LZ/Auszug aus Ausgabe 60VideoSein Name ist nicht „echt“, das Testlabor, mit welchem er arbeitet, der Redaktion bekannt, aber geheim. Seine Initiative hingegen besteht nun aus 18.000 Menschen, ihnen gegenüber steht eine extrem starke Lobby aus Bauernverband, Bayer AG und Monsanto. Seit Jahren läuft Nico DaVincis mittlerweile deutschlandweit größte Selbsttest-Initiative für Glyphosat-Rückstände im Körper. Daraus entstand unter anderem eine Karte im Netz, auf welcher auch Leipzig auftaucht. Über seine Erlebnisse und Daten aus den bisherigen Urintests hat DaVinci mit der LZ gesprochen.
Herr DaVinci, es scheint in der öffentlichen Wahrnehmung ziemlich ruhig geworden zu sein rings um das Thema Glyphosat. Ist das Thema nicht ernst genug oder sind die Menschen zu wenig aufgeklärt?
Das kann ich so gar nicht bestätigen. Eigentlich ist das Gegenteil der Fall. Im Europäischen Parlament gab es zwischenzeitlich einen Untersuchungsausschuss, der sich mit ungewöhnlich hohem Einsatz Unregelmäßigkeiten beim Wiederzulassungsprozess von Glyphosat angeschaut hat. Dabei kamen viele Dinge ans Licht, die man sich als Außenstehender so vermutlich nicht einmal im Ansatz hätte vorstellen können.
Dann gab es ein richtungsweisendes Urteil in den USA, bei dem ein todkranker Mann von einer Jury die Schadenersatzsumme von 289,2 Millionen US-Dollar zugesprochen bekam. Das war der erste Fall von derzeit über 9.500 Klagen, bei denen Glyphosat-Anwender dem Konzern Monsanto vorwerfen, dass Glyphosat verantwortlich für ihre Krebserkrankung ist. Und schlimmer noch – dass das Unternehmen die Risiken seines Produkts den Anwendern wider besseres Wissen verschwiegen hat.
Die Chancen für die Kläger stehen relativ gut. Im Rahmen des ersten Prozesses ist eine ganze Reihe an brisantem, internem Schriftverkehr der Führungsriege von Monsanto an die Öffentlichkeit gelangt, auch bekannt als „Monsanto Papers“. Obwohl im ersten Prozess nur ca. 20 % dieser Unterlagen besprochen wurden, hatten schon diese für ein einstimmiges Urteil bei der Jury im ersten Prozess gesorgt.
Da Monsanto gerade von Bayer übernommen wurde, hat das Urteil für einen Crash der Bayer-Aktie gesorgt. Da wurden über 10 Milliarden an Börsenwert vernichtet. Bayer bemüht sich jetzt naturgemäß momentan mit hohem Aufwand sehr um Schadenbegrenzung.
Sie haben vor einigen Jahren in Eigeninitiative unter Kooperation mit einem renommierten Testlabor auf der Webseite glyphosat-test.de eine großangelegte Testreihe gestartet, die sich mittlerweile deutschland- und sogar europaweit verbreitet hat. Was war der Auslöser?
Wir hatten uns im Internet in einer größeren Gruppe zusammengefunden. Derzeit sind es über 18.000 Menschen. Unser gemeinsames Interesse dabei ist eine gesunde Ernährung und der Abbau von Übergewicht. Wenn nun so viele Menschen über einen längeren Zeitraum beieinander sind – ich leite das jetzt seit 6 Jahren – dann ergeben sich oft Muster.
Eines davon war, dass unsere Mitglieder bei bestimmten Lebensmitteln merkwürdige Symptome rückgemeldet haben. Nachdem wir zahlreiche Gespräche mit Betroffenen geführt hatten, stellten wir fest, dass es eine recht eingegrenzte Liste an Produkten war, die diese Symptome auslösten.
Zuerst wussten wir nicht, was mit diesen Produkten nicht stimmt, bis uns die Dokumentation „Tote Tiere, kranke Menschen“ von arte auf die Spur brachte. Bei unserer Liste stellte sich heraus, dass das ausnahmslos Lebensmittel waren, bei denen die EU eine ausnehmend hohe Menge an Glyphosat-Rückständen erlaubt.
