Umwelt nicht belastet wird. Von dem jetzigen Status quo aus gesehen, wäre das eine gute Sache. Gleichzeitig gibt es Verpackungen, die sich recyceln lassen, weil ihre Zusammensetzung überschaubar ist, PET-Flaschen beispielsweise. Ihnen liegt ein relativ übersichtliches Herstellungssystem zugrunde. Dort gibt es sinnvolle Recyclingverfahren. Die neue Kunststoffverordnung der EU wird auch aus diesem Grund ein hohes Maß an Wiederverwendung einfordern.
Die vermehrte Verwendung von Biokunststoffen wird ebenfalls gern ins Feld geführt …
Und da wird es wieder komplex. Jeder, der sich damit nicht intensiv beschäftigt, wird jetzt an Kunststoffe denken, die auf natürlicher Basis entstehen und wieder kompostierbar sind. Aber die gibt es großtechnisch noch nicht in ausreichendem Maße. Polyethylen kann ich heutzutage aus nachwachsenden Rohstoffen herstellen, aber das Recycling bleibt das gleiche. Damit hätte man nicht das Müll-Problem gelöst, aber immerhin die Öl-Vorräte etwas gestreckt.
Es gibt auch Dinge, die aus Erdöl herzustellen sind und kompostierbar sind. Das Kompostieren funktioniert nicht wie erhofft. Studien hat man relativ schnell abgebrochen, weil in den Anlagen sehr viel Fremdeintrag war. Das heißt, die Unterscheidung zwischen den unterschiedlichen Plastetüten ist für den Verbraucher wie Oma Lischen zu schwierig.
Und Glas?
Jeder denkt, Glas ist super. Aber die Einwegverpackung aus Glas ist der Supergau. Die Energie, um aus einer alten Glasscherbe eine neue zu machen ist „der Killer“. Deswegen gibt es das Pfand-System, um diese Energie zu sparen. Aber die Logistik bei beispielsweise Bierflaschen ist sehr groß. Früher gab es eine Einheitslimo- und eine Einheitsbierflasche, Mittlerweile wird zunehmend jede Marke mit einem eigenen Flaschendesign versehen.
Damit steigt der Sortier- und Logistikaufwand für den Pfandbereich. Es gibt jetzt schon riesige Betriebe, die die Flaschen einzeln sortieren. Das sind zusätzliche Transportwege.
Aber wie gehen wir denn nun mit der Verpackung um?
Das Image der Verpackung muss zunächst verbessert werden. Ja, es gibt natürlich Verpackungen, die sind schon ein bisschen überdimensioniert. Das hat auch mit der Marke zu tun und die Verpackung muss auch über das Produkt informieren. Das wird vom Gesetzgeber gefordert. Dazu kommt, dass die Produkte abgefüllt werden müssen und dieser Prozess einen größeren Beutel benötigt als ihn der Verbraucher am Ende benötigt.
Die Klassikerfrage ist: Warum ist der Cornflakes-Beutel so groß? Das hat mit der Abfüllung zu tun. Es braucht eine gewisse Größe, um bestimmte Dinge industriell schnell herzustellen. Es gibt dazu auch eine Gesetzeslage, die sagt, dass Produkte nur ein begrenztes Leervolumen haben dürfen.
Die Imageverbesserung ist das eine. Wie kann man die Verwendung von Verpackungen optimieren?
Wir müssten eigentlich viel mehr über Pfandsysteme nachdenken. Ich bin ein großer Fan davon. Ich stelle die einmal her und kann die dann mehrmals benutzen. Ich muss natürlich eine entsprechende Logistik aufbauen und muss das prozessartig aufbauen. Solange das wirtschaftlich nicht geht, muss ich es funktionell recyceln, beispielsweise bei den Kaffeebechern.
Da müssen sich die Leipziger Bäcker aber zusammenschließen und nur einen Becher rausgeben, den man überall abgeben kann. Wenn man das Pfandsystem beispielsweise bei Milch oder Joghurt aufbaut, wäre da schon vielen geholfen.
Eine großflächige Pfand-Initiative müsste also vom Hersteller kommen?
Der Knackpunkt ist eher der Handel. Im Lebensmittelbereich ist der dominierende Player nicht mehr der Hersteller, sondern die Händler. Von ihnen muss das ausgehen.
Gestatten Sie eine letzte Frage: Warum ist die Biogurke eingeschweißt?
Das hat gesetzliche Gründe. Der Gesetzgeber hat gefordert, dass es eine klare Trennung zwischen Bio und konventioneller Gurke geben muss. Dann hat man überlegt, wovon mehr verkauft werden und sich entschieden, die geringe Menge, nämlich die Biogurken einzuschweißen. Es gibt viele Ideen in diesem Bereich, z. B. den EAN-Code auf die Schale einzubrennen. Aber wer will so eine Gurke schon kaufen?
Aber es lohnt sich, über Alternativen nachzudenken. Es gibt noch viel zu tun. Nicht zuletzt deswegen freuen wir uns über jeden, der mit uns dieses Thema weiterbringen will.
Junge Umweltschützerinnen demonstrieren gegen unnötige Verpackungen in Supermärkten
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