„Du machst den Nahost-Konflikt im Unterricht? Der steht doch gar nicht auf dem Lehrplan.“ Das ist in der staatlichen sächsischen Schule fast ein Totschlag-Argument. Ein „Das-steht-nicht-auf-dem-Lehrplan-Urteil“ zieht im Lehrerzimmer zumeist eine mehrjährige Bewährungszeit mit anschließender genauer Beobachtungsverwahrung nach sich. Ödipale Komplexe staatlich Angestellter und Besoldeter plus Pflichtvergessenheit aktueller Ereignisse in der Krisenregion schlechthin – fielen mir damals als zornig-trotzige Gegengedanken ein. Aber die Rüge meiner unmittelbar vorgesetzten Kollegin bewirkte einen Adrenalin-Ausstoß an forschend-interessierter Natur.

Versuche dir doch vor Ort von Ereignissen in Bethlehem und Jenin, von der magischen Kraft der umstrittenen Stadt Jerusalem – keine andere Metropole auf der Welt hat mehr Kriege erlebt – ein möglichst nahes und unmittelbares Bild zu verschaffen. Sagte ich mir.

Versammeln sich Erwachsene dann zu solch einer ambitionierten Reise, darunter einige Lehrer und wollen gemeinsam nach Israel fahren, kommt schnell die eigentlich entscheidende Frage auf: Was soll das werden? Urlaub oder Weiterbildung? Strand oder Sperrgebiet? Pool oder Plan? Zuschauen oder genauer hinschauen? Und zuhören. Und das die ganzen Herbstferien 2018 lang. Vom ersten bis zum letzten Tag. Gewagtes Unternehmen.

Aber: In den Ferien machen nicht alle Lehrer Ferien. Das gibt es auch. Ausgehandelt wurde ein Kompromiss.

Es sollte eine Mischung sein aus Landeskunde, Sight-Seeing, politischer Zeitgeschichte (eher meine „Baustelle“. Daher wurde ich des Öfteren als didaktisch-politischer Nervtöter angeblinzelt …) und einem Ministück ganzheitlicher Stranderholung mit „Wellness-Elementen“. Deswegen rannten einige von uns am Toten Meer wie schwarzafrikanische Stammestänzer am israelischen Super-Salz-See herum; wir sollten uns mit dem gewöhnungsbedürftigen aber „unglaublich heilsamen“ Meeresschlamm ein- und zuschmieren.

Bis in die Haare habe ich es dann doch nicht geschafft. Die Körperbemalung reichte. Aber dazu später.

Man fliegt etwa vier Stunden ins „Gelobte Land“

Schlau als Sparfuchs hat man sich natürlich einen Billig-Flieger herausgesucht. Dies bezahlt man dann im Mittelsitz der vollgestopften Maschine mit aneinanderklebenden Oberschenkeln und den unmöglichsten Schlafhaltungsnoten. Also Kopfhörer auf, ein gutes Hörbuch und die Zeit vergeht fast wie im Flug. Und stellt danach die Uhr eine Stunde vor. Das hilft auch noch beim Überstehen der gefühlten Ewigkeit.

Flughafen Ben Gurion. Die Menora und das Gefühl "Geschafft". Foto Jens-Uwe Jopp
Flughafen Ben Gurion. Die Menora und das Gefühl “Geschafft”. Foto Jens-Uwe Jopp

Auf dem Ankunftshafen Tel Aviv weht einem gleich abendliche Sommerluft um die Nase. Und man lernt das Schwitzen neu. Für das leibliche Wohl sorgend steht gleich einer der arabischen Gastgeber da. Begrüßt uns, hat seinen Sohn und arabische Sandwiches dabei. Das Stillen des Hungers ist nach der Nikotinentwöhnung das zweitwichtigste Problem, welches gelöst werden muss.

Nun noch die israelische Aufnahmebefragung überstehen („Was machen Sie hier? Was wollen Sie hier? Wohin wollen Sie hier?“), die einer spätstalinistischen Gesinnungsprüfung ähnelt und dann ab in den Mietwagen und recht bald ins Bett. Dachte ich.