Die Arte-Doku “Tote Tiere, kranke Menschen”. Quelle: Arte, Youtube
Um weitere Gewissheit zu erlangen begannen wir mit ein paar Freiwilligen die ersten Urintests und waren erstaunt: Obwohl wir uns so entschieden mit einer gesunden Ernährung beschäftigen, hatten damals schon 70 % der Menschen Glyphosat in ihrem Körper. Das Testfeld hat sich dann nach und nach erweitert bis wir – Stand heute – die größte Langzeitstudie zu diesem Thema in Europa wurden.
Unser Antrieb ist der Wunsch zu verstehen, wie flächendeckend die Kontamination ist, welches die Kontaminationsquellen sind und welche gesundheitlichen Herausforderungen das möglicherweise nach sich zieht. Die Ziele die wir damit verfolgen sind, dass wir mit unseren Erfahrungen jenen einen soliden Ratschlag geben können, die einen Unkrautvernichter nicht in ihrem Körper wollen. Und festzustellen, welche gesundheitlichen Auswirkungen zu erwarten sind, wenn 7 von 10 Menschen einer Bevölkerung diesem Gift chronisch ausgesetzt werden, was ja der Fall ist.
Warum bewertet das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) Glyphosat so ganz anders als die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC)? Die Ausgangslage ist doch dieselbe, wie können zwei ähnliche Behörden zu solch unterschiedlichen Bewertungen kommen?
Das kommt darauf an, welches Lager Sie fragen. Die Lobbyisten und Befürworter meinen, die einen hätten mit einem risikobasierten, die anderen mit einem gefahrenbasierten Ansatz gearbeitet. Auch wenn das grundsätzlich nicht falsch ist, ist meiner Meinung nach ein großer Teil der Differenzen aber einem ganz anderen Grund geschuldet: Die IARC hat sich bei ihren Untersuchungen ausschließlich auf öffentlich zugängliche Studien verlassen, bei denen alle Daten nachvollziehbar waren.
Das BfR hingegen hat sich auf die im Herstellerantrag benannten Daten verlassen und ungewöhnlich nah daran orientiert. So wurden in dem der Risikobewertung folgenden Bericht ganze Kapitel 1:1 vom Herstellerantrag übernommen.
Ich halte das für problematisch, denn natürlich hat ein Konzern, der mit einem Produkt Milliarden verdient, in so einem Antrag unbedingt ein Interesse, dass dieser angenommen wird.
Und wenn wir seit den Monsanto Papers wissen, dass es schwere Unregelmäßigkeiten bei den übermittelten Studien gab, die u. a. Ghostwriting von Studien durch Monsanto einschließen, dann sollte man einen guten Eindruck bekommen, wem man tendenziell eher Vertrauen schenken kann. Was übrigens wenigen bewusst ist: Beim Pendant des BfR in den USA, die Environment Protection Agency (EPA), waren die Wissenschaftler der gleichen Auffassung wie die IARC, sie wurden jedoch von einem Abteilungsleiter überstimmt, der nach dem Ausscheiden bei der EPA heute Berichten zufolge bei zwei Tochterfirmen von Monsanto sein Geld verdient.
Wie groß ist der Einfluss von Lobbyisten in Deutschland in Bezug auf Glyphosat?
Der ist enorm. Es ist erstaunlich, wie viele verschiedene Interessengruppen beteiligt sind. Neben den Herstellern von Glyphosat selbst fällt vor allem der Bauernverband auf, der sich sehr vehement für Glyphosat einsetzt und über seine Veröffentlichungsorgane in Fachzeitschriften den Landwirten regelmäßig erklärt, wie risikolos das Mittel sei.
Ebenfalls stark beteiligt ist der Industrieverband Agrar (IVA), der mit seinen Mitgliedern sehr deckungsgleich ist mit der sogenannten Glyphosate Task Force, also jenen, die sich unter der Leitung von Monsanto für eine Wiederzulassung des Herbizids stark gemacht hatten. Auch auffällig sind Befürworter in der Politik, die zeitweise den gleichen Wortlaut wie die eben genannten Gruppen übernehmen, da fallen vor allem Mitglieder von CDU, CSU und FDP wiederholt auf.
