Warum braucht man für eine Strecke von 41 km fast drei Stunden? Man steht im Stau, denkt man gemeinhin. Oder man fährt in ein Gebiet im östlichen Israel, ca. 5.800 km² groß, mit geschätzt 2, 4 Millionen Einwohnern, weiten Olivenhainen unter brütender Mittagssonne. In das Westjordanland. Es wird auch im Zuge der englischen Verwaltungssprache Westbank genannt, das unter dem Völkerbundsmandat ab 1923 das Gebiet zu Transjordanien wurde und offiziell den Briten gehörte.
Die Straßen durch das „westliche Uferland des Jordans“ sind in einem teilweise erbarmungswürdigen Zustand, holprig, steinig, es ist eine ständige Ruckelei, wenn man ins „andere“ Israel fährt. Es geht nach Jenin, im nördlichen Westjordanland. Sheren, eine 25-jährige frisch studierte Zahnärztin von der hiesigen arabischen Universität, begleitet uns.
Eine Palästinenserin und israelische Staatsbürgerin. Wichtig dies zu betonen, denn ihren arabischen Studienabschluss muss sie für das „offizielle“ Israel noch einmal mit Prüfungen belegen, um auch im gesamten Land vom Golan bis zum Roten Meer praktizieren zu können.
Das sei normal in Israel, sie lächelt …
Sie schmunzelt und lacht überhaupt sehr viel, hat ein bedeutungsvolles und interessiertes Gesicht mit großen erzählenden Augen. Ich mühe mich ordentlich ab, um meine Fragen auf Englisch zu stellen. Wie heißt der Ort, es stehen doch überhaupt keine Schilder da? Warum winken uns die Kinder in dem Dorf so aufgeregt und doch freundlich zu? Was wird am Checkpoint passieren?
Nichts Besonderes, sagt sie und lächelt wieder, die Kinder haben Schulschluss und begrüßen ein Fahrzeug mit ungewöhnlich aussehenden Menschen; sie haben auch an diesem Sonntag Schule, da beginnt für die Menschen jüdischen und muslimischen Glauben ohnehin die Woche hier in Israel …
Das Westjordanland gehört nach dem Oslo-Abkommen von 1993 zur Zone „A“. Es ist zwar von Israel seit 1967 besetzt worden, dann aber im Zuge der 90er Jahre, nach dem Wirken des gemäßigten israelischen Ministerpräsidenten Rabin und seinen Friedensanstrengungen mit dem damaligen PLO-Chef Arafat palästinensisch „selbstverwaltet“.
Natürlich unter strenger Kontrolle der Besatzungsmacht, daher die Checkpoints. Die seien nur „gefährlich“ beim Verlassen des Westjordanlandes, nicht bei der Einreise, beruhigt uns unsere Reiseleiterin Sheren. Von weitem beginnt sich die Arabisch-Amerikanische Universität von Jenin unseren Blicken zu nähern. Sie liegt auf einem Hügel unmittelbar vor der Stadt.
Wunderschöner Campus, ein steinheller Bau, der befürchten muss, demnächst geschlossen zu werden, wenn die Unterstützungsgelder aus den USA – nachdem Donald Trump die Rolle seines Landes weniger als Vermittler, sondern als parteiischer Bündnispartner der Israelis neu definierte – eingestellt werden. Eine Katastrophe sei das, erwidert eine traurig dreinblickende Freundin Sherens.
Bei uns in Deutschland kennt man nur den Umstand, dass der außenpolitische Wirrkopf im Weißen Haus die Botschaft der USA von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen gedachte. Ja, das habe damit zu tun, bekomme ich nicht zum letzten Mal zu hören.
Die Amerikaner spielten spätestens nach dem Zusammenbruch des Ostens und nach Ende des Kalten Krieges immer die entscheidende Rolle im Nahost-Konflikt. Das Zünglein, besser das Sprachrohr einer notwendigen Lösung des Dauerkonfliktes. Meine Erinnerungen gehen zurück bis in meine Kindheit und Schulzeit. Ich erinnere mich an die Bilder von Sadat und Begin, Rabin und Arafat, Barak und Arafat … immer waren die Vermittler die USA.
Bleiben die Palästinenser jetzt als die „Araber zweiter Klasse“ zurück, steuert man entgegen den offiziellen Beteuerungen des Westens vom Fördern und Fordern einer „Zwei-Staaten-Lösung“ einem Israel und einem Palästina getreu dem UN-Teilungsplan vom 29. November 1947 auf einen einzigen Staat Israel zu – mit dann restlos ausgewanderten und gänzlich vertriebenen Arabern – dann steht der Nahe Osten tatsächlich in Flammen. Sagen mir Einheimische.
Eines Tages würde alles gut werden, beeilen sie sich mir zu beteuern. Eines Tages würde die Gerechtigkeit einkehren, versichern sie mir zum Schluss der kurzen Gespräche. Es erinnert mich fast an einen christlichen Katechismus, man glaubt, man lebt und liebt weiter und man hört nicht auf zu hoffen.
Israel intensiv (Teil 3): Im Herzen von Jenin bei Ismail Khatib
Zur Reihe „Israel intensiv“: Jens-Uwe Jopp war 14 Tage auf einer ungewöhnlichen Reise in Israel, welche ihn in viele verschiedene Teile des Landes führte. Ziel und ein Höhepunkt der Reise war dabei auch Ismail Khatib zu treffen. Sein Sohn Ahmed Khatib war 2005 irrtümlicherweise von israelischen Soldaten erschossen worden, sein Vater gab daraufhin die Organe zur Transplantation an jüdische Kinder frei. Diese Geste erregte ein weltweites Interesse, die Dokumentation „Das Herz von Jenin“ (Trailer im Video) zeigt die Geschichte. Ismail Khatib ist heute weltweit bekannt und hat eine Organspendeplattform „Search of Life“ ins Leben gerufen.
Hier ist der mehrteilige Bericht von Jens-Uwe Jopp über Erlebnisse und Stationen unter anderem in Tel Aviv (Jaffa), Haifa, Qalanzawe (20 km östlich von Netanja), See Genezareth und Tabgha, Jenin im Westjordanland, Bethlehem (Westjordanland), Totes Meer, Jerusalem, Akko (eine alte Kreuzfahrerhauptstadt am Mittelmeer), Kapernaum (die „Petrusstadt“), Nazareth, Massada und Caesarea.
Zum Autor: Jens-Uwe Jopp ist Lehrer am Schiller Gymnasium. Ein ungewöhnlicher Leipziger Pädagoge für Deutsch und Geschichte, denn viele Leser kennen ihn auch als Autor der LEIPZIGER ZEITUNG oder Organisator der „Schiller Akademie“, wo er und seine Schüler unter anderem bereits mit Friedrich Schorlemmer über aktuelle Zeitfragen diskutierten.
Am 13. November 2018, ab 16 Uhr, findet diese übrigens erneut statt, dann mit einer Diskussionsrunde mit Dr. Gregor Gysi und einem Livestream auf L-IZ.de.
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