Die Sicherheitsbehörden in Israel kommen häufig genauso martialisch daher wie der Flughafen Ben Gurion in Tel Aviv auch. Gleich beim Herunterfahren zur Eingangslobby fallen großflächige „Wandzeitungen“ auf. Überdimensionale Überschriften feiern „120 Jahre Zionismus“, anspielend auf das Erscheinungsjubiläum des Staatsmanifestes des österreichisch-ungarischen Schriftstellers und Protagonisten des „Judenstaats“ Theodor Herzl.

Man spürt im offiziellen Israel das Bemühen, einen Gründungsmythos zu pflegen, eine staatlich legitimierte Begründung für das Leben hier zwischen Jordan und Mittelmeer zu finden.

Und diesen Staat hatten sie auch verdient, die Überlebenden des Holocaust, diesen Staat des Schutzes vor Bedrohung, vor der Diaspora, die jahrhundertelang erlebt und erlitten wurde; immer am Rande einer bedrohten Existenz. Die große, steinerne Menora am Raucherinsel-Hinterausgang des Tel-Aviv-Flughafens steht da wie ein einziges „Geschafft!“.

Ankommen und Zahlen

8,2 Millionen Einwohner zählt aktuell der Staat Israel, der geographisch zu Vorderasien und zum Nahen Osten gehört. 75 % der Israelis sind Juden, knapp 21 % Araber. Israel gewährt Einwanderern jüdischer Abstammung grundsätzlich die Einbürgerung, auch eine doppelte Staatsbürgerschaft ist möglich. Der Nachteil: Im Ausland lebende israelische Staatsbürger müssen auch den zweijährigen Wehrdienst leisten, unabhängig vom Geschlecht.

Der Vorteil: In Israel herrscht ein sehr warmes bis mildes Mittelmeerklima, in Jerusalem auf dem Berg ist es etwas kühler am Oktoberabend, am Toten Meer hingegen braucht man zur selben Zeit im Zimmer die Klimaanlage. Schließlich ist man ja in der Wüste (Negev).

Offiziell bezeichnet sich der Staat Israel als „freiheitlich-demokratisch“. Aber man braucht kein Pessimist zu sein, um schnell zu bemerken, dass das Land sichtbar unter einem politisch-demografischen Problem leidet, was auch Auswirkung auf das Demokratieverständnis in Israel hat. Es ist der traurig-berühmte „Nahost-Konflikt, oder „Israel-Konflikt“, manche sagen auch „jüdisch-arabischer Konflikt“ dazu.

„You’re welcome!“ hört man erst hebräisch, dann englisch in der Hotellobby in Jerusalem, ebenso wie ein bitteres „Welcome in Israel“, erst arabisch dann englisch, wenn man später ins Westjordanland fährt.

In Israel gibt es drei Bürgerrechtsidentitäten

An erster Stelle kommen die Israelis jüdischer Abstammung, die sich, meist äußerlich auch sichtbar, aus ihren Herkunftsgebieten zusammensetzen. Da gibt es die Einwanderer aus Osteuropa (Aschkenasim), von der Iberischen Halbinsel (Sephardim), Mizrachim aus dem Vorderen Orient oder Nordafrika, Falaschen aus Äthiopien und auch jemenitische Juden.

Sie genießen volle Bürgerrechte, gehen ganz in westlicher Manier ihrer Arbeit, ihrem Leben nach. Und freuen sich auf den Freitagnachmittag, wenn der Sabbat beginnt, alles stillsteht in Israel und man am einsetzenden Wochenende Freizeit und Freunde genießt.

Den Sabbat handhabt man da teilweise so streng, dass neben den Geschäften auch die Geldautomaten dicht sind und es lediglich löslichen Kaffee zum Frühstück gibt. Auch auf das wunderbar leckere jüdische Nationalgericht Shakshuka – oder kommt es von den Arabern? – muss man früh und abends verzichten. Dabei schmeckt das Spiegel- oder wahlweise Rührei in den angebratenen Tomaten so gut, dass man es schüsselweise essen könnte.

Die zweite Bevölkerungsgruppe stellen die palästinensischen Israelis dar. Mit denen hatte ich es zumeist zu tun. Sie leben und arbeiten in Israel, besitzen eine israelische ID-Card, die sie sich frei im Land bewegen lässt.

Aber was heißt hier schon „frei“?