Und was jedoch bis heute sehr unterschätzt wird ist eine regelrechte Struktur von Personen, die in den sozialen Medien die Positionen der Hersteller sehr aktiv verteidigen und Glyphosatgegner angreifen und zum Teil sehr effizient diskreditieren. Schaut man nun in die „Monsanto Papers“, so lernt man, dass Monsanto in den USA ein Programm aufgelegt hat, dass sie „Let Nothing Go“ nannten, bei dem keine Kritik im Internet unbeantwortet bleiben sollte und bei dem Dritte ohne erkennbaren Bezug zu den Herstellern Monsanto und deren Produkte gegen Bezahlung verteidigen sollen.
Das Ärgerliche für einen regulären Internetnutzer ist, dass er den direkten Hersteller-Bezug nur schwer oder gar nicht erkennen kann, weshalb vielen das Hin und Her in der Diskussion verwirrender vorkommt, als es nötig wäre.
Wie reagieren Menschen, wenn Sie mit dem Testergebnis zu hohe Werte bekommen?
Das Spannende bei Ihrer Frage sind zunächst die Worte: „Zu hoch“. Denn eigentlich gibt es gar keine offiziellen Grenzwerte im Urin. Es war offenbar nie vorgesehen, dass man Glyphosat im Körper findet. Ich erinnere sogar an eine TV-Dokumentation aus dem Anfang des Glyphosat-Streits, als zwei Journalisten Glyphosat im Urin gefunden haben und Monsanto kategorisch abgestritten hat, dass das stimmt.
Von dieser Position zur heutigen, die übrigens auch Bayer und das BfR zu vertreten scheinen, dass das vollkommen normal und zu erwarten sei, ist ein sehr langer Weg, wie ich finde.
Teil unserer Arbeit – eigentlich Pionierarbeit – ist nun herauszufinden, welche Belastung welche gesundheitlichen Folgen wahrscheinlich macht. Um so Rückschlüsse zu ziehen, was akzeptabel wäre. Daran arbeiten wir mit Hochdruck und sehr zielorientiert.
Die Menschen, die mit einer Belastung gemessen werden, reagieren meiner Meinung nach ganz natürlich: Sie wollen keinen Unkrautvernichter im Körper und sind überwiegend verärgert und gleichzeitig verunsichert darüber. Erstaunlich vielen ist bewusst, dass selbst kleinste Dosen nicht mehr akzeptabel sind, sollte sich das Mittel am Ende als krebserregend herausstellen. Wovon ich persönlich aufgrund der Datenlage ausgehe, dass das in nicht allzu ferner Zukunft geschehen wird.
Wir haben in über vier Jahren schon vieles gesehen. Herausragend war sicher ein Winzer-Ehepaar, die sich erst einmal gar nicht als solches zu erkennen geben wollten. Im Weinbau wird sehr viel Glyphosat eingesetzt, und so kam es dann auch, dass sie zu diesem Zeitpunkt locker in den Top 10 der höchsten Werte landeten. Es sei ihnen zu wünschen, dass sie die richtigen Schlüsse gezogen haben.
Gibt es Symptome oder Krankheitsbilder, die Sie Ihrer Erfahrung nach Glyphosat zuschreiben würden?
Ja. Das ist eine relativ lange Liste, was mit den besonderen, aggressiven Eigenschaften von Glyphosat zu tun hat. Was wir in unseren Rückantworten der Testpersonen sehen, ist ein deutlicher Zusammenhang mit Magen/Darm-Erkrankungen, Entzündungen im Körper, Autoimmunerkrankungen und Probleme im Zusammenhang mit einem Kinderwunsch.
Interveniert man im Hinblick auf eine mögliche Glyphosat-Vergiftung, bessern sich ungewöhnlich oft die Symptome. Bezogen auf meine Recherchen halte ich einen direkten Zusammenhang mit Hashimoto, Alzheimer, Parkinson, Entwicklungsstörungen bei Kindern, Früh-/Fehlgeburten, Missbildungen und natürlich auch Krebs für mehr als wahrscheinlich.
Die Kurzbeschreibung des Tests auf Glyphosat im Video. Quelle: glyphosat-test.de
Ich werde nicht verwundert sein, wenn der Zusammenhang mit Glyphosat für diese Krankheitsbilder der Reihe nach Krankheit für Krankheit nachgewiesen werden wird. Die größte Problematik an Glyphosat ist, dass dieses Molekül keine Barriere im Körper kennt, sich chaotisch im Körper verteilt und deshalb viele der Zusammenhänge nicht erkannt werden.
Was beim einen als Folge auftritt kann beim anderen ganz anders aussehen. Und was derzeit noch nicht überall verstanden wird ist, dass Glyphosat bioakkumulativ ist. Also sich im Körper ablagert. Genau darin besteht aber auch eine Chance. Denn das ist ja mit Biopsien nachweisbar. Hier würde ich mir mehr mutige unabhängige Wissenschaft wünschen, die sich das anschaut.
Kann man sich vor einer Glyphosat-Belastung schützen?
Nach unseren Erhebungen haben Menschen, die sich überwiegend von „Bio-Produkten“ ernähren, durchgehend sehr viel geringere Werte als der Durchschnitt. Dass sie nicht bei Null sind, verwundert viele. Das mag auch ein wenig an einem Missverständnis liegen, was man als Bio erwarten würde. Sowohl das EU-Biosiegel als auch das DE-Biosiegel sind wenig zuverlässig, wenn man Glyphosat tatsächlich ganz vermeiden möchte. Die beste Sicherheit bieten derzeit in Deutschland nur die drei Biolabel von Bioland, Naturland und Demeter. Dort findet weder in der Pflanzenaufzucht noch bei den Tieren irgendwo Glyphosat statt.
Es gibt Landwirte, die schwören dennoch auf Glyphosat zur Arbeitserleichterung und Kostensenkung.
Es ist nicht nur so, dass die Erträge sinken, die Böden immer angegriffener werden und man das Mittel dank der aktuellen Praktiken jetzt bereits an mehreren Stellen im Grundwasser über dem Grenzwert gefunden hat, den die EU für Trinkwasser festgesetzt hat.
In verschiedenen Interviews und bei meinen Recherchen lernte ich mehrere Landwirte kennen, die ihren Tierbestand verloren haben oder ihre Tierarztkosten senken konnten, sobald sie das Gensoja-Kraftfutter mit den Rückständen weggelassen haben. Es gibt eine Doku-Sendung mit dem Titel „Gift im Acker, die unterschätzte Gefahr“ die man heute noch auf Youtube anschauen kann.
Der Landwirt, der dort spricht, zeigt eindrucksvolle Probleme auf und soll inzwischen auf Bio umgestellt haben. Und ein Interview konnte ich mit einem Citrusfrüchte-Anbauer in Kalifornien führen. Dort wird Glyphosat fünf Mal im Jahr in sehr hohen Mengen gespritzt. Die Folge war jetzt, dass er drei Jahre in Folge überhaupt keine Ernte mehr hatte. Als man dann daraufhin eingeschritten ist, die Glyphosat-Rückstände im Boden zu neutralisieren, erholte sich die Plantage wieder.
Gibt es eine Alternative zu Glyphosat oder ist das dann auch wieder nur das nächste Gift mit anderem Namen?
Die gibt es entgegen anderslautender Meinungen natürlich – sonst wäre ein Anbau nach Demeter, Naturland und Bioland ja gar nicht möglich. Was ich bei der Diskussion insgesamt unglücklich finde ist, dass man sich tatsächlich nur noch zwischen den zwei Optionen: Glyphosat oder „das nächste Gift“ unterhält. Die dritte Option ist gar nicht auf dem Tisch: Wie wäre es mal mit – gar kein Gift?
Es mag sein, dass viele das beim ersten Hinsehen für übermäßigen Idealismus halten, aber ich glaube, wir sollten uns dem Denkverbot nicht hingeben, dass in der Suggestion „was ist das nächste Gift?“ steckt. Das behindert jede Kreativität – und dort, wo die Landwirte das „giftfrei“ schon umsetzen, wie in einigen Fällen in Indien oder Argentinien, dort werden erstaunlich hohe Erträge erzielt, die teilweise sogar messbar höher ausfallen als bei den Glyphosat-Kollegen nebenan.
Die Karte, welche Personen/Proben zeigt, die bislang getestet wurden, findet sich hier im Netz. Da es verschiedenste Ursachen für eine hohe Glyphosatbelastung geben kann, zeigt die Karte also getestete Personen und kann keine regionalen Schwerpunkte darstellen. So bedeuten vermehrte Fälle in bestimmten Gebieten zuerst einmal mehr Testpersonen und noch nicht gleich einen Schwerpunkt. Was die Karte hingegen zeigen kann, ist eine durchschnittliche Anzahl von eingesandten Proben, welche belastet waren.
BUND Sachsen: Den meisten Kommunen in Sachsen ist das Problem von Glyphosat bewusst, aber …
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