Wir fragen nach. Einer dieser „israelic palestinians“ hat ein Geschäft irgendwo in Israel eröffnet. Ist vielleicht Steuerberater und hat ein Büro. Irgendwann fällt es dem zuständigen Verkehrsminister ein, eine neue Autobahn zu bauen. Dummerweise stehen da arabische Häuser. Die kommen weg, da hilft kein Jammern und Klagen und auch kein juristisches Intervenieren.

Du hast eben den zweitrangigen Pass, dann hast du auch keine Chance vor Gericht. Kommt einem beinahe so vor wie in Aldous Huxleys „Animal farm“. „Alle sind gleich. Nur manche sind eben gleicher.“ Sie lernen ab der dritten Klasse Englisch, die palästinensischen Kinder, dazu als Pflichtfächer Arabisch und Hebräisch. Kein jüdischer Vollbürger muss Arabisch lernen.

Aber das Leben dieser Gruppe ist noch einigermaßen normal – „We live in Paradies here, if you’re looking at Gaza.“ Habe ich zumindest theoretisch verstanden.

Ganz anders geht es in Israel in den besetzten Gebieten für die palästinensischen Araber zu. Diese besitzen die israelische ID nicht, sind der Willkür der Besatzungsmacht – sichtbar an den strengen Checkpoints (auch dazu später mehr) – ausgesetzt. Da muss man erstmal hinkommen, in diese besetzten Gebiete, braucht für 40 Kilometer normal ausgewiesene Strecke gut zweieinhalb Stunden.

Wie das? In großem Bogen wird man um die besetzten Gebiete des Westjordanlandes herumgeführt, man muss arabische Straßen benutzen, die teilweise in einem erbärmlichen Zustand sind. Holprig, steinig, ohne Licht und Begrenzungsstreifen. Erreicht man dann sein Ziel, sieht man die arabische Welt: Vielstimmig, leidenschaftlich, aber auch menschlich, wütend, aufbrausend. Autos hupen sich durch den schlauchenden Stadtverkehr. Dreckig, rumplig, laut, aber voller Gewürzdüfte und fantastischem arabischem Kaffee. Ankunft im Morgenland.

Im Teil 2 geht es erstmals mit Sheren ins Westjordanland

Zur Reihe „Israel intensiv“: Jens-Uwe Jopp war 14 Tage auf einer ungewöhnlichen Reise in Israel, welche ihn in viele verschiedene Teile des Landes führte. Ziel und ein Höhepunkt der Reise war dabei auch Ismail Khatib zu treffen. Sein Sohn Ahmed Khatib war 2005 irrtümlicherweise von israelischen Soldaten erschossen worden, sein Vater gab daraufhin die Organe zur Transplantation an jüdische Kinder frei. Diese Geste erregte ein weltweites Interesse, die Dokumentation „Das Herz von Jenin“ (Trailer im Video) zeigt die Geschichte. Ismail Khatib ist heute weltweit bekannt und hat eine Organspendeplattform „Search of Life“ ins Leben gerufen.

Hier ist der mehrteilige Bericht von Jens-Uwe Jopp über Erlebnisse und Stationen unter anderem in Tel Aviv (Jaffa), Haifa, Qalanzawe (20 km östlich von Netanja), See Genezareth und Tabgha, Jenin im Westjordanland, Bethlehem (Westjordanland), Totes Meer, Jerusalem, Akko (eine alte Kreuzfahrerhauptstadt am Mittelmeer), Kapernaum (die „Petrusstadt“), Nazareth, Massada und Caesarea.

Zum Autor: Jens-Uwe Jopp ist Lehrer am Schiller Gymnasium. Ein ungewöhnlicher Leipziger Pädagoge für Deutsch und Geschichte, denn viele Leser kennen ihn auch als Autor der LEIPZIGER ZEITUNG oder Organisator der „Schiller Akademie“, wo er und seine Schüler unter anderem bereits mit Friedrich Schorlemmer über aktuelle Zeitfragen diskutierten.

Am 13. November 2018, ab 16 Uhr, findet diese übrigens erneut statt, dann mit einer Diskussionsrunde mit Dr. Gregor Gysi und einem Livestream auf L-IZ.de.

 

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Das journalistische Format des Reiseberichts habe ich lange vermisst! Es liefern Einblicke, die kein Landeskundebuch, keine Statistik, kein Wikipediaartikel oder Kommentar leisten kann. Bin gespannt auf die Fortsetzungen!